Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

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Eine Schäferhündin muss Kriegstraumata verarbeiten, und Leander Haußmann verhohnepiepelt die Stasi. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Auswahl aus den Starts der Woche.

Bettina

Juliane Liebert: "Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran. /Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann." Die Verse aus Bettina Wegners Lied "Kinder" haben nichts von ihrer schlichten Intensität verloren. Das Lied machte die 1947 in West-Berlin geborene, in Ost-Berlin Icke-sozialisierte und schließlich vom SED-Regime zur Übersiedlung zurück in den Westteil der Stadt gezwungene Songwriterin auch in der Bundesrepublik und mit Joan Baez' Version einem Weltpublikum bekannt. Lutz Pehnert hat der Künstlerin nun einen von tiefer Sympathie getragenen, aber nie ranschmeißerischen Dokumentarfilm gewidmet, der sie ausführlich zu Wort kommen lässt. Er zeichnet das Bild einer eigensinnigen, unbestechlichen Frau, die im Herzen stets Bürgerin der DDR blieb, aber keine faulen Kompromisse einzugehen bereit war, wenn es um die individuelle Freiheit des Ausdrucks in der Rede, in der Kunst ging, kurz: um Menschlichkeit.

Dog

​​ Anke Sterneborg: Army Ranger Jackson Briggs (Channing Tatum) und die belgische Schäferhündin Lulu haben beide im Krieg gedient und wurden als versehrt ausgemustert. Ihre gemeinsame Reise an der Pazifikküste entlang zur Beerdigung des gefallenen Freundes und Herrchens ist ein komödiantisches Buddy Movie mit ernsten Untertönen. Die beiden raufen sich zusammen, und therapieren sich dabei gegenseitig. In seinem Regiedebüt lässt Channing Tatum (Co-Regie Reid Carolin) seinen bewährt jungenhaften Charme spielen, und weckt Aufmerksamkeit für das posttraumatische Belastungssyndrom, mit dem viele Kriegsveteranen allein gelassen werden.

Fuchs im Bau

Martina Knoben: Nein, das ist kein Tierfilm, "Fuchs" ist Lehrer an einer Gefängnisschule. Alle sind hier hochnervös: der Neue im "Bau" (Aleksandar Petrović), die erfahrene Gefängnislehrerin Elisabeth Berger (Maria Hofstätter), deren eigenwilliger Unterrichtsstil dem Gefängnisleiter nicht passt, auch die Kamera findet keine Ruhe. Und die Kids mit ihren verkorksten Leben und der ultrakurzen Lunte sind sowieso eine Klasse für sich. Arman Riahi packt ein bisschen viel, vor allem viel gute pädagogische Absicht in seinen Schulfilm. Die Schauspieler aber sind toll.

One Of These Days

Doris Kuhn: Ein texanisches Spektakel: 20 Menschen stehen um einen Pick-Up, wer als Letzter die Hand von der Karosserie nimmt, hat ihn gewonnen. Bastian Günther beobachtet sie und die Gaffer drumherum, er lässt es schön dokumentarisch aussehen. In den Gesichtern liegt die Hoffnung auf den amerikanischen Traum, der sich nicht im Besitz eines Autos äußert, sondern im Gewinnen. Diese Hoffnung zerstückelt der Film sukzessive in Wut, Demütigung, Resignation - bis er sich an seinen fiktionalen Auftrag erinnert und einen schwer verständlichen Höhepunkt erfindet.

Sechs Tage unter Strom

Josef Grübl: Am Montag sind sie bei einem Hundertjährigen, am Dienstag sperrt man sie auf dem Balkon aus. Am Mittwoch wird Moha Model, am Donnerstag müssen sie ins Küchenstudio und am Freitag zur Paartherapie. Die drei Handwerker Valero, Pep und Moha installieren Lüftungsanlagen, legen Leitungen oder reparieren Toiletten. Das machen sie auch im echten Leben, die Spanierin Neus Ballús hat die Hauptrollen mit Laiendarstellern besetzt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, der Film ist lebensnah und sympathisch, gleichzeitig überrascht er mit lakonischem Witz und visuellen Gags.

Stand up my Beauty

Fritz Göttler: Die Last dieser schönen Stadt trage ich in mir ... Nardos schlägt sich als Azmari-Sängerin durch, ihr Zentrum ist der Club Fendika in Addis Abeba - es ist eine ganz eigene Beziehung, die beim Singen entsteht, zu jedem einzelnen Zuhörenden. Heidi Specogna, der das Münchner Dokfest eben eine Retrospektive widmete, hat Nardos' Leben über einige Jahre beobachtet, die große Stadt und deren Frauen. Von ihrer Mutter wurde sie zu einer Tante nach Addis Abeba geschickt, in dem Dorf, wo sie geboren ist, hätte ihr die Verheiratung im Kindesalter gedroht. Viele Frauen, die Nardos aufsucht, arbeiten hart, für ihre Kinder und um sich eine künstlerische Freiheit zu schaffen, sie schuften als Tagelöhnerin auf Baustellen, als Lastenschlepperin auf den Straßen. Eine kraftvolle, unsentimentale Solidarität durchzieht den Film, manchmal kämpferisch. Als Nardos' Mann in Melbourne Arbeit sucht, singt sie: Enttäusch mich nicht ... Wehe dir, wenn du dich nicht mehr in mir spiegelst.

Stasikomödie

Kathleen Hildebrand: Nach "Sonnenallee" und "NVA" beendet Leander Haußmann seine DDR-Trilogie mit diesem arg versöhnlichen Klamauk. Ein junger Mann (sehr charmant: David Kross) wird aus Versehen Stasi-Leutnant, der die Künstlerszene vom Prenzlauer Berg infiltrieren soll, dann aus Versehen Dichter und heiratet - nicht aus Versehen - eine Aufrührerin. Das hat schöne Momente wie den Rokoko-Kostümball des Stasichefs und ein inniges Männerduett im queeren Ost-Kabarett. Aber zur wirklich guten Komödie fehlt der Blick in den gar nicht harmlosen Abgrund der Wirklichkeit.

X

Nicolas Freund: X-Rated, so wurden in den USA früher die Filme bezeichnet, die wegen zu viel Sex oder Gewalt keine Jugendfreigabe hatten. "X" von Regisseur Ti West stellt sich bewusst in diese Tradition, denn es geht um Sex und Gewalt. 1979, irgendwo in Texas: Die Dreharbeiten für einen Porno arten zu einem wilden Gemetzel zwischen junger Filmcrew und altem Farmer-Pärchen aus. Klingt nach übelstem Exploitation-Trash, aber mit ironischen Dialogen und abrupten Schnitten wie bei der Nouvelle Vague unterläuft der Film ganz bewusst viele Genre-Konventionen, um sie dann doch wieder zu befolgen. Ein fieses Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, das in den besten Momenten die erotischen Untertöne des Horrors entblößt. Ti West zerlegt das Genre fein säuberlich in seine Bestandteile und lässt es dann umso schöner wieder auferstehen.

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