Flüchtlinge auf Lesbos:Gefangen zwischen Hoffnung und Wut

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Morai refugee camp on Lesbos

Moria auf Lesbos: Wer das Lager verlassen will, braucht einen Passierschein. Die Flüchtlinge nennen es "Guantanamo".

(Foto: Orestis Panagiotou/dpa)

Auf der griechischen Insel Lesbos sitzen Tausende Flüchtlinge fest. Was sie sich und ihren Familien zu Hause nicht eingestehen können: Ihre Flucht ist gescheitert.

Reportage von Najem Wali

Wie soll man sie bezeichnen? Gefängnisinsel? Guantanamo? Oder einfach: Lesbos? So hieß die Insel ja immer, zumindest bis zum vergangenen Jahr, dem Jahr, in dem sie zum Mekka der Flüchtlinge wurde, zu dem Fleckchen Erde, auf das sie auf dem Weg nach Europa als Erstes ihren Fuß setzen. Diese Insel ist die letzte Bastion, die Europa - ungefähr eine Stunde mit der Fähre - von Asien trennt. Sie ist alles, nur keine natürliche Insel mehr, seit sie zu einer erzwungenen Transit-Station für all jene geworden ist, deren Weg dort ein vorläufiges Ende gefunden hat.

Es gibt keine offizielle Statistik zur Zahl der Flüchtlinge, die auf der Insel leben, aber dies nicht etwa, weil sich deren Zahl in den beiden Lagern auf der Insel, Moira und Kara Tepe, ständig veränderte, sondern weil diese unter der Aufsicht des griechischen Militärs stehen. Und damit unterliegen sie selbstverständlich militärischer Geheimhaltung. Ohne offizielle Erlaubnis eines für die Organisation der Flüchtlingsbelange im Zentrum der Inselhauptstadt Mytilini eingerichteten Büros ist niemand befugt, sich den beiden Lagern auch nur zu nähern.

Fotografieren verboten, verkünden die Schilder am Eingang zu den Lagern Moria und Kara Tepe. Es sind sehr große Schilder. Militär ist Militär, egal wo auf der Welt. Und die Erfahrung, welche das griechische Militär seinem Land hinterlassen hat, gehört bekanntlich zu den weniger ehrenvollen.

Kara Tepe ist klein, ein Lager für besonders Schutzbedürftige, Moria ist groß und für Regelfälle

Fragt man einen der Soldaten am Eingang zum Lager Moria, warum denn das Fotografieren verboten ist, sagt er: "Ist verboten" oder "So lautet der Befehl, ist einfach verboten". Weil er selbst nicht weiß, warum. Das Ganze ließe sich umgehen, indem man sich im Büro in Mytilini eine Erlaubnis besorgt, nur ist dieses Büro die meiste Zeit geschlossen. Die Flüchtlinge selbst, nicht nur die in Moria, sondern auch in allen anderen Lagern, die wir besucht haben, machen sich über die Situation lustig. Sie sagen, nur den ausländischen Medien sei der Zugang untersagt. Die griechische Presse und das griechische Fernsehen würden hier ausgiebig fotografieren und filmen, allerdings um ein eher positives Bild vom Leben in den Lagern zu zeigen.

Aber sind die griechischen Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen ehrlicher? Und was ist mit den Organisationen und Einrichtungen der Vereinten Nationen, die alle von sich sagen, sie wollten den Flüchtlingen helfen? Was ist mit dem griechischen Zivilbeamten, der die Aufsicht über das Transitlager Kara Tepe führt?

Auf meine Frage, warum es nicht erlaubt ist, mit den Flüchtlingen zu reden, antwortet der Lagerleiter, er verfahre so, um die Menschen zu schützen, da diese fasteten, es sei schließlich Ramadan. Die Syrer und Iraker hingegen, die ich vor dem Lagereingang treffe, berichten ganz etwas anderes, nämlich dass nur wenige Flüchtlinge im Lager fasten. Die Lagerleitung enthält uns Essen vor, sagen sie, unter dem Vorwand, wir würden ja fasten. Offenbar wollen sie nicht, dass ihr die Wahrheit erfahrt, fügen sie hinzu. Ist das die Wahrheit?

Die Liste ihrer Beschwerden jedenfalls ist lang: nicht nur, dass sie auf unbestimmte Zeit hier fest hängen, weder eine griechische Aufenthaltserlaubnis erhalten noch in die Länder abgeschoben werden, aus denen sie gekommen sind. Vor allem aber sind die Bedingungen, unter denen sie leben müssen, kaum als menschenwürdig zu bezeichnen.

Kara Tepe ist klein, ein Lager für besonders Schutzbedürftige, Moria ist groß und für Regelfälle bestimmt. Die meisten Bewohner des Lagers Kara Tepe sind Syrer und Iraker, ungefähr eintausend Menschen, kinderreiche Familien zumeist, die darauf warten, mit anderen Mitgliedern der Familie vereint zu werden, die es schon nach Europa geschafft haben. Außerdem finden sich dort Kranke und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

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