Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht
Lesezeit: 2 min
Die tolle Komödie "Licorice Pizza" erzählt von einer wilden Liebesgeschichte im L.A. der Siebziger - die Doku "Monobloc" vom berühmten Plastikstuhl. Die Starts der Woche in Kürze.
Von den SZ-Kritikern
Are You Lonsesome Tonight?
Sofia Glasl: Zu oft hat der Techniker Xueming erzählt, weshalb er im Gefängnis sitzt, als dass er sich seiner eigenen Erinnerung noch sicher sein könnte. Ein nächtlicher Autounfall, ein Toter und Fahrerflucht sind darin abgespeichert. Aber auch sein Versuch, sich in das Leben der Witwe zu schleichen und zu verstehen, weshalb diese von dubiosen Gläubigern ihres Mannes bedrängt wird. Der chinesische Filmemacher Wen Shipei brütet in seinem Debütfilm über die Funktionsweise des Gedächtnisses und macht daraus einen allegorischen Noir-Thriller, in dem Identitäten vollends verschwimmen, Gewissen und Moral relativ sind und Kriminelle bisweilen zum Retter werden.
Licorice Pizza
Tobias Kniebe: Gary ist ein fünfzehnjähriger Kinderschauspieler und Jungunternehmer im Wasserbett-Business, ein großer Charmeur und Laberkopf. Alana ist zehn Jahre älter, smart und cool, aber ein bisschen ziellos. Im San Fernando Valley des Jahres 1973 glaubt er, dass daraus die große Liebe wird, sie lacht ihn aus. Dann aber lässt sie sich doch auf seine Abenteuer ein, die sich bei Paul Thomas Anderson stark nach dem echten Leben anfühlen. Hier zeigt ein Meister, dass großes Kino auch ganz leicht sein kann, getragen von den zwei Schauspiel-Entdeckungen 2021: Cooper Hoffman und Sängerin Alana Haim in ihrem Filmdebüt.
Monobloc
Philipp Stadelmaier: Der interessante Gegenstand von Hauke Wendlers Dokumentarfilm ist der oft weiße, milliardenfach produzierte Plastikstuhl namens Monobloc. Das weltweit verteilte Objekt dient Wendler auf seinen Reisen in den globalen Süden zur Markierung bestehender globaler Ungleichheiten: Was in Deutschland als Billigmöbel verachtet wird, liefert Afrika, Indien und Brasilien Material für Rollstühle, fürs Recycling sowie einen leistbaren Ort zum Sitzen, der nicht die Erde ist.
The Other Side of the River
Moritz Baumstieger: Manche politische Dokumentarfilmer arbeiten mit Interviews, historischem Material, Schaudiagrammen. Andere folgen mit der Kamera einem Menschen, ohne lang zu erklären - und schaffen es doch viel zu vermitteln. Antonia Kilian hat über Monate in Nordostsyrien eine junge Frau begleitet, die zwangsverheiratet werden sollte, wegrannte und nun mit einer Waffe im Gürtel für Ordnung sorgen will, als Polizistin. Eine ungewöhnliche Geschichte. In einer überraschenden Doku.
Schattenstunde
Fritz Göttler: Ein Donnerstag im Dezember 1942. Jochen Klepper, viel gelesener christlicher Schriftsteller, wird zum SS-Obersturmbannführer Eichmann zitiert. Seine Ehe mit einer Jüdin werde aufgelöst, teilt dieser ihm mit, die Frau und die Stieftochter würden deportiert, sodass Klepper, frei vom jüdischen Einfluss, weiter wertvoll fürs deutsche