Die meisten haben bereits eine persönliche Anhörung hinter sich und warten nun darauf, verlegt zu werden. Wohin? Niemand weiß das. Um ihre Papiere zu bekommen oder zu einem erneuten Gesprächstermin zu erscheinen, müssen sie nach Moria, ins Hauptlager. Die Kosten für das Taxi zahlen sie aus eigener Tasche.
Doch so nachvollziehbar die Klagen auch sein mögen - im Vergleich zu den Insassen des Hauptlagers leben die Flüchtlinge in Kara Tepe unter paradiesischen Bedingungen. Sie können sich zumindest frei bewegen.
Moria, von seinen Bewohnern auch Guantanamo genannt, zählt zur Zeit zwischen drei- und viertausend Flüchtlingen, beherbergt also den größten Teil derer, die von der Küstenwache aufgegriffen wurden und nun damit rechnen, rasch zurück in die Türkei abgeschoben zu werden. Doch die meisten der Menschen sagen, sie seien schon seit vier Monaten und länger im Lager.
Wer einen Passierschein erhält, um das Camp tagsüber ungehindert zu verlassen und sich zumindest auf der Insel zu bewegen, kann sich glücklich schätzen. Alle anderen dürfen, nachdem man ihre Fingerabdrücke genommen hat, das Lager nicht verlassen, es sei denn im Krankheitsfall.
Junge Nordafrikaner haben ihre Fluchtroute geändert: Sie drängen in die Ägäis
Das Lager ist von einem hohen Elektrozaun umgeben und wird von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten bewohnt: Syrer, Iraker, Iraner, Pakistaner, Afghanen, Ägypter, Algerier und Marokkaner, Eritreer und Menschen aus anderen afrikanischen Ländern. Wird ihr Asylgesuchen abgelehnt, werden sie für sechzig Tage festgesetzt, in dieser Zeit haben sie das Recht auf einen einmaligen Einspruch. Wer davon Gebrauch macht, darf sich bis zur Abschiebung frei auf der Insel bewegen.
Es sind genau diese Migranten, über die die Bewohner von Lesbos klagen. Junge Männer, mehrheitlich aus Nordafrika, aus Algerien und Marokko, die - so die Anschuldigung der Insulaner - frustriert und im Wissen der baldigen Abschiebung Geschäfte überfallen, Türen und Schaufensterscheiben einschlagen, um die Läden auszurauben.
Die jungen Nordafrikaner scheinen ihre Fluchtroute übrigens geändert zu haben. Sie drängen nun in die Ägäis. Bislang hatten sie vor allem von Libyen und dem ägyptischen Alexandria aus versucht, nach Lampedusa oder Sizilien zu gelangen. Doch die Schmuggler haben ihre eigenen Routen und Gesetze - und ihre eigenen Tarife.
Den Strand von Lesbos hat die Armee gereinigt: Keine Schlauchboote, keine Westen
Ich habe viele junge Männer gefragt, ob sie ihre Angehörigen, ihre Bekannten und Freunde über das Scheitern ihrer Flucht informiert haben, darüber, dass das Abenteuer Europa missglückt ist, weil die Schmuggler sie betrogen haben, und dass man sie demnächst abschieben wird. Sie antworteten, auch wenn sie selbst nicht wollten, dass andere kämen, würde ihnen zu Hause niemand glauben. Alle gingen davon aus, dass ihre Situation gut sei.
Ein harter Start ins Leben: Mädchen in Moria auf Lesbos.
(Foto: Dan Kitwood/Getty)Aus eben diesem Grund treffen noch immer Flüchtlingsboote auf Lesbos ein, nehmen die Überfahrt von der türkischen Küste zumeist bei Nacht in Angriff und landen am nördlichen Ende der Insel, zwischen den Stränden von Eftalou und Molyvos, beides eigentlich Touristenstrände. Die Küstenwache und die griechische Armee wissen das und belassen es nicht nur dabei, die Flüchtlinge festzunehmen, sondern säubern auch gleich die Strände. Keine Schlauchboote oder Rettungswesten liegen herum, nichts zeugt hier am Morgen mehr von den geflüchteten Menschen.
Die Strände müssen schön und sauber sein, um die gesamte Insel herum, damit die Touristen nichts von all dem mitbekommen. So heißt es zumindest. Doch der Mythos vom florierenden Tourismus entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ja, es gibt hier ein paar Gäste, die meisten von ihnen Türken und Griechen vom Festland, dazu einige skandinavische Chartertouristen, doch traditionell zählt Lesbos eher nicht zu den griechischen Touristeninseln. In den Siebzigerjahren und noch bis in die Mitte der Achtzigerjahre waren es Rhodos, Santorin, Kos und Kalymnos, die die meisten Besucher anlockten. Lesbos gehörte nie dazu.