Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Neu in Kino & Streaming: Florian Lukas als "Heinrich Vogeler", um 1900 herum der Jugendstil-Prinz des deutschen Bürgertums.

Florian Lukas als "Heinrich Vogeler", um 1900 herum der Jugendstil-Prinz des deutschen Bürgertums.

(Foto: Farbfilm)

Auch Vampire haben Karl Marx gelesen, und ein indischer Junge findet das Glück im Dorfkino. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Blutsauger

Juliane Liebert: Für links halten sich sicher viele Regisseure in Deutschland. Was sie darunter verstehen, bleibt aber in der Regel diffus. Julian Radlmaier ist anders. Bei ihm hängt "Das Kapital" vermutlich als zerfledderte Leseausgabe neben dem Klopapier, findet sich unterm Kopfkissen und im Strandgepäck. Insofern ist es nur folgerichtig, dass er mit "Blutsauger" eine marxistische Vampirkomödie abliefert - auch Untote haben ein Anrecht auf Sommerurlaub!

Heinrich Vogeler

Kathleen Hildebrand: Er ist etwas in Vergessenheit geraten, dabei hat der Maler, Gestalter, Architekt und Schriftsteller mit seinem "Barkenhoff" um 1900 das Zentrum der Künstlerkolonie Worpswede aufgebaut. Heinrich Vogelers Weg vom Jugendstil-Prinzen und Lieblingsdekorateur des deutschen Bürgertums zum politischen Künstler zeigt Marie Noëlle mit dem wie immer wunderbar seelenvollen Florian Lukas in der Hauptrolle. Es überzeugt nicht jeder Kaleidoskopsplitter ihrer recht experimentellen Dokufiktionscollage. Aber wie wohltuend ist es, ein historisches Künstlerleben mal nicht als pathetische Ausstattungsorgie nach Schema F zu sehen.

Das Licht, aus dem die Träume sind

Anke Sterneborg: Der neunjährige Samay, der mit seiner Familie in einer kleinen, abgelegenen Stadt in Indien lebt, entdeckt die Magie des Kinos und beschließt, sie gegen die bilderfeindlichen Traditionen seines brahmanischen Vaters zu seinem Lebensinhalt zu machen. Zusammen mit seinen Freunden bastelt er aus Schrottteilen einen Stummfilmprojektor, die Geräusche zu den gestohlenen Filmrollen spielen die Kinder live für die ganze Gemeinde ein. In dieser sprühend lebendigen Coming-of-Age-Geschichte, die der Verleih treffend als Cinephilgood-Drama bezeichnet, lässt Pan Nalin die Funken seiner eigenen Kinoerweckungserlebnisse überspringen.

Meine schrecklich verwöhnte Familie

Josef Grübl: Umerziehungsmaßnahmen im Kino setzen auf möglichst große Kontraste, da macht diese Komödie des Franzosen Nicolas Cuche keine Ausnahme. Er erzählt von einem Millionär und seinen drei arbeitsscheuen Kindern, die ein Luxusleben in Monaco führen - Shopping-Exzesse, Protzautos und Heiratsschwindler-Schwiegersöhne inklusive. Als der Papa (Gérard Jugnot) den Geldhahn zudreht und den Nachwuchs nach Marseille entführt, gibt es nur noch Klapperkarren und Toast in Öl. Subtil ist das nicht, überraschend auch nicht, aber immerhin temporeich erzählt. Und am Ende sind wirklich alle Beteiligten umerzogen.

Nico

Sofia Glasl: Nie wieder will sie Opfer sein, so der Vorsatz der Altenpflegerin Nico. Sie ist Berlinerin, aber ein islamophober Angriff hat ihr gezeigt, dass nicht alle das so sehen. Im Karate-Dojo härtet sich die sonst so unbeschwerte Frau ab, körperlich wie seelisch. Doch es bleibt eine hilflose Wut, an der Freundinnen wie Patienten abprallen. Aufmerksam und dennoch leichtfüßig erzählt Eline Gehring in ihrem Spielfilmdebüt von Traumabewältigung, Generationenkonflikten und Alltagsrassismus. Dabei bricht sie gewitzt Stereotypen und skizziert eine Welt, in der Diversität kein Schimpfwort ist und die trotz allem Ernst durchlässig bleibt für Humor und Wohlwollen.

We Are All Detroit

Martina Knoben: "Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein." Mit dem berühmten Gedicht von Andreas Gryphius von 1637 beginnt eine wehmütige Doku über den Wandel vom Industrie- zum Digitalzeitalter, beobachtet in den ehemaligen Autostädten Bochum und Detroit. Der Film ist nicht frei von Ruinenpornästhetik, Ulrike Franke und Michael Loeken aber nehmen sich vor allem viel Zeit für die Menschen, die dem Alten hinterhertrauern oder mutig Neues angehen. Ein paar Perspektiven gibt es. Die Ratlosigkeit, auch der Filmemacher, aber ist mit Händen zu greifen. Wenn immer weniger Menschen für die Arbeit gebraucht werden - wie kann es in Zukunft weitergehen?

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