Krimis zum Jahreswechsel:Sie denken zu laut

Krimis zum Jahreswechsel: Eine ramponierte Ehe und eine bankrotte Tankstelle kommen zusammen in Yves Raveys Roman "Die Abfindung".

Eine ramponierte Ehe und eine bankrotte Tankstelle kommen zusammen in Yves Raveys Roman "Die Abfindung".

(Foto: Norbert Schmidt/imago)

Ein Postamt, eine Tankstelle, ein gutbürgerliches japanisches Haus in einer Hochzeitsnacht: Schauplätze für schaurige Beziehungstaten in den besten neuen Krimis.

Von Fritz Göttler

Das Leben überleben

Eine tote Frau am Morgen, kurz vor Weihnachten, in dem kleinen Ort Montréal-La-Cluse im französischen Jura: Catherine Burgod führt die Post des Ortes, am 19. Dezember 2008 finden frühe Kunden im Hinterzimmer ihre Leiche - 28 Messerstiche, "von denen einige die Lunge getroffen und die Rippen gebrochen hatten, sechs waren tödlich gewesen, davon zwei in den Hals". Ein Raubüberfall offenbar, ein Geldbetrag ist verschwunden.

Ein true crime, von der erfolgreichen Journalistin Florence Aubenas behutsam, aber nachdrücklich erzählt, mit lakonischem Suspense. Immer wieder kam sie in den Ort, forscht dem Geschick jedes Beteiligten nach. Lange wurde als Täter der Schauspieler Gérald Thomassin verdächtigt - ein Rebell, der nicht weiß, was er tut, in seiner Jugend hat Jacques Doillon ihn für seinen Film "Der kleine Gangster" verpflichtet. Gérald erinnert da an den jungen Jean-Pierre Léaud in Truffauts "Les 400 coups" und hat dafür 1991 den César als bester Nachwuchsdarsteller bekommen. Wie Chaplin, erinnert sich Doillon, eine Mischung aus Anmut und Unbeholfenheit. Für Gérald selber ist einer wie Scarface ein Vorbild: "Ich lebe, ich überlebe das Leben." Thomassin war lange in Haft, im August 2019 verschwand er und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Krimis zum Jahreswechsel: Florence Aubenas: Er ist keiner von uns. Ein Dorf sucht einen Mörder. Aus dem Französischen von André Hansen. dtv, München 2022. 253 Seiten, 15,95 Euro.

Florence Aubenas: Er ist keiner von uns. Ein Dorf sucht einen Mörder. Aus dem Französischen von André Hansen. dtv, München 2022. 253 Seiten, 15,95 Euro.

(Foto: dtv (SZ))

Ein Ehebruch

Einst waren sie ein glückliches Paar, Jean Seghers und seine Frau Remedios, ein Foto zeigt sie vor zehn Jahren in Venedig, bei der Verlobung. in Venedig. "Adultère" ist der Originaltitel des Romans von Yves Ravey, Ehebruch als Motiv eines Verbrechens. Und Versicherungsbetrug, der damit zusammenhängt. Der Eheman ist der Erzähler, er sieht seine untreue Frau morgens um vier Uhr nach Hause kommen, ein anderer Mann hat sie gebracht, der Präsident des Handelsgerichts. Bei dem musste Jean eben einen Insolvenzantrag stellen für seine Tankstelle. Die Ehe ist ramponiert, und das Geschäft, man kennt das aus den tristen Kleinbürgermelodramen der Dreißiger von James M. Cain. Und dann ist da noch die Abfindung, die Jean seinem langjährigen Mechaniker und Nachtwächter Usman zu zahlen hat.

Die moralische Behändigkeit, mit der uns Jean durch seinen kriminellen Plot führt, ist so erschreckend wie faszinierend. Als er zu Besuch bei seiner Mutter ist, greift er kurz entschlossen heimlich in die Suppenschüssel im Schlafzimmerschrank, wo sie ihr Geld hortet - sie will ihm kein Darlehen von ihrer Rente geben. Schließlich geht die Tankstelle in Flammen auf, die zuständige Versicherung, ihr Name ist Hunter, ist misstrauisch. "Sie denken zu laut nach, Seghers? Schade, dass ich nicht dichter bei Ihnen stand, um mitzuhören."

Krimis zum Jahreswechsel: Yves Ravey: Die Abfindung. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind, München 2022. 109 Seiten, 20 Euro.

Yves Ravey: Die Abfindung. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind, München 2022. 109 Seiten, 20 Euro.

(Foto: Liebeskind (SZ))

Spiel mit drei Fingern

Eine Familientragödie aus Japan, geschrieben nach Kriegsende, ihre tragische Konsequenz hat viel zu tun mit japanischer Tradition. Der Form nach ein klassisches locked room mystery, nach angelsächsischem Vorbild: ein Mord in einem (von innen) abgeschlossenen Raum, den von außen eigentlich niemand betreten könnte.

Krimis zum Jahreswechsel: Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Blumenbar, Berlin 2022. 206 Seiten, 20 Euro.

Seishi Yokomizo: Die rätselhaften Honjin-Morde. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Blumenbar, Berlin 2022. 206 Seiten, 20 Euro.

(Foto: Blumenbar (SZ))

Ein Doppelmord in der Hochzeitsnacht im gutbürgerlichen Haus der Ichiyanagis: eine reiche Witwe mit ihren fünf Kindern. Der Älteste hat sich eben mit Katsuko vermählt, einem Mädchen aus einfachem Haus, am Morgen danach wird das Paar tot gefunden, aufgeschlitzt mit einem Katana. Ein Koto befindet sich auch im geschlossenen Raum, eine Zither, auf der jemand mit blutigen Fingern spielte.

Japan ist eine geschlossene Gesellschaft, auch wenn es Orientierung und Reisen in den Westen gibt. Das ganze gibt sich als ein faktischer Bericht, von japanischer Bedächtigkeit. Gelöst wird das Rätsel von dem jungen unscheinbaren, gar schmuddeligen Privatdetektiv Kosuke Kindaichi (mit Hilfe einer gediegenen Krimi-Bibliothek exquisiter Locked-Room-Meister wie John Dickson Carr oder Maurice Leblanc). Seishi Yokomizo lieferte danach eine ganze Serie von Kindaichi-Romanen, viele wurden verfilmt von Kon Ichikawa. Ein geheimnisvoller Bursche treibt sich in dieser Geschichte herum, der an einer Hand nur drei Finger hat. Mehr brauche man nicht, erklärt uns altklug der Erzähler, um eine Koto zu spielen: "Denn die Saiten werden mit Daumen, Zeige-und Mittelfinger gezupft."

Zur SZ-Startseite

Literatur-Spezial
:Bücher zum Überwintern

Eine Geschichte Russlands, Ausflug in die Arktis und Miss Marple: opulente Bildbände, spannende Romane, nachdenkliche Essays, Hör- und Sachbücher. Ein Best-of.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: