Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen und welche nicht
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Paul Verhoeven inszeniert Sex hinter Klostermauern, Lady Gaga spielt eine böse Italienerin, und Paolo Sorrentino erzählt von seiner Jugend in Neapel. Die Starts der Woche in Kürze.
Von den SZ-Kritikern
Benedetta
Philipp Stadelmaier: Benedetta Carlini (Virginie Efira), eine italienische Nonne im 17. Jahrhundert, hat Visionen von Jesus, führt eine lesbische Beziehung mit einer Novizin (Daphné Patakia) und bringt es dank einiger Wunder, die ihr zugeschrieben werden, zur Äbtissin. Oder manipuliert sie nur alle, die Novizin inklusive? Paul Verhoevens unruhiger, wunderbar ironischer Film dreht sich um die Macht der Körper und der Sexualität im Glauben und ist ein kraftvolles Plädoyer für den Glauben an die Bilder und Fiktionen der Glaubensmaschine Kino.
Bloody Nose, Empty Pockets
Sofia Glasl: Die letzten 24 Stunden vor dem endgültigen Zapfenstreich in einer ranzigen Bar in Las Vegas. Die Stammkundschaft des "The Roaring 20s" ist wehmütiger als sonst, und hinter ihren Witzen verbergen sich oft tiefgründigere Lebensweisheiten, als sie es zugeben würde. Wer hier ein Zuhause gefunden hat, ist an der Gesellschaft gescheitert und muss nun die metaphysische Obdachlosigkeit fürchten. "Bloody Nose, Empty Pockets" von Bill und Turner Ross ist ein Saufabend zwischen Dokumentarfilm und Fiktion - die Bar und ihre Trinker gibt es wirklich, die Handlung ist dirigiert. Eine herzzerreißende, urkomische und tröstliche Ode an einen Zufluchtsort und ein Blick in die Seele derer, die sich ihm öffnen.
Das Ende des Schweigens
Anke Sterneborg: Ein junger Mann steht oben auf dem Goetheturm am Geländer und schickt sich an herunterzuspringen. Diesem Bild wollte der vietnamesisch deutsche Regisseur Van-Tien Hoang auf den Grund gehen und stieß auf ein unrühmliches und verschüttetes Kapitel der deutschen Justiz, die den Paragraf 175 in den frühen Fünfzigerjahren im Geiste des Nationalsozialismus durchsetzte. Mit Kronzeugenunterstützung des 17-jährigen Strichjungen Otto Blankenstein wurde die gerade wiederauflebende Schwulenszene Frankfurts mehrere Monate mit Verhaftungen, Anklagen und Verurteilungen drangsaliert. Historische Fakten werden im Gespräch mit Historikern und Überlebenden ausgebreitet und durch Spielszenen illustriert, die so steif, blutleer und überlang wirken, dass sie dem toxisch biederen Klima der Fünfzigerjahre in quälender Weise entsprechen.
Gunpowder Milkshake
Fritz Göttler: Eine magische Tochter-Mutter-Geschichte, herzzerreißend und splatterig. Die zwei sind im selben Geschäft, arbeiten erfolgreich als Profi-Killerinnen. Kapitalismus pur: Die ganze Welt wird von einer Organisation beherrscht, die "Die Firma" heißt und jede Menge Aufträge vergibt. Karen Gillan ist Sam, die Tochter, Lena Headey Scarlet, die Mutter, und den Rücken halten ihnen drei tolle weise Frauen frei, drei Bibliothekarinnen, die das Wissen der Welt hüten und eine Menge Schusswaffen dazu. Es spritzt viel Blut im Film des israelischen Regisseurs Navot Papushado, aber die Momente des Verlierens und Wiederfindens, des ewigen Kampfes gegen die Einsamkeit zeugen von unerschütterlicher Solidarität. Besonders groß ist die Einsamkeit eines Vaters: Ich habe meine vier Töchter geliebt, aber nie verstanden, konstatiert er. Und dann wird ihm sein einziger Sohn umgebracht ...
