Hilfen für Ukraine-Flüchtlinge:Wir sind am Zug

Ukraine-Krieg: Flüchtlinge kommen am Berliner Hauptbahnhof an

Berlin, Hauptbahnhof, 1. März 2022.

(Foto: Jochen Eckel /imago images)

Mütter, Teenager, Kinder aus der Ukraine stranden gerade in Berlin. Viele Menschen helfen spontan via Telegram, aber sie haben ein echtes Problem.

Von Juliane Liebert

Am Sonntag waren sie zu fünft, sagt Victoria Messer, um zwanzig Ukrainerinnen vom Berliner Hauptbahnhof abzuholen. Es kamen hundert. Dann tausend. "Am Anfang hatten wir kaum Leute, die Russisch oder Ukrainisch sprechen, ich kann Spanisch, das war nicht so hilfreich", sagt sie. Ein kurzes Grinsen, ein Seufzer.

Victoria Messer erzählt das in ihrer Wohnung in Pankow. Sie ist zu erschöpft, um sie zu verlassen, sie war tagelang auf den Beinen. Jetzt hilft sie von hier aus weiter, online. Messer gehört zu den Tausenden Freiwilligen, die in Berlin seit Beginn des Krieges Hilfe für die Menschen aus der Ukraine aus dem Boden gestampft haben.

Die Hilfsgruppen haben sich über Telegram organisiert, Tag und Nacht sind dort Hunderte Unterstützer online. Sammeln Spenden und Unterkünfte, empfangen und versorgen Flüchtende am Hauptbahnhof, ZOB und Südkreuz, telefonieren Hotels und Hostels ab, flehen den Senat um Hilfe an. Am Mittwoch haben sich viele der Helfer am Hauptbahnhof neben dem McDonalds getroffen. Überall schwirrten sie in gelben Warnwesten herum. An einem Stand wurden Hilfswillige eingewiesen, es gab Tische voller Lebensmittel, Sanitärprodukte, Kaffee, Suppe, Wasser - mitten im Bahnhof.

In einem eigenen Bereich passten junge Menschen auf geflüchtete Kinder auf, die Kinder malen. Ein Mädchen, etwa zehn, schaut über ihre Zeichnung hinweg auf den Tumult, ernst, als wundere es sich, was diese Erwachsenen da tun.

Hilfen für Ukraine-Flüchtlinge: Kinder aus der Ukraine, willkommen in Deutschland.

Kinder aus der Ukraine, willkommen in Deutschland.

(Foto: Juliane Liebert)

"Ein Zug wird erwartet": Das ist hier nicht nur ein Satz, sondern ein Zustand. Tritt man einer der Telegram-Gruppen bei, etwa der mit dem Namen "TRAIN BUS ARRIVALS", kommen minütlich Benachrichtigungen. "11:44 EC248 platform 13 - 12:21 EC246, platform 14" - weitere kommen um 12.42, 14.16, um zwölf wird am Ostbahnhof ein Sonderzug mit 250 Flüchtenden erwartet, am Südkreuz kommt 12.45 ein Bus aus Bydgoszct, um 13.35 einer aus Prag. Inzwischen werden ab dem späten Nachmittag bis in die Nacht bis zu 800 Geflüchtete pro Zug erwartet.

Noch stemmen die Freiwilligen das, aber sie brauchen Hilfe, sagt einer von ihnen. Dass sich aus "dem Stegreif ein funktionales, hauptsächlich von großartigen Frauen getragenes Netzwerk gebildet hat, das fast alles Notwendige abdeckt, ist eine Sache - dass die Stadt dabei quasi keine Rolle spielt, eine andere".

Ein neuer Zug wird erwartet.

"Telegram ist unsere Waffe gegen diesen Krieg"

Die Freiwilligen zeigen den Weg von den Gleisen bis runter zum Treffpunkt, andere warten mit Schildern. Fast alle Züge haben Verspätung, 45 Minuten, 80 Minuten. Kamerateams sind da, auch sie warten. Der Zug kommt, Menschen beginnen auszusteigen. Man kann im ersten Moment nur schwer genau feststellen, welche von ihnen Fliehende sind. Die Kamerateams filmen ihnen ins Gesicht, während sie aussteigen, Bahnangestellte helfen ihnen aus der Tür. Teenager, Freunde, Mütter, Kinder. Ein älterer Herr mit Barett, er wird um die siebzig sein, ist schlicht und elegant gekleidet. Ein anderer trägt einen gepunkteten Koffer die Treppen herab; manche haben ihre Sachen in Mülltüten.

Die nächste Telegram-Nachricht, der nächste Zug.

Einen Bahnhof weiter, an der Friedrichstraße, arbeitet eine blonde Frau in einem Dunkin' Donuts. Ein von der Arbeit kommender Deutscher kauft Munchkins bei ihr, "zwei braune und einen hellen, bitte". Er fragt, wie es ihr geht, es ist schwer, sagt sie, aber sie versucht durchzuhalten. Er legt ein paar Münzen extra auf den Tresen und geht. Fragt man nach, was schwer ist, erzählt sie, sie hat Familie, die noch in der Ukraine ist. Nicht wegkommt. Sie ist froh, dass jemand zuhört. Am Hauptbahnhof sind Hunderte Leute, die helfen, versucht man zu trösten. Die Frau kämpft mit den Tränen. Wirklich? Danke, sagt sie. Von hinten beschwert sich eine Frau, die ihren Donut will.

Hilfen für Ukraine-Flüchtlinge: Berlin, Hauptbahnhof, 2. März 2022

Berlin, Hauptbahnhof, 2. März 2022

(Foto: Jochen Eckel/imago images)

Victoria Messer sagt in ihrem Wohnzimmer: "Telegram ist unsere Waffe gegen diesen Krieg." Die Hilfe sei in Gruppen und Nebengruppen organisiert, bis hin zur Organisation der Übersetzer. "Es gab gestern so viele Essenslieferungen, so viele deutsche Unternehmen haben geholfen. Aber viele Ankommende sind Muslime. Das Essen muss also halal sein. Es gab einen Mann hinter der Ausschänke, der jedes Sandwich gecheckt hat, damit keine Salami drauf ist." Die Deutsche Bahn habe die Teams unterstützt, sagt sie.

Und die Stadt Berlin?

Nun ja, die Hilfe der Stadt wird erwartet.

"Die Mädels von der Orga-Gruppe versuchen seit Tagen, Kontakte aufzubauen", sagt Messer. Beim Berliner Senat, bei der Stadtmission, bei der BVG. Sie seien weit gekommen, aber jetzt müsse dringend mal der Staat übernehmen. "Wir sind alle nur private Leute, die ihre Infrastruktur innerhalb von einer Woche kreiert haben. Wir haben nicht gewusst, wie groß das Ganze werden wird. Wir wollten einfach Willkommenspakete und Papiertüten mit bisschen Essen und Deo verteilen. Es ist ein Skandal, dass die Stadt bisher nichts gemacht hat."

Am Hauptbahnhof ist es noch voller geworden. Berliner bringen Spenden. Endlich hat auch der Senat Leute geschickt, aber auch ihnen ist erst mal irgendwie nicht klar, wohin die in dieser Nacht Ankommenden gebracht werden sollen.

Wohin mit den Menschen in der Nacht?

Die Frau, die all die Hilfsbereitschaft auf Telegram organisiert, Gruppen und Untergruppen, Spenden und Helfer koordiniert, ist Greta Fleck. Auch sie hat Nächte durchgearbeitet, jetzt sitzt sie in ihrer WG am Rande von Neukölln. "Kommen Sie gern vorbei", hatte sie geschrieben, "ich muss eh mal ein Gesicht sehen zwischendrin." Ob sie was braucht? Bier wäre willkommen.

Die Wohnung ist im Erdgeschoss, Greta Fleck, Mantel über Schlafanzug, zündet sich eine Zigarette an in der leeren Küche, dort ist gerade alles rausgerissen worden. "Mir war klar, dass die Situation entsteht, wie sie entsteht", sagt sie über die Szenen vom Bahnhof. "Das war vielen klar. Ich habe über Social Media Gruppen auf Telegram gefunden, in denen es darum ging, Güter an die Grenzen zu fahren." Die Probleme würden auch in Berlin entstehen, also begann sie, Hilfe zu suchen. So entstand die Telegram-Gruppe "Ukraine - Berlin Arrival Support" mit heute mehr als 6000 Menschen. "Alles ist selbstorganisiert, deswegen gibt es viele Missverständnisse, aber trotzdem haben wir es geschafft, von Anfang an für die Ankommenden da zu sein", sagt Fleck. Inzwischen kommen Anfragen und Angebote im Sekundentakt. Jetzt verknüpfe sie hauptsächlich Leute.

Die Freiwilligen legten ungeheure Energie an den Tag, erzählt sie. Die Stadt nicht so. "Es ist in der Kommunikation superschwierig. Man merkt, die Vorbereitungen sind nicht getroffen worden." Ihr ist klar, dass größere Infrastrukturen in Bürokratien mehr Zeit brauchen für die Organisation. "Aber was für uns schwierig zu verstehen ist, dass wir so viel Verantwortung haben, dass wir Leute in höheren Positionen miteinander in Verbindung bringen müssen, weil da kein Austausch besteht." Wo also hin mit den Menschen in der Nacht?

"Wir haben die offizielle Info: zum Ankerzentrum", die offiziellen Aufnahmezentren für Asylsuchende. Als sie da nachts ankamen, sei dort nur Security gewesen. In der vergangenen Nacht habe sie also Hotels durchtelefoniert, die Leute an der Rezeption angefleht, Menschen aufzunehmen. Mit Erfolg.

Und was kommt jetzt? Mehr Flüchtende, sagt sie. "Wir dachten, wir machen das, und irgendwann übernimmt jemand. Wir machen das, bis staatlicher Support kommt. Aber jetzt ist Tag fünf." Sie wird irgendwann mal schlafen müssen, sagt Fleck, aber es ist niemand da, der dann übernimmt, also schläft sie nicht. Sie drückt ihre Zigarette aus und macht sich wieder an die Arbeit. Die nächste Nacht beginnt.

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