Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Ein tumber Russe wird plötzlich liebenswert, und eine ungewollte Schwangerschaft wirkt heute so belastend wie vor sechzig Jahren. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

Philipp Stadelmaier: Herr Soltani (Amir Jadidi) wird zum Medienhelden, nachdem er eine gefundene Tasche mit Goldstücken an die Besitzerin zurückgibt - obwohl er selbst wegen hoher Schulden im Gefängnis sitzt. Dann werden Zweifel an seiner Geschichte laut. Im hochspannenden, in Cannes prämierten Meisterstück des iranischen Kinohumanisten Ashgar Farhadi verschmelzen Geld und Ehre ebenso wie Lüge und Wahrheit, während das stolze Lächeln auf den Lippen des Protagonisten unergründlich bleibt.

Abteil Nr. 6

Sofia Glasl: Der penetrante russische Sitznachbar will von Laura wissen, wie man "Ich liebe dich" in ihrer Muttersprache sagt. Mit einem Grinsen buchstabiert die Finnin Laut für Laut: "Fick dich!" Die beiden reisen mit dem Zug von Moskau ins winterliche Murmansk. Sie will dort jahrtausendealte Steinzeichnungen sehen. Er will in einer Mine Geld verdienen. Mit billigem Fusel, grober Dauerwurst und distanzloser Grobschlächtigkeit überrollt der Arbeiter die Studentin, doch es gibt kein Reißaus im titelgebenden Schlafwagen. Der Finne Juho Kuosmanen macht aus dieser Zwickmühle ein hinreißend komisches Roadmovie über zwischenmenschliche Missverständnisse und die heilsame Aufrichtigkeit echter Freundschaft.

Auf Anfang

Martina Knoben: Als junger Mann wurde Michael Scholly zum Mörder, 28 Jahre saß er im Gefängnis. Jetzt malt er, ist Mitglied einer Theatergruppe, er hat Therapien absolviert, in auswärtigen Betrieben gearbeitet - er soll entlassen werden. Georg Nonnenmacher und Mike Schlömer dokumentieren den Versuch einer Resozialisierung ohne Kommentar, ohne Musik, mit wenigen erklärenden Texttafeln, ganz unspektakulär. Kann ein Mensch nach einem verkorksten Leben noch mal von vorn anfangen? Der Film zeigt wohlmeinende Helfer, ein grundsätzlich gutwilliges System. Und das Granithafte des Menschen, an dem jede Hilfe auch zerschellen kann. Ein nüchterner Film, der die ganz großen Fragen aufwirft und am Ende sprachlos macht.

Bis wir tot sind oder frei

Doris Kuhn: Erzählt wird die Geschichte des realen Kriminellen Walter Stürm, der in der Schweiz immer wieder aus dem Gefängnis ausbrach, mal kühn, mal raffiniert. Gleichzeitig hängt Oliver Rihs' Spielfilm "nach einer wahren Geschichte" aber in etlichen anderen Themen der frühen Achtzigerjahre drin: Jugendrevolte in Zürich, RAF in der BRD, es gibt einen langen Blick auf das Anwaltskollektiv, das die repressive Justiz in der Schweiz bekämpft, und eine hilflose Liebe als Dreingabe. Das ist zu sprunghaft und zu viel, um wirklich berührend zu sein, aber interessant ist es allemal.

Das Ereignis

Sofia Glasl: Unbehaglich vertraut wirkt Audrey Diwans zweiter Film, obwohl er 1963 spielt. Die Literaturstudentin Anne ist ungewollt schwanger und sieht sich vor einer vermeintlich antiquierten Wahl. Behält sie das Kind, ist sie zu einem Leben als Hausfrau verdammt. Lässt sie es illegal abtreiben, riskiert sie eine Gefängnisstrafe oder ihr Leben. Basierend auf dem autobiografischen Roman von Annie Ernaux begleitet Diwan die junge Frau durch das abschätzige Schweigen von Ärzten und engsten Freundinnen. Nüchtern und deshalb drastisch sind die Bilder der körperlichen Verletzungen, die sie sich selbst zufügt. Doch landet ein viel trivialerer Umstand den schwersten Magenschwinger: die maximale Einsamkeit, die diese Ausgrenzung verursacht.

Morbius

Anke Sterneborg: Ein Geisterschiff namens Murnau treibt mit acht ausgebluteten Leichen auf dem offenen Meer. Doch der Vampir stammt nicht aus Transsylvanien, sondern aus dem Labor des New Yorker mad scientist Dr. Michael Morbius, auf der Suche nach Heilung einer quälenden Blutkrankheit für sich und seinen Freund Milo. Der chilenisch-schwedische Regisseur Daniel Espinosa ("Easy Money", "Safe House", "Life") verquickt alte Horrormythen mit moderner Science-Fiction, irren Comic-Spaß mit moralischen Menschheitsfragen, navigiert dabei aber nicht so sicher wie in früheren Genre-Stücken. Und Jared Leto und Matt Smith haben irren Spaß dabei, mit heftiger CGI-Unterstützung das innere Monster von der Leine zu lassen.

Sonic The Hedgehog 2

Fritz Göttler: Dr. Robotnik wird - Spoiler!? - nicht sehr lange auf dem Pilzplaneten bleiben, auf den Sonic ihn am Ende des ersten Films hinversetzte. Wieder will er die Welt in Trümmer legen, diesmal mit Hilfe eines Supersmaragden. Und eines Ameisenbärs mit dem schlagkräftigen Namen Knuckles. Auch sein Gegner, der superschnelle Igel Sonic, hat Verstärkung, den zweischwänzigen Fuchs Tails. Die Action ist reichlich konfus in der Inszenierung von Jeff Fowler und drückt dem großen Thema des Heldentums immer wieder die Luft weg - mit den Bösen ist das sehr viel einfacher. Fies, erklärt Jim Carrey als Robotnik, ist mein zweiter Vorname. Das Glanzstück des Films: ein grandioser Hochzeits-Crash.

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