The Hand Of God
Tobias Kniebe: Einen Oscar und viele andere Trophäen hat Paolo Sorrentino schon, seine größte Story aber hat er erst jetzt verfilmt - es ist die eigene Jugend in Neapel. Wildes Panoptikum der Figuren: Eine exzentrische Diva, deren Erotik kein Verfallsdatum kennt, schwache Männer, ein giftiges altes Schandmaul - und eine Tante von überirdischer Sinnlichkeit, die in der Psychiatrie endet. Dazu von Ferne verehrt: Diego Maradona, der den SSC Neapel endlich zum Sieg führt und damit auch dem jungen Fabietto (Filippo Scotti) Mut für die Zukunft macht - bis ein Unfall der Eltern sein junges Leben aus der Bahn wirft. Ein schöner und trauriger Herzensbildungsweg, der sich in jedem Moment wahr anfühlt. (Im Kino, ab 15. Dezember auf Netflix.)
House of Gucci
Tanja Rest: Aufstieg und Fall der Familie Gucci als amerikanisches Star-Kino in italienischen Kulissen, inklusive einiger spektakulärer Kriminalfälle. Was in Sara Gay Fordens Buchvorlage vor Gier, Glamour und Mord nur so prickelte, wird dank der Ideenlosigkeit des Regisseurs Ridley Scott und einiger Knallchargen im Cast der Gleichgültigkeit anheimgegeben. Weder als Farce noch als Drama überzeugend. Allein Lady Gaga als mörderische Gucci-Gattin reißt es halbwegs raus.
Plötzlich aufs Land
Josef Grübl: Ihre Abschlussarbeit hat sie über Viren im Tierreich geschrieben, jetzt will sie als Pandemie-Expertin viel Geld verdienen. Doch stattdessen landet die Veterinärin Alex in einer Tierarztpraxis in der französischen Provinz. Die Regiedebütantin Julie Manoukian erzählt in dieser Culture-Clash-Komödie von stolzen Großstädterinnen und sturen Bauern, aber auch von trächtigen Kühen, depressiven Hunden und kratzenden Katzen. Wie die Geschichte ausgeht, ist klar, dank des spröden Charmes von Hauptdarstellerin Noémie Schmidt folgt man ihr aber ganz gern.
Vater - Otac
Josef Grübl: Er ist gekommen, um sich zu beschweren: Nachdem er seinen Job verlor, seine Frau sich bei lebendigem Leib angezündet hat und das Amt ihm die Kinder wegnahm, wandert der serbische Hilfsarbeiter Nikola zu Fuß zum zuständigen Ministerium nach Belgrad. Srdan Golubović ließ sich von einer wahren Begebenheit inspirieren, er erzählt in diesem Sozialdrama von den Ärmsten der Armen, in einem Land, das architektonisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zerfällt. Dafür braucht er nicht viele Worte, der Blick ins abgekämpfte Gesicht seines hervorragenden Hauptdarstellers Goran Bogdan genügt.
Weihnachten im Zaubereulenwald
Ana Maria Michel: Weil Eias Eltern arbeiten müssen, verbringt sie Weihnachten auf dem Zaubereulenhof. Im verschneiten estnischen Winterwald trifft die Zehnjährige viele freundliche Menschen. Anu Aun verbreitet mindestens so viel Heimeligkeit wie eine Tasse Kakao am Kaminfeuer. Auch an Spannung fehlt es nicht; der Wald ist in Gefahr. Das Ende mit Feuerwerk wirkt in einem Film, der den Naturschutz hochhält, jedoch etwas merkwürdig. Aber noch ein Schluck Kakao, und man kann ausnahmsweise darüber hinwegsehen.
Die Zähmung der Bäume
Fritz Göttler: Ein Baum senkt sich langsam und bedächtig. Er ist viele Meter hoch, hundert Jahre alt, ein unerwartetes Bild. Er wird nicht gefällt, sondern niedergelegt, das gesamte Wurzelwerk ausgegraben. Ein reicher Mann aus Georgien hat ihn gekauft und lässt ihn verpflanzen in seinen privaten Park. Salomé Jashi hat die Arbeiten beobachtet, mit Baggern und Motorsägen, und die Reaktionen der Einwohner, die sich wundern und trauern und fragen, was das alles für sie bedeuten mag, Die Logistik für den Transport ist aufwendig, Straßen werden gebaut, andere Bäume gefällt, um den Weg frei zu kriegen. Eine kleine beschauliche - aber auch: verstörende - Meditation über Natur und Zivilisation, Bewahren und Fortschritt, große Pläne und Kollateralschäden. "Alles, was wir in diesem Leben tun, wird im nächsten aufgewogen." Und es gibt ein elementares Traumbild, ein gewaltiger Baum auf einem Floß im Meer, der langsam auf die Küste zugleitet.