Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Im herrschaftlichen Anwesen von "Downton Abbey" wird ein Film gedreht, und Marilyn Monroes Tod wird noch einmal untersucht. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Alles, was man braucht

Eva Goldbach: Ein Dorf stirbt, wenn es keine Treffpunkte mehr gibt, keinen Markt und keinen Bäcker. Die Filmemacherin Antje Hubert begegnet Menschen, die das Landleben aufblühen lassen, weil sie sich dem Trend entgegenstellen, der alle zu den Discounter-Hallen auf der grünen Wiese treibt. Dass ein Dokumentarfilm über bewussten Konsum unser Leben ändern wird, ist unwahrscheinlich. Aber vielleicht erkennen wir, wie wertvoll ein Tante-Emma-Laden - oder in diesem Fall ein Tanta-Hannah-Laden - doch sein kann. Und merken, dass ein einfaches Glas Rotwein dort ganz fantastisch sein kann.

Downton Abbey 2: Eine neue Ära

Nicolas Freund: Große Aufregung in Downton Abbey: Auf dem noblen Anwesen soll ein Film gedreht werden. Die Bewohner und das Personal sind mal wieder entzweit, ist das eine große Modernisierungschance oder der endgültige Niedergang des englischen Adels? Neben der Beantwortung dieser existenziellen Frage muss auch noch das geheimnisvolle Erbe einer schicken Villa an der französischen Riviera geklärt werden. Hat die alte Gräfin (Maggie Smith) etwa wieder einen längst verflossenen Lover verschwiegen? Regisseur Simon Curtis und "Downton"-Erfinder Julian Fellowes als Drehbuchautor haben den Fans der beliebten Serie eine zweite Kinofortsetzung geschenkt, in der es noch immer um den Epochenbruch zur Moderne geht. Der wird dieses Mal aber nicht am Beispiel eines Weltkriegs oder der Spanischen Grippe, sondern mit dem Aufkommen des Tourismus und des Tonfilms erzählt - wie immer toll ausgestattet und mit mehr Humor als in der TV-Serie. Eine willkommene Auszeit von dem Epochenwandel, der gerade über unsere Zeit hereinbricht.

Everything Everywhere All At Once

Timo Posselt: Der Versuch, die Steuererklärung auszufüllen, endet hier in in einem kosmischen Kampf durch mehrere Universen. Konsequenterweise prügelt sich die chinesischstämmige Waschsalonbetreiberin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) dabei unter anderem mit ihrer Steuerbeamtin (herrlich grummelig: Jamie Lee Curtis). Plausibel ist an diesem Film von Dan Kwan und Daniel Scheinert gar nichts, gibt man sich seinem Irrwitz dennoch hin, wird man belohnt mit einem fiebrigen Soundtrack und surreal überbordenden Bildwelten.

Das Glaszimmer

Josef Grübl: Ihr Haus hat kein Dach mehr, deshalb fliehen Mutter und Sohn in den letzten Kriegswochen des Jahres 1945 aus dem zerbombten München nach Niederbayern. Im Dorf will der Elfjährige kein Außenseiter sein, also nimmt er an den Wehrübungen und Feuerläufen der Nazi-Ortsgruppe teil, spielt "Westfront" oder "Häuserkampf". Christian Lerch erzählt eine Geschichte über die Macht der Verführung, dabei bleibt er nah an seinen jugendlichen Protagonisten. Der auf wahren Begebenheiten basierende Film ist eine Mischung aus moralischem Erbauungskino, Abenteuerdrama und Coming-of-Age-Story.

Luzifer

Philipp Bovermann: Nebel zieht übers Hochmoor, eine Frau und ihr erwachsener Sohn verlassen die Gebirgshütte, um am verbrannten Baumstumpf zu beten. Sie ist tätowiert, gezeichnet von ihrer Vergangenheit als Alkoholikerin und ihrer Läuterung zu Jesus, er ist schwachsinnig und spricht kaum; Franz Rogowski spielt ihn sanft wie ein Kalb und tief wie die Nacht. Peter Brunner erzählt vom Rückzug dieser beiden Menschen aus der Gegenwart und deren aggressivem Nachrücken in Form von Drohnen - Zeichen des Wahns. Vieles bleibt Andeutung und Symbol. Schwere Bilder umkreisen einander, wollen unbedingt Filmkunst sein.

Der Mann, der die Welt aß

Anna Steinbauer: Er ist die Ausgeburt toxischer Männlichkeit: Er lässt seine Frau mit den beiden Kindern sitzen, gibt seinen Job auf, um frei zu sein, missbraucht den besten Freund als Kreditgeber und kümmert sich weder um den kranken Bruder noch um den alten Vater. In Johannes Suhms reduzierter Adaption des Theaterstücks "Der Mann, der die Welt aß" des erfolgreichen Bühnenautors Nis-Momme Stockmann wird der Zuschauer Zeuge der unaufhaltsamen Selbstzerstörung des männlichen Protagonisten. Verdrängte Gefühle, Kommunikationsunfähigkeit und tief sitzende Aggression kumulieren zum atemlosen Generationenporträt. Noch Midlife-Crisis oder schon Depression? Harte Kost in jedem Fall.

Mysterium Marilyn Monroe: Die ungehörten Bänder

David Steinitz: Warum starb Marilyn Monroe, und wer könnte ihren Tod gewollt haben? Emma Cooper rekonstruiert in ihrem Dokumentarfilm die letzte Nacht der Schauspielerin vom 4. auf den 5. August 1962, verspricht mit viel "Pimp Your Doku"-Tamtam neue Enthüllungen über alte Verschwörungslegenden - und zeigt dann doch nur, wo Journalismus aufhört und Netflix anfängt (ab 27. April).

Die Odyssee

Martina Knoben: Zwei Kinder auf der Flucht, vertrieben von Schattenmännern in Uniform, die ihr Dorf abbrennen, seine Bewohner quälen und drohen zu töten. Florence Miaihe erzählt die Geschichte in animierten Ölbildern, die wunderschön sind, eigenwillig und kostbar. Reale Gräuel der Migration wie die Todesgefahr auf dem Meer, Menschenhandel, sexuelle oder sonstige Ausbeutung werden durch die Animation zu einer gleichzeitig aktuellen wie auch zeitlos-universellen Geschichte. Dazu passen die Märchenmotive: Wie Hänsel und Gretel sind die Geschwister auf sich allein gestellt, in einer meist feindlichen Welt. Grausam schön.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Tobias Kniebe: Die Geschichte des Bremers Murat Kurnaz, der fünf Jahre lang unschuldig im US-Militärgefängnis von Guantanamo saß, ist längst erzählt. Nicht jedoch aus der Perspektive seiner Mutter Rabiye (Meltem Kaptan), die gar nicht glauben kann, wie ihr Sohn in einem Labyrinth aus Rechtlosigkeit und Folter verschwindet. Mit einem Bremer Anwalt (Alexander Scheer) reist sie bis nach Washington, um für ihn zu kämpfen. Die Autorin Laila Stieler hat Rabiye als warmherzig humorvolle Naturgewalt eingefangen, Meltem Kaptan erweckt sie zu unglaublichem Leben, und Andreas Dresen dirigiert das alles mit seinem unbestechlich menschlichen Blick. Genial.

Vortex

Philipp Stadelmaier: Einen so sanften und berührenden Film hätte man von dem Enfant terrible und schrillem Provokateur Gaspar Noé nicht erwartet: Dario Argento und Françoise Lebrun spielen ein alterndes Paar im Moment ihres körperlichen und geistigen Verfalls, getrennt durch einen Split Screen, dennoch weiter verbunden. Sie driftet in die Demenz ab, er arbeitet an einem Buch über das Kino und die Träume. Ein Film über sein eigenes Traumwesen und das Leben der Figuren auf der Leinwand.

Wolke unterm Dach

Fritz Göttler: Ein rumpeliger Flug über Südamerika, ein Mann wird unruhig, die Flugbegleiterin beruhigt ihn mit herzlicher Fröhlichkeit, sie verlieben sich. Heirat unterm Gipfelkreuz, eine Tochter, ein Haus mit Schaukel im Garten, ein tödliches Aneurysma ... Vater und Tochter müssen nun allein zurechtkommen. Frederick Lau ist prollig überfordert, die Falten wollen sich nicht mehr glätten auf seiner Stirn, die Probleme werden unlösbar, finanziell, psychisch. Die Tochter (Romy Schroeder) reagiert, wie man es im Kino gerne sieht, sie geht auf den Speicher und kommuniziert dort mit einer Wolke, mit ihrer toten Mutter (Hannah Herzsprung). So dirigiert Alain Gsponer das klassische Vater-Sohn-Melodram immer wieder ins Surreale. Und natürlich sind es dann wieder die Frauen, die den verbitterten Witwer erlösen müssen.

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