Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Lesezeit: 4 Min.

Schauspielerin auf der Suche nach der "wahren Geschichte": Natalie Portman (links) und Julianne Moore in "May December". (Foto: Francois Duhamel/Wild Bunch Germany)

Helen Mirren zeigt Größe als Golda Meir in Israels schwerster Stunde, Todd Haynes macht aus einem Sensationsmedien-Skandal einen sehr klugen Film. Die Starts der Woche in Kürze.

Von Sofia Glasl, Fritz Göttler, Martina Knoben, Doris Kuhn, Annett Scheffel, Philipp Stadelmaier und Anna Steinbauer

Alle die du bist

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Annett Scheffel: So kompliziert und widersprüchlich wie die Liebe selbst ist auch dieser Film über ein Paar, dessen Liebe nach jahrelanger Beziehung fast erloschen scheint - nuanciert dargestellt von Aenne Schwarz und Carlo Ljubek. Michael Fetter Nathansky, der sich schon als Co-Autor der originellen Gesellschaftskritik "The Ordinaries" einen Namen gemacht hat, spielt hier auf raffinierte und feinfühlig melancholische Weise mit der subjektiven Wahrnehmung: Wer sind die vielen verschiedenen Ichs, Gefühle und Lebenslagen, die hier aufeinandertreffen? Welchen kann man trauen, wo beginnt die Selbsttäuschung? Erzählt wird im sozialrealistischen Stil, aber angereichert mit Elementen des Fantastischen. Ein kluger Liebesfilm weitab vom deutschen Mainstream-Kino.

Golda - Israels Eiserne Lady

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Philipp Stadelmaier: Guy Nattivs Film über die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (Helen Mirren, nicht wiederzuerkennen) während des Jom-Kippur-Kriegs von 1973 ist zu sehr muffiges Geschichtstheater, um ein direkter Kommentar zur brisanten Gegenwart des Staates Israel zu sein. Das Dekor der Vergangenheit wird nie verlassen - und der Film entstand vor dem Massaker des 7. Oktober. Interessant ist jedoch der Fokus auf Meirs ausgezehrten und kettenrauchenden (Staats-)Körper, der inmitten seiner filmischen Huldigung hinter dicken Rauchschwaden verschwindet.

Hinter guten Türen

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Martina Knoben: Ein Horrorhaus. Die Fassade gutbürgerlich, die Kinder werden gefördert, verwöhnt, offenbar geliebt. Tatsächlich gibt es Schläge für Kleinigkeiten, manchmal lachen dann alle und tun, als wäre nichts. Als der Vater tot, die Mutter im Altenheim ist, besucht Julia Beerhold ihr Elternhaus, das sie als "Asservatenkammer" empfindet, das aussieht wie ein Geisterhaus. In ihrer Doku entrümpelt sie, geht dem körperlichen und seelischen Missbrauch nach, indem sie mit der Mutter, dem Bruder und der früher besten Freundin spricht. Die Härte, mit der die Regisseurin privateste Dinge bloßlegt, Mutter und Bruder auch vorführt, spiegelt womöglich die Härte, die sie selbst als Kind erfahren hat. Wer gequält wird, quält, sagt die frühere Freundin über sie. Der Film ist Befreiungsschlag, Selbsttherapie, in manchen Momenten aber auch Psychoporno. Was Gewalt an Kindern anrichtet, hat man selten so eindrücklich gesehen.

Kulissen der Macht

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Fritz Göttler: Moralisch gesehen ist alles eindeutig, das weiß man seit dem Holocaust, seit Auschwitz: Um Genozide zu verhindern, muss die Weltgemeinschaft vereint aktiv werden - das gilt vor allem für die USA, die lange als der gute Welt-Cop galten. Wie diese moralische Forderung in konkrete Politik umgesetzt wurde, das ist umständlich und oft erschreckend ineffektiv - das haben die Genozide des Balkan, Ruanda, Libyen, Syrien gezeigt. Und besonders ineffektiv waren oft die UN. Dror Moreh muss in seiner beklemmenden Dokumentation nichts weiter tun als wechseln zwischen Bildern aus den Kampfzonen und amerikanischen Politikern und Beratern, die ihre Entscheidungen im Nachhinein analysieren - Madeleine Albright, Colin Powell, Samantha Power (Autorin des Buches "A Problem from Hell", später das "schlechte Gewissen" Obamas, UN-Botschafterin). Und angesichts von Leichenbergen, Folteropfern, Kellern mit getöteten Kindern werden die klarsten und saubersten - auch selbstkritischen - Analysen entsetzlich schal. Den aktuellen Bezug zu Ukraine und Gaza stellt man als Zuschauer selbst her. Außenminister Antony Blinken spricht am Ende im Zusammenhang mit Assads Syrien von amerikanischem Versagen.

Landshaft

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Doris Kuhn: Großartige Dokumentation über eine Reise in Armenien, nahe der Grenze zu Aserbaidschan. Die Bilder stehen lang, jedes einzelne wird beherrscht von den samtenen Bergen im Hintergrund. Daniel Kötter spricht mit Schafhirten, Kartoffelbauern, mit den Arbeitern der Goldmine von Sotk. Was sie bewegt, ist nur bedingt ihr Alltag, meist erzählen sie, wie das Nachbarland zum Feind wurde. Sie verstehen die vergangenen Kriege wenig, sie haben Furcht vor einem nächsten. Während die Landschaft den Krieg ohne Spuren geschluckt hat, erlebt man, wie er die Menschen zerrüttet.

Late Night with the Devil

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Sofia Glasl: 1977 im amerikanischen Entertainment-Himmel: Die Quoten sinken, und der Late-Night-Host Jack Delroy muss alle Register ziehen, um seine Show zu retten. An Halloween geht er deshalb mit einem Medium, einer Parapsychologin und einem angeblich vom Teufel besessenen Mädchen auf Sendung. Natürlich live, was soll schon schiefgehen? Nach den Regeln des Horrorfilms so ziemlich alles, und daraus macht das australische Regie-Duo Colin und Cameron Cairnes eine kluge Satire über mediale Geltungssucht. Ihre Siebzigerjahre-Retro-Brille liefert stilechte Horrorbilder, die einen Moment vergessen lassen, dass wir alle gemeint sind - und hier eigentlich über uns selbst schmunzeln.

May December

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Philipp Stadelmaier: Einst ging Gracie (Julianne Moore) für ihr Verhältnis mit einem Minderjährigen spektakulär ins Gefängnis - später hat sie ihn geheiratet. In diesem scheinbaren Eheglück bekommt sie nun Besuch von der Hollywood-Diva (Natalie Portman), die sie in einem Film verkörpern soll. Todd Haynes' brillant inszenierte und gespielte Groteske taucht eine Missbrauchsgeschichte in den Softporno-Look einer ätherischen Traumwelt, in der das Leben zweier Celebrities und eiskalter Meisterinnen der Manipulation zu einem obszönen Theater wird.

Nathalie - Überwindung der Grenzen

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Anna Steinbauer: Ein bisschen zynisch, aber gleichzeitig absurd komisch und schrecklich tragisch: Das gilt nicht nur für die europäische Migrationspolitik und das Verhalten der Politiker an der EU-Außengrenze in Sizilien im Jahre 2020, sondern auch für Regisseur Lionel Baiers treffsichere Satire. In Catania soll die französische EU-Beauftrage Nathalie Adler einen Staatsbesuch von Emmanuel Macron und Angela Merkel in einem Flüchtlingslager organisieren, wobei ihr aktivistischer Sohn ihr ordentlich dazwischenfunkt. Ein temporeiches, konstruiertes Familiendrama mit vielen Spitzen, die nachdenklich machen.

The End We Start From

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Annett Scheffel: Im Chaos eines überfluteten Londons versucht sich eine Frau mit einem Neugeborenen durchzuschlagen. Mahalia Belos stark bebildertes, aber etwas repetitives Spielfilmdebüt ist beides: existenzielles Drama und Klimakatastrophenfilm. Sie setzt aber in der Umsetzung mehr auf stille Momente als auf Actionszenen. Seine Kraft speist der Film fast vollkommen aus der emotionalen Wucht von Hauptdarstellerin Jodie Comer. Sie ist der glühende Kern dieser mit apokalyptischen Metaphern und moralischen Fragen angefüllten Geschichte, die ohne sie die individuelle Ebene etwas aus den Augen verlieren würde.

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