Filmthriller:Kopfüber in die Nacht

Joshua und Ben Safdies "Good Time" ist kurzatmig und simpel und treibt seinen Protagonisten in die Ausweglosigkeit, schafft aber fantastische Großstadtpoesie.

Von Juliane Liebert

"Good Time" ist so ein Film, bei dem es mehr Spaß macht, sich mit ihm zu profilieren als ihn wirklich anzusehen. Ein auf Unterschicht getrimmter Robert Pattinson reitet seinen geistig behinderten Bruder erst in einen Bankraub rein und versucht dann, binnen einer Nacht aus der Nummer wieder rauszukommen, wobei er alles nur immer und schlimmer macht. Dazu ein nervöser Soundtrack und Schüttelkamera. 89 Prozent Lob auf Rotten Tomatoes, hymnische Rezensionen, in denen die Psyche des Hauptcharakters in Nuancen untersucht und auf Trump-Herrschaft, "Black Lives Matter" und Salatgurken bezogen wird. Aber man versuche mal, jemanden zu überreden, mit einem ins Kino zu gehen, um das Ding anzuschauen.

"Der ist so wie früher Scorsese, düster, beklemmend, und alles geht die ganze Zeit schief", könnte man sagen. Oder: "Erinnerst du dich an diesen Vampir, der mit der düsteren Pop-Prinzessin FKA Twigs verlobt war? Der hat jetzt einen experimentellen Film gemacht, damit wir ihm seine Sünden vergeben, Bock?" Ziemlich aussichtslos. Was schade ist, denn schon der Soundtrack ist hörenswert. Der amerikanische Avantgarde-Pop-Produzent Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never jagt mit einer Synthtrack gewordenen Peitsche den Hauptcharakter höchstpersönlich vorwärts, man könnte das gut zum Joggen hören, nur liefe man dann ohne es zu merken weiter bis zum Erschöpfungstod.

Good Time

Ein Ex-Vampir, der Absolution sucht? Robert Pattinson in „Good Time“.

(Foto: Verleih)

1982 hat Edgar Froese einen Soundtrack zu einem Film namens "Kamikaze 1989" gemacht, dem letzten Auftritt Fassbinders vor dessen Tod. Alles spielte in einer zukünftigen Welt, in der es keinen Selbstmord, keine Arbeitslosigkeit, keinen Alkohol (Buh!) mehr gibt. Die beiden Soundtracks sind sich extrem ähnlich, damals waren diese Sounds ganz neu, jetzt machen sie "Good Time" zu dem Film, der er ist. Was noch aus anderen Gründen interessant ist, doch dazu später.

"Good Time" ist wahnsinnig kurzatmig und völlig auf seinen relativ simplen Plot fixiert, aber schafft es paradoxerweise gerade dadurch, den Blick auf allerhand Faszinierendes am Rande zu lenken. So wird der Umgang mit einem behinderten Menschen in interessanter Ambivalenz gezeigt, denn klar, Robert Pattinson als Connie zieht seinem Bruder (gespielt von Ben Safdie) eine Maske über und schleift ihn zu einem Bankraub, verhält sich also völlig unverantwortlich. Aber er ist auch der Einzige, der seinen Bruder nicht als komplett unzurechnungsfähig behandelt. Zudem kommt der Film ohne richtigen Sympathieträger aus — es ist schon faszinierend, wie sich Connie in eine immer ausweglosere Situation manövriert. Der Zuschauer bleibt währenddessen die meiste Zeit sehr dicht an ihm dran, wodurch er seine Beklemmung voll übernimmt. Dabei werden ihm Räume eröffnet, die das eigentliche Herz des Filmes ausmachen, was aber eben nur funktioniert, weil die Dynamik des Erzählens so rasant ist.

In einer Szene versteckt sich Connie im Zimmer einer mutmaßlich Todkranken — und trinkt von ihrem Getränk. Im Kühlschrank eines Mädchen, bei dem er sich versteckt, sucht er Essen und findet nur Gläser mit vergammeltem Inhalt. Stattdessen hat sie TK-Chicken-Nuggets da, als einzig Essbares. Connie benutzt sein Gespür für seine Umwelt, um sich über Wasser zu halten. Man könnte das alles auf seinen sozialkritischen Gehalt hin sezieren, aber das würde dem Film nicht gerecht, weil er gerade umgekehrt vorgeht: Alles ist in der sich steigernden Ausweglosigkeit, in diesem einfachen Plot aufgehoben, als eine im Vorbeieilen aus dem Augenwinkel registrierte Seltsamkeit, die einem erst im Nachhinein richtig bewusst wird.

Dadurch wird "Good Time" keine konventionelle Milieustudie, sondern es überlagern sich sozialer Realismus, Genrefilm und eine - auch durch die Musik - zum Teil regelrecht fantastisch anmutende Großstadtpoesie. Womit wir wieder bei Froese wären - der Soundtrack zu "Kamikaze 1989" war der Soundtrack zu einer Zukunftsdystopie, OnePointOhTrixNevers (oder wie er auch heißt, den Namen hat er doch nur ausgesucht, um alle zu nerven) Filmmusik ist Froeses stellenweise so ähnlich, dass man sie gegeneinander austauschen könnte, aber er illustriert die Gegenwart.

Die Wahrheit ist vermutlich, dass niemand wirklich gern solche Filme sieht, aber in dem Fall könnte es lohnen, einen anderen (im Stile des Hauptcharakters) ins Kino zu zerren, man kann ja behaupten, man ginge ins Spa. Denn auch die Beiläufigkeit der Auflösung ist stark: Die Nacht endet trivial. Wie, wenn man ehrlich ist, die meisten Nächte.

Good Time, USA/Luxemburg 2017 - Regie: Joshua und Ben Safdie. Buch: Ronald Bronstein, Joshua Safdie. Kamera: Sean Williams. Mit Robert Pattinson, Jennifer Jason Leigh. Temperclayfilms, 101 Min.

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