"Findet Dorie" im Kino:Wie Nemo, aber vergesslich

Lesezeit: 3 min

In "Findet Dorie" schickt Pixar die Helden aus "Findet Nemo" erneut auf einen Trip durchs Meer. Nur das Action-Getöse stört.

Filmkritik von Fritz Göttler

Es ist der totale Absturz, auf den dieser Film sich gegen Ende zubewegt, ein steiler Sturz ins Happy End, ein umwerfender Glücksmoment. Kino pur, was für eine wundervolle Welt . . .

Ein Moment, der nicht enden will, und in dessen Langgezogenheit die Ruhe und Harmonie anklingt, die er den Figuren verspricht, den Suchenden und den Gefundenen, den Rettern und den Geretteten, den Helden und ihren Helfern.

Als er vor ein paar Jahren seinen Film "Findet Nemo" wieder sah, war der Pixar-Erfolgsregisseur Andrew Stanton sehr unglücklich. "Ich hatte das Gefühl, ich hätte da eine Tür offen gelassen, die nicht offen bleiben durfte." Es war das Schicksal von Dorie, das Stanton irritierte, der blauen Paletten-Doktorfisch-Dame. Die damals, im Jahr 2003, mit eifrigstem Willen, aber ohne Kurzzeitgedächtnis dem Clownfisch Marlin bei der Suche nach seinem verlorenen Sohn Nemo half. Am Ende, nach der Wiedervereinigung, blieb Dorie bei den beiden Freunden, ohne eigene Eltern, ohne Vergangenheit, ohne Geschichte.

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"Findet Nemo" war einer der größten Erfolge des Animationsstudios Pixar. In diesem Film hatte die neue Animationstechnik, die ganz mit Computern arbeitete, ohne handgemalte Bilder, zu sich selbst gefunden. Der Zeichenfilm, schrieb Gilles Deleuze in seinem Kino-Buch, verweist auf eine cartesianische Geometrie, nicht auf eine euklidische. Und gerade im Medium Meer gab es eine neue Art der Bewegung, einen eigenen Rhythmus für die Fische. Keine Momentaufnahme, sondern die Kontinuität der die Figur beschreibenden Bewegung. Der Widerstand, den das Wasser liefert, macht die Bewegungen sichtbar. Dem Transparenten Materialität verleihen, die große Kunst der Pixar-Leute.

"Findet Nemo" wurde so ein Meisterstück der Kino-Melancholie. Ein Film, der die Einsamkeit des Ozeans reflektierte und die konzentrierte Action anderer Zeichenfilme zurückfuhr, die nie ohne Druck, ohne Terror auskam - für Nemo vor allem in Gestalt des Zahnarzttöchterchens Darla (mit Zahnspange!). Darla erscheint in "Findet Dorie" kurz wieder auf einem Foto an der Wand, in einem Büro des Meeres-Instituts. Es ist ein beliebter Sport bei Pixar, vertraute Details aus früheren Filmen als "Ostereier" immer wieder zu verstecken, vom Pizza-Planet-Wagen aus "Toy Story" bis zum Bild aus "Wall-E". Zwei Frauen, die in einer kurzen Szene einen Kinderwagen schieben - ein gleichgeschlechtliches Ehepaar? -, haben Pixar lobende wie höchst kritische Tweets en masse eingebracht.

Es war ein Neubeginn, als man sich bei Pixar endlich an die Nemo-Fortsetzung machte. Dorie war damals von einem anderen Team entwickelt worden, mit einer Software, die nun gar nicht mehr benutzt wurde. "Findet Dorie" kehrt die Bewegung des ersten Films um, statt der Suche nach einem verlorenen Sohn gibt es nun die Suche nach den verlorenen Eltern. In kurzen Rückblendfetzen erinnert sich Dorie tatsächlich an Szenen ihrer Kindheit, und schon zieht sie los - eine weitere Ozeandurchquerung, Ziel wird das Meeresbiologische Institut sein, das "Juwel der Morro Bay", an der kalifornischen Küste. Und Nemo und sein Vater sind nolens volens dabei und hinterher.

Dorie trifft jede Menge Kumpane und Freunde, einen Belugawal oder einen Walhai, die im Schau-Aquarium des Instituts hausen. Und vor allem auf Hank, den Oktopus, der, weil ihm einer seiner Arme fehlt, nur noch ein Septopus ist. Hank war die große Herausforderung für die Pixar-Leute, einer, der im Wasser wie auf dem Land gleichermaßen zurechtkommt, der sich gestaltwandelnd seiner Umgebung anpassen, pflanzliche oder mineralische Formen annehmen kann - sogar am Lenkrad eines Lasters wird er eingesetzt. Hank ist unhektisch und erfinderisch, aus tausend Notlagen macht er die große Kunst der Deplaciertheit. Mürrisch ist er allerdings auch, er sehnt sich nach einem stillen Platz irgendwo in einem Aquarium.

Wenn gar nichts mehr geht . . . einfach das Steuer herumreißen

Die Kunst der schnellen Improvisation eint Hank und Dorie in ihren Unternehmungen - bei Dorie bedingt durch ihre Vergesslichkeit, die langfristiges Planen unmöglich macht. Keine Erinnerungen zu haben, das ist für sie Schmerz und Glück zugleich. Eine unglaubliche Freiheit, sagt Andrew Stanton, diese Chance, den einzelnen Moment fassen. Der Film geht aber auf diese Momente nur am Rande ein, stattdessen entwickelt er, anders als der erste, ziemliches Action-Getöse. Dadurch geht ihm verloren, was in "Findet Nemo" so verzaubert hat, jenes traumhafte Gefühl der Schwerelosigkeit, das im modernen Kino aus Hollywood selten geworden ist.

Der Ballast der Action holt auch die Animationsfilme immer mehr ein, unterwirft die Autonomie ihrer Bewegungen der Logik einer durchfunktionalisierten, durchrationalisierten (Kino-)Welt. Da hilft dann nur, das Steuer brutal herumzureißen, sich ganz hinzugeben der Sehnsucht nach dem freien Fall.

Finding Dory, USA 2016 - Regie: Andrew Stanton, Angus MacLane. Buch: A. Stanton, Bob Peterson, Victoria Strouse. Kamera: Jeremy Lasky. Produktionsdesign: Steve Pilcher. Mit den Stimmen von Ellen DeGeneres, Albert Brooks, Ed O'Neill, Diane Keaton, Idris Elba. Deutsche Stimmen: Anke Engelke, Christian Tramitz. Walt Disney, 97 Minuten.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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