Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht
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Jan Bülow bereist die Quantenwelt, Nora Tschirner und Frederick Lau erkunden ihre Seelenabgründe. Die Starts der Woche in Kürze.
Von Philipp Bovermann, Nicolas Freund, Martina Knoben, Philipp Stadelmaier, Anna Steinbauer, Anke Sterneborg und Martin Zips
Halloween Park
Nicolas Freund: Die ganze Nacht allein im Vergnügungspark, für eine Gruppe Teenies wird dieser Traum Wirklichkeit. Den Spaß an Achterbahn und Autoscooter trüben nur zwei Dinge: Parkmitarbeiterin Fiona, die den Jugendlichen vor einiger Zeit wegen Mobbing die Freundschaft gekündigt hat - und ein Axtmörder. Es kann ja durchaus ein unheimlicher Moment sein, wenn Spiel in Ernst kippt. Handlung und Dramaturgie dieses Horrorfilms von Simon Sandquist sind aber so vorhersehbar wie eine Karussellfahrt und so konsistent wie Zuckerwatte. Bitte nicht einsteigen.
Philipp Stadelmaier: Ein junger Doktorand der Quantenphysik (Jan Bülow) fährt 1962 mit seinem Professor zu einem Kongress in die Alpen und begegnet dort merkwürdigen Phänomenen aus parallelen Universen. Timm Krögers expressive Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind beeindruckend. Weniger gut ist die konfuse Handlung, die sich düster, selbstmystifizierend und mit reichlich Geraune unterlegt von Szene zu Szene schleppt.
Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Anke Sterneborg: Eigentlich will Harold Fry nur einen Brief zur Post bringen, doch dann geht er weiter, mehr als 500 Meilen quer durch England, ohne Gepäck, zu einer alten Kollegin und Freundin mit Krebs im Endstadium - in etwa so, wie das Werner Herzog 1974 für Lotte Eisner tat, von München nach Paris. Für den anspruchslosen Pensionär ist es ein langer Marsch zurück ins Leben, aus Einsamkeit und Schuld zur Begegnung mit vielen Menschen, die Anteil nehmen an seinem Abenteuer. Hettie Macdonald hat den Bestsellerroman der Schauspielerin und Schriftstellerin Rachel Joyce nach deren Drehbuch verfilmt, mit Jim Broadbent als Gewährsmann gegen Kitsch und Sentimentalität, für lebensweise Wahrhaftigkeit und britischen Humor.
Tobias Kniebe: Diese Netflix-Produktion handelt von einem philosophierenden Auftragskiller, der allein, methodisch und sehr präzise seiner Arbeit nachgeht - bis er einen Fehler macht und selbst zum Ziel wird. Im Ernst jetzt? Jawohl. David Fincher und seinen "Sieben"-Autor Andrew Kevin Walker schreckt es nicht, dass diese Figur (hier gespielt von Michael Fassbender) im Kino schon gefühlt tausendmal erzählt wurde. Es hätte sie aber schrecken sollen. Denn wenn man dem Genre so gar nichts Neues hinzufügen kann, erzeugen selbst gute Performances und eine elegante Inszenierung am Ende völlige Leere. (Im Kino, ab 10. November auf Netflix)
Monster im Kopf
Anna Steinbauer: Sandras Monster ist die unbändige Wut, die in ihr brodelt. Ständig muss sie ihre Kiefer zusammenpressen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Dass sie etwas Schlimmes getan hat, ist von Anfang an klar: Denn Sandra sitzt im Gefängnis - hochschwanger. In Rückblenden enthüllt Christina Ebelt die Vorgeschichte der jungen Frau mit Aggressionsproblem, die um ihr Kind kämpft. Dabei ist man so nah dran an der fantastischen Hauptdarstellerin Franziska Hartmann, dass man sie sich schwer vom Leib halten kann, gleichermaßen Abneigung und Sympathie empfindet.
