Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Gesang der Träume

Anne und David Bennent lesen Baudelaires "Fleurs du Mal". Über einen Abend, der noch lange nachklingt.

Von Egbert Tholl

Charles Baudelaire schrieb verschiedene Vorworte zu seinen "Fleurs du Mal", am interessantesten sind jene, die im Stadium des Entwurfs blieben. Eines beginnt so: "Frankreich macht eine Phase der Vulgarität durch. Paris, der Mittelpunkt, von dem die allgemeine Dummheit ausstrahlt." Die allgemeine Dummheit, von der Baudelaire spricht, bedankte sich bei ihm, indem die Staatsanwaltschaft sich außerordentlich für seine Dichtkunst interessierte, ihn wegen der Verletzung der öffentlichen Moral verfolgte und sechs der - je nach Ausgabe - 126 Gedichte verbot.

Interessant die Entrüstung, vor mehr als 150 Jahren. Nun lesen Anne und David Bennent eine Auswahl dieser Gedichte im Salzburger Landestheater, und natürlich ist kein einziger der Besucher der Salzburger Festspiele entrüstet, selbst nicht über jene Gedichte, die damals dem Verbot anheim fielen: "So möchte ich eines Nachts, wenn die Stunde der Wollüste schlägt, zu deines Leibes Schätzen wie ein Feigling lautlos schleichen, um dein frohes Fleisch zu züchtigen . . . und, durch diese neuen Lippen, mein Gift dir einzuflößen, meine Schwester."

Die Richter witterten Mordlust und viel Obszönes, Syphilis und Verderbung, und übersahen dabei, dass das Gift, von dem Baudelaire hier spricht, auch einen Spleen oder Schwermut meinen könnte, je nach Auslegung. Mithin die Gier auch auf eine Verschworenheit zielen könnte, auf eine Zweisamkeit, entflohen der billigen Traurigkeit der Welt.

Natürlich bleiben die Bennent-Geschwister nicht einfach an ihren Tischchen sitzen

Die Geschwister Bennent, wundervolle Schauspielkünstler beide, und, so individuell verschieden sie sind, eben Bruder und Schwester, haben auch gar nicht im Sinn, hier irgendjemanden zu verstören. Sie mit ihrem nie versiegenden, betörenden Charme, hat ein bisschen die Aura einer durch nichts zu erschütternden Lehrerin, die einem das Leben erklärt, das so, wie sie es meint, nicht in den Schulbüchern steht. Er hat die Würde und den dunklen Glanz eines gefallenen Engels, mit jenem Glanz in der Stimme, der von fernen Höhen kündet.

Sie sind sehr lieb miteinander. Natürlich bleiben sie nicht einfach an den zwei Tischchen sitzen, wenn sie die von Bettina Hering, der Schauspielchefin der Festpiele, eingerichtete Auswahl der Gedichte vortragen. Erst flattert er davon, in beiden Händen die Zettel des Textes, als "Albatros", mit welchem der Dichter selbst gemeint ist, "Fürst der Wolken", den Bogenschützen spottend. Also den faden Erdenmenschen. Kommt er ein bisschen durcheinander bei seinem Vortrag, wartet sie in wohlwollender Ruhe oder setzt sich auch zu ihm an den Tisch, wenn sie nicht gerade tanzt, eine Girlande wie ein Schlange oder sich in einem Polstersessel verkriecht, neben sich fünf Kerzen und das Bild einer Madonna.

Der gesamte Vortrag ist ein Gesang zweier Stimmen, mal dialogisch, mal zweisprachig deutsch-französisch, von dem, was des Bürgers Ordnung durcheinander bringt, Sehnsüchte, haltlose Liebe, dunkles Brodeln. Ist aber auch ganz konkret die Entrüstung über die Angst und das Zaudern. Nicht jeden Satz muss man im Moment verstehen, denn der Abend ist selbst ein langes Gedicht, das fortsingt in der Nacht.

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