Folkrock:Anderweitig versunken

Seele mit guten Absichten: Cat Stevens heißt jetzt Yusuf und hat mit "An Other Cup" nach 28 Jahren wieder eine Platte aufgenommen.

Thomas Steinfeld

In der populären Musik steckt ein Geheimnis, das man nicht aussprechen darf, ohnesich schlimme Feinde zu machen: Es ist ihre Nähe zu den modernen Erweckungsbewegungen, zur Pfingstkirche und zu den Wiedertäufern, zu Methodisten und Charismatikern.

Yusuf

Yusuf alias Cat Stevens: Auf seiner neuen Platte "An Other Cup" sind die fehlenden 28 Jahre zu hören.

(Foto: Foto: dpa)

Nicht zufällig sind diese Volksbewegungen, die eine wie die andere, gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, als seelischer Aufstieg des vierten Standes.

Und nicht zufällig teilen sie viele ihrer Ausdrucksformen: den Kult der Begeisterung und das Reden in Zungen, den Hang zum kollektiven Enthusiasmus in möglichst großen Arenen, den Glauben an die Unmittelbarkeit und die nie erlöschende Hoffnung auf Erhebung und Entrückung, die Verachtung für die Anhänger falscher Kirchen ("Wie kann man nur Robbie Williams gut finden") und den Traum vom Leben im Guten.

Sanfter, warmer Folkrock

Und wenn der Gläubige nach vorn tritt, vor die Gemeinde, um in seinen eigenen, ebenso ungelenken wie vom Heiligen Geist inspirierten Worten Zeugnis abzulegen von Gott - ist es dann nicht so ähnlich, wie wenn ein Sänger das Mikrophon ergreift, mit ungeschulter Stimme, unfähig, den Ton zu halten oder die Lage zu wechseln, aber authentisch, beseelt und wahr?

Eher, als dass man sich darüber wundern könnte, dass Cat Stevens nach einem Dutzend zum Teil sehr erfolgreicher Platten in den späten siebziger Jahren zum Islam konvertierte und der Musik abschwor, wäre das Gemeinsame zu erkennen: der Wunsch nach einer Gemeinde, den auch diesen Musiker antrieb, so sehr, dass ihm die Musik eines Tages zu wenig wurde und durch höhere, strengere, kirchliche Formen der Religiosität ersetzt werden sollte.

Dieser Übergang hatte sich bei Cat Stevens angekündigt, seitdem er das englische Kirchenlied "Morning Has Broken" einspielte. Das Umgekehrte ist nicht minder nachvollziehbar: dass einem der kirchliche Ritus zu eng wird, die Bindung auch an die Stimme und die Instrumente des Islam, und man dann dort weitermacht, wo man 28 Jahre zuvor aufgehört hatte, im sanften, warmen, zarten Folkrock.

Yusuf hat sich selbst eingeholt

Und auch dieser hat seine Riten, den langsamen Viervierteltakt und die Neigung zu e-Moll zum Beispiel, das Arpeggio, die einfachen Harmonien und das verhalten schleppende Schlagzeug.

Nun gut, auf "An Other Cup" von Yusuf, dem britischen Sänger und Gitarristen, der einmal Cat Stevens hieß und mit seiner mediterranen Inbrunst die jungen Frauen betörte, sind die fehlenden 28 Jahre zu hören. Das gilt weniger für die Stimme selbst. Denn mit seiner Stimme hat sich Yusuf nach all der Zeit nur selbst eingeholt.

Vor drei Jahrzehnten klang diese Stimme - ein weicher, an der Oberfläche angerauhter Bariton - deutlich älter, als sie eigentlich war. Aber man hört, dass Yusuf viele Jahre lang nur noch selten gesungen hat: an der Unsicherheit in der Intonation vor allem, mit der er etwa "One Day at a Time" beginnt, ein leises musikalisches Gebet.

Anderweitig versunken

Tatsächlich trägt die Stimme nur dann, wenn Yusuf den Druck erhöht, nur im Augenblick der dynamischen Steigerung, um vorher und nachher nach allen Seiten hin wegzukippen. Aber was nutzt die Musikkritik, wenn es um Momente der Erweckung und Erbauung geht?

Gerade in dieser Unsicherheit, ja Unbeholfenheit eines ehemals so versierten Musikers wird für viele, die ihn als Cat Stevens mochten und heute als Yusuf wiederbegegnen, ein ästhetischer Reiz liegen: der Reiz des Sehnens und Mögens, des Unvollendeten und Scheiternden.

Die Gemeinde des Säkularen verwandelt sich in einer religiöse

Und ein Gebet ist eigentlich jedes der elf Lieder auf dieser Platte. Sogar der Klassiker "Don't Let Me Be Misunderstood", den einst Eric Burdon als Obertriebtier der Animals in die Mikrophone brüllte, verwandelt sich in eine Fürbitte - das Tempo ist zurückgenommen, an die Stelle des stampfenden Basses werden Geigen gezupft, und die rotierende Orgel, die früher einmal für den Höllenchoral zuständig war, muss nun wie eine gestopfte Posaune spielen.

Und auch den Text hat Yusuf leicht verändert: Aus dem "man" in "I'm just a man, but my intentions are good" wird "soul" - und so verwandelt sich die Gemeinde des Säkularen in eine religiöse Gemeinde. Überhaupt ist Frömmigkeit das tragende Element dieser Schallplatte: Selbst im Remake von "I Think I See the Light", dem lebendigsten, schnellsten und mit seinen versetzten Rhythmen interessantesten Stück dieser Schallplatte, ist die Adressatin, nämlich das "girl", gelöscht und mit ihr alle erotische Spannung. Der Rest ist Hingabe an den göttlichen Willen.

Das hat Folgen auch für die musikalische Form. Sie ist gefällig, aber einfacher als das meiste, was Cat Stevens je hervorgebracht hat. Das kontrollierte, sachte schwingende Rumpeln, das noch ein Lied wie "Wild World" beseelte, ist ebenso verschwunden wie die drängende Unruhe von "Peace Train". Yusuf hat die schlichtestmöglichen Muster dagegengesetzt, als Moment einer seelisch-musikalischen Reinigungs- und Konzentrationsübung möglicherweise.

Das Unmusikalische des Ritus ist Yusufs größtes Problem

Und so sehr dieses Verfahren dem Frommen auch einleuchten mag, so unbefriedigend ist es für den Hörer, der sich auf den schlichten Ritus (dem man den Islam nicht anmerkt, er ist nur irgendwie religiös) verwiesen sieht, wo er Musikalisches erwartet hatte - das Unmusikalische des Ritus ist Yusufs größtes Problem als Musiker, abgesehen davon, dass man nach 28 Jahren Reifen und Wachsen mit ein wenig ironischer Weisheit, mit einem abgeklärten Lächeln gerechnet hatte und doch nichts anderes zu sehen bekommt als das starre Gesicht eines anderweitig Versunkenen.

Die Erweckungsbewegung war im 19. Jahrhundert in vielen Industrieländern ein Unternehmen zum Abbruch der Tradition, ein zentrales Moment in der Modernisierung der ganzen Gesellschaft: Sie verweigerte der Staatskirche den Gehorsam, sie setzte den Laienprediger gegen die Priesterhierarchie, sie setzte die Instanz der "Erweckung" als überraschend irdisches Glücksversprechen. Sie war neu, und sie war Aufbruch, und sie war auch darin der populären Musik verwandt - vor allem der populären Musik in ihrer heroischen Zeit, in den sechziger und siebziger Jahren.

Cat Stevens glaubt, dadurch, dass er Yusuf wurde, ein neuer Mensch geworden zu sein. Das Seltsame aber ist: In dieser neuen Platte gibt es keinen Aufbruch und nichts Neues, jedenfalls in der Musik.

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