Filmstarts der Woche:Welche Filme sich lohnen und welche nicht

Die Romanze "Gut gegen Nordwind" mit Nora Tschirner und Alexander Fehling ist liebenswert altmodisch. "Liberté" mit Helmut Berger bleibt dagegen ein zögerliches Experiment.

Von den SZ-Kinokritikern

Idioten der Familie

1 / 10
(Foto: Farbfilm Verleih)

Fünf erwachsene Kinder in ihrem Elternhaus, in dem die ältere Schwester Heli (Jördis Triebel) das geistig behinderte Nesthäkchen der Familie versorgt hat. Jetzt will sie mit einem Mann ein neues Leben beginnen, Ginnie (Lilith Stangenberg) soll ins Heim, zum Abschied versammeln sich die Geschwister noch ein letztes Mal zuhause. Sukzessive erschließt sich die komplizierte Familiengeschichte mit ihren Konstellationen und Kräfteverhältnissen aus kleinen Gesten und knappen Bemerkungen. Der Film, mit dem Michael Klier eine lange Spielfilm-Pause beendet, ist ein Kammerspiel in den Räumen eines Hauses am Rande von Berlin und kreist um die Egoismen des modernen Lebens. Die große Frage: Wer sind hier eigentlich die Idioten?

Gut gegen Nordwind

2 / 10
(Foto: Anne Wilk/Sony Pictures/dpa)

Am Anfang war nicht das Wort, sondern ein Tippfehler. So lernen sich die zwei Stadtromantiker Leo und Emmi in Daniel Glattauers viel verkauftem E-Mail-Roman kennen, ein "e" zuviel bringt sie auch in der Verfilmung von Vanessa Jopp näher. Seit dem Erscheinen des Buchs sind dreizehn Jahre vergangen, was im Zeitalter digitaler Kommunikation ungefähr so viel ist wie 130 Jahre. Also schaut man Nora Tschirner und Alexander Fehling dabei zu, wie sie sich Mails schicken und versichern, den anderen digital nicht zu stalken. Das glaubt ihnen zwar kein Mensch, ist aber hübsch erzählt und charmant rückwärtsgewandt.

Ein leichtes Mädchen

3 / 10
(Foto: dpa)

Die 16-jährige Naïma verbringt einen Sommer mit ihrer aufreizenden Cousine in Cannes. Die Männer kleben wie Kletten an Sofia, die wie das Klischeebild einer dummen Sexbombe auftritt, dann aber über Marguerite Duras referiert. Regisseurin Rebecca Zlotowski hat sie mit Zahia Dehar besetzt, die als minderjährige Prostituierte bekannt wurde, weil sie mit Franck Ribery schlief, und spielt in ihrer Coming-of-Age-Tragikomödie mit Erwartungen und Vorurteilen.

Liberté

4 / 10
(Foto: Copyright Droits réservés)

Deutscher Wald als letzter Zufluchtsort. Drei ruchlose Adelige werden vom Hof des französischen Königs Ludwigs XVI verjagt. Auf einer Lichtung irgendwo zwischen Berlin und Potsdam probieren sie ihre Utopie, die einer grenzenlosen, absoluten,die Körper verachtenden und verzehrenden Lust. Fünfzehn Jahre sind es noch bis zur Französischen Revolution. Der deutsche Herzog von Walchen, nicht minder berüchtigt, soll ihnen dabei helfen. Man plant (und zerredet diesen Plan zugleich), aus einem nahegelegenen Kloster die Novizinnen zu entführen. Ein kühnes, aber immer wieder zögerliches Experiment, ein finsterer (Selbst-)Befriedigungstrip, von Albert Serra erst auf dem Theater inszeniert, in der Berliner Volksbühne, dann fürs Kino. Mit Visconti-Star Helmut Berger als Herzog von Walchen.

Mein Leben mit Amanda

5 / 10
(Foto: dpa)

Mikhaël Hers erzählt erneut von einem traumatischen Verlust und seiner Heilung: Nachdem seine Schwester in Paris bei einem Anschlag stirbt, muss der von Vincent Lacoste gespielte David (24) seine Nichte (7) in Obhut nehmen. In seinem letzten tollen Film zeigte er subtil das Verschwinden von Trauer, hier leider nur die triviale Idee des Lebens als Spiel, bei dem man zurückfallen kann und wieder aufholen muss.

Schwimmen

6 / 10
(Foto: Copyright UCM.ONE)

Auf den ersten Blick ist Luzie Looses Debüt eine klassischer Coming-of-Age-Film. Aber die junge Regisseurin erzählt die brüchige Freundschaftsgeschichte zweier Mädchen in eindrücklich rauschhaften, zärtlichen und subjektiven Bildern und Stimmungen. Zwischen Mobbing in der Schule, Konflikten mit den Eltern und den ersten euphorischen Ausflügen in die Nacht suchen die Mädchen aneinander Halt und halten alles fest - in Handy-Videos, die bald auch zur Waffe gegen die Mitschüler werden. Trotz, Selbstvergewisserung und Verletzlichkeit liegen nie weit entfernt. Die Übergänge sind bei Loose sinnliche Erfahrung.

Thinking Like a Mountain

7 / 10
(Foto: Déjà-vu Film)

Das Volk der Arhuacos kämpft in den Bergen Kolumbiens um sein Land und seine Kultur. So ähnlich beginnen häufig die Inhaltsbeschreibungen von Dokumentarfilmen, die ethnokitschige Indianergeschichten abspulen. Der Film von Alexander Hick hingegen interessiert sich angenehm wenig für Politik und die Systematik hinter der Unterdrückung der Arhuacos, sondern wandelt wie ein melancholischer Flaneur zwischen den Indigenen, die dort für die Handyfotos der Touristen aus dem Fluss trinken, aber tatsächlich an dieses Leben glauben, das in der Erde, dem Fels und den Schatten der Wälder wurzelt, im gespenstischen Land zwischen Tradition und Moderne.

Über Grenzen

8 / 10
(Foto: |Copyright Camino Filmverleih GmbH)

Auf Reisen gehen, den persönlichen Blick auf die Welt filmisch festhalten und dann übers Kino ausstellen - das ist ein populäres Prinzip der Selbstvermarktung. Hier sucht die Rentnerin Margot aus Hessen die Begegnung mit der Fremde und fährt mit einer Honda 125 durchs Pamirgebirge. Ihr Entschluss, zeitweise die Filmemacher Johannes Meier und Paul Hartmann mitzunehmen, zahlt sich in brillanten Landschaftsbildern aus. Der Amateurfilm-Charakter wird durch ihre steten Kommentare trotzdem deutlich.

Wer 4 sind

9 / 10
(Foto: dpa)

Als Deutschrapper relevant bleiben? Schwer. Über Jahrzehnte? Eigentlich unmöglich. Eigentlich. Die Fantastischen Vier spielen in Jahr 30 seit ihrer Gründung Solo-Shows in Stadien, sind also groß wie nie, und Regisseur Thomas Schwendemann will deshalb in "Wer 4 sind" wissen, wie, zum Teufel, das sein kann. Seine Theorie: Eine spezielle Form von Freundschaft treibt die Band an. In diesem Punkt ist seine Doku ein mittelschwerer Herzensbrecher. Auf der Ebene drüber ist sie ein famoses Stück darüber, wie man trotz Wohlstandsbauch und einsetzendem Ideenmangel nicht peinlich wird.

Das Wunder im Meer von Sargasso

10 / 10
(Foto: Copyright Real Fiction Filmverleih)

Zwei Frauen stecken fest. In einem griechischen Küstenkaff, in dem es nicht viel mehr gibt als eine Aalfabrik und heiße Einöde. In einem männerdominierten Morast aus Drogen, Gewalt, Inzest. Eine kaputte Polizistin und die Schwester des örtlichen Schnulzensängers, dessen Tod die beiden schließlich zusammenführt. Syllas Tzoumerka verrennt sich in seinem Kunstkrimi zwar etwas zwischen mythologischem Thriller, Greek Weird Wave und Lynch-Hommage. Die Atmosphäre der Kleinstadthölle zeichnet er aber eindrucksvoll nach: eine Welt der Verbitterung und Fluchtfantasien, in der Wunder immer nur Metaphern bleiben.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: