Süddeutsche Zeitung

"FLOTUS" von Lambchop:Das wichtigste Album für die Trump-Präsidentschaft

Sie haben Angst, dass mit Donald Trump die Welt untergeht? Hören Sie lieber "FLOTUS", das neue Album des Nashville-Kollektivs Lambchop - ein Lob der Deradikalisierung.

Off the Record: die Pop-Kolumne von Julian Dörr

"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984. Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer wöchentlichen Musik-Kolumne.

Es gibt Zeiten, da erscheinen die Dinge, die einem sonst so viel Freude bereiten, irgendwie dumm. Zeiten, in denen der Weltenlauf eine scharfe Abzweigung nimmt. Zeiten, in denen alles bedeutungslos zusammenschnurrt vor der Kolossalität der Geschichte. Donald Trump wird tatsächlich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Es ist kein wirrer Traum, vielmehr ein prägender Generationenmoment - so wie der Brexit im Frühsommer. Irgendwie dumm erscheint es nun, über Musik zu schreiben, so als wäre nichts gewesen.

Irgendwie dumm erscheint einem nun auch die naive Begeisterung für all die großen Pop-Momente dieses an großen Pop-Momenten reichen Jahres. Beyoncés Black-Panther-Party beim Super Bowl, Kendrick Lamar in Ketten bei den Grammys. Die Geschichten, die der Pop 2016 erzählte, sie waren so politisch und so progressiv wie lange nicht. Die Wahl Donald Trumps ist auch ein Dämpfer für diese großen Visionen. Die USA sind gespalten, nach Geschlechtern und Bildungsabschlüssen, nach Hautfarbe und Wohnort. War's das jetzt mit dem Mutterland der modernen Demokratie, der Heimat von Hollywood und Gangsta-Rap?

Seit Jahrzehnten schmirgeln Lambchop an der amerikanischen Musiktradition herum

Doch Pop wäre nicht diese einmalige Kraft, die stets das Neue will und ab und an das Gute schafft, hätte sie nicht auch in diesem Fall schon für Rettung gesorgt. Eine Woche vor der schicksalhaften Wahl erschien "FLOTUS", das neue Album der Band Lambchop. Damals - ja, man muss damals schreiben, so weit entrückt scheint diese alte Welt - war es ein schönes Album, eines der schönsten des Jahres. Jetzt, eine Woche nach der Wahl, ist es das wichtigste.

Man kann es jetzt nur so plump schreiben, weil es ja auch so einfach ist: Das neue Lambchop-Album ist die Musik, die jetzt wirklich jeder jen- und diesseits des Atlantiks hören sollte. Warum? Weil sie sich einem so schmeichelnd schön über die nervösen Gehirnwindungen legt. Weil sie einen schärft für die Kämpfe, die da kommen mögen. Weil sie einem alle Schubladen und Türen und Fenster im Denken aufreißt.

Lambchop, das ist ein Musiker-Kollektiv aus Nashville, Tennessee, der Heimatstadt des Country. Lambchop, das ist aber vor allem ein Mann: Kurt Wagner. Dieser Kurt Wagner hat früher Parkett verlegt, er war Kunsthochschüler, seit den frühen Neunzigern ist er der Songwriter und Sänger einer der besten Bands der USA. Kurt Wagner trägt gerne Truckermützen, aber keine mit so großspurigen Slogans wie "Make America Great Again". Auf Wagners Mützen ist traditionell das Logo eines Pferdefutterherstellers zu sehen. Und Kurt Wagner spielt auch keinen klassischen Country. Vielmehr schmirgelt er mit Lambchop seit zweieinhalb Jahrzehnten an den Ecken und Enden der amerikanischen Musiktradition herum. Hier ein bisschen Soul, dort ein bisschen Folk, gerne auch mal ein paar Takte Jazz.

Auf dem neuen Album haben Lambchop ihren Klangkosmos nun noch ein Stückchen ausgedehnt. Auf "FLOTUS" verfremdet Wagner seine Stimme mit Autotune à la Kanye West, Gitarre und Schlagzeug weichen Drummachine und Computerfrickelei. Was ist das jetzt? Country-Hip-Hop? Electronic White Soul? Völlig egal, spielen Lambchop 2016 doch eine Musik, die zu gleichen Teilen heimelig vertraut und entrückt verstörend klingt. Und was würde besser zu diesem Jahr, zu dieser Welt passen? Zu den USA?

Ein Lob der Deradikalisierung, ein Aufruf zur Entgrenzung

Der Eröffnungsong "In Care of 8675309" ist ein elektronisch angereichertes Americana-Traditional von der Veranda. Zu zärtlich angefunkten Gitarrenakkorden sinniert Wagner elf Minuten lang über das Leben im "house of cancer". Eine dieser wunderbar unbestimmten Lambchop-Metaphern, zutiefst persönlich und doch gleichzeitig das Porträt einer ganzen Gesellschaft im Zwiegespräch mit sich selbst. Ein warmes Klagelied auf die Geister der Vergangenheit, die Lügen falscher Propheten und die Verheißungen des Kapitalismus.

Über alledem schwebt Wagners künstlich verzerrte Stimme wie ein Versprechen von einer besseren Welt: Wenn so unterschiedliche Strömungen wie sanft gehauchter Country-Soul und die Innovationen des Hip-Hop zusammenfinden können, warum dann nicht das gespaltene Land Amerika? Der Song "JFK" beginnt mit den Worten "Even if it's all fucked up". Er endet mit der Einsicht: "We must build a culture of understanding".

"FLOTUS", dieses große und wichtige Album, ist ein Lob der Deradikalisierung, ein Aufruf zur Entgrenzung. Kurt Wagner hat den Sound von Lambchop neu geordnet. Er hat feste Muster und Gewohnheiten hinter sich gelassen. Er ist ausgebrochen aus seinem "house of cancer" und hat festgestellt: Da draußen, in der Ungewissenheit, liegt auch die Kraft. "A question can be a form of answer", heißt es in "In Care of 8675309".

"FLOTUS", das ist die Abkürzung für die "First Lady of the United States". Kurt Wagners Ehefrau Mary Mancini ist zwar nicht die First Lady, aber sie ist Vorsitzende der demokratischen Partei im Bundesstaat Tennessee. Für sie hat er dieses Album geschrieben. Weshalb "FLOTUS" bei Lambchop auch für etwas anderes steht: "For Love Often Turns Us Still". Auch daran sollten wir in diesen Tagen denken. Nicht die Angst soll uns innehalten lassen, sondern die Liebe.

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