Notes on a Summer
Philipp Stadelmaier: In Diego Llorentes'wunderbar einfachem, strahlend transparentem Sommerfilm fährt Marta (Katia Borlado) in den Ferien heim nach Asturien. Dort verliert sie sich schnell zwischen der Beziehung mit ihrem Freund aus Madrid und einer Affäre mit einem alten Liebhaber. Im Rhythmus kleiner Szenen und Begegnungen vertieft sich die Unentschiedenheit der jungen Frau zusehends. Das alles erinnert stark an Éric Rohmer. Nur mit mehr Sexszenen.
One for the Road
Philipp Bovermann: Er will nach dem Abend in der Bar eigentlich nur schnell umparken, besoffen und glücklich, schon ist der Lappen weg - Mark (Frederick Lau) muss zur medizinisch-psychologischen Untersuchung, um seine Sucht zu ergründen. Das findet er erst mal doof und unnötig, aber zusammen mit Kursteilnehmerin Helena (als versoffener Grufti mit Herz: Nora Tschirner) kommt er dann doch seinem Problem auf die Spur. Markus Goller erzählt dieses Therapiedrama mit großem Läuterungsfinale, Frederick Lau runzelt immerfort die Stirn, so sehr, dass man sich Sorgen macht, ob die Falten danach je wieder weggehen.
Neue Geschichten vom Pumuckl
Martin Zips: Es gibt eben doch ein Leben nach dem Tod: Zwar liegt Schreinermeister Franz Eder bereits unter der Münchner Erde, doch nun zieht sein Neffe Florian (Florian Brückner) in die Schreinerei und übernimmt dort nicht nur die Werkbank, sondern auch den Kobold. Selten ist die Wiederauflage eines Klassikers so gut gelungen wie in den "Neuen Geschichten vom Pumuckl" von Marcus H. Rosenmüller. Drei Folgen der für RTL+ produzierten Serie sind vorab im Kino zu sehen. Und siehe da: Der Pumuckl hat sich kaum verändert, sein Innenhof auch nicht, und dank der künstlichen Intelligenz spricht er sogar mit der Stimme Hans Clarins. Wunderbar.
The Lesson
Anke Sterneborg: Im Interview gibt sich der berühmte Autor J.M. Sinclair (Richard E. Grant) arrogant und selbstsicher: "Gute Autoren leihen, große Autoren stehlen", lautet sein Mantra. Als der ambitionierte Jungautor Liam (Daryl McCormack) die Chance sieht, seinem bewunderten Vorbild als Tutor dessen Sohnes ganz nah zu kommen, ahnt er nichts vom Netz aus düsteren Familiengeheimnissen um Schuld und Rache, um Manipulation und Intrige, auf das er sich da einlässt. Unter der Regie der Britin Alice Troughton wirkt das bisweilen ein wenig konstruiert, eine Schwäche, die aufgefangen wird: von tollen Schauspielern - neben den bereits genannten noch Julie Delpy -, die sich literarisch ziselierte Sätze auf der Zunge zergehen lassen.
Tori & Lokita
Martina Knoben: Nicht wegschauen, das Elend der Flüchtlinge sehen: Diese Botschaft vermittelt schon das erste Bild des Films, eine Nahaufnahme der 16-jährigen Lokita. Sie wird von einer Beamtin befragt, wie bei einem Verhör. Ihr angeblicher Bruder Tori hat bereits Papiere, Lokita nur eine Chance, in Belgien zu bleiben, wenn sie als dessen große Schwester durchgeht. Die großen Kino-Humanisten Jean-Pierre und Luc Dardenne erzählen einmal mehr von existenzieller Not und Ausbeutung, bedrückend realistisch, großartig sind vor allem auch die jungen Laiendarsteller. In einer brutalen Welt geben die Wahlgeschwister einander Halt, Rettung aber garantiert das nicht: Als Tori und Lokita sich mit Drogenhändlern einlassen, kämpfen sie bald ums Überleben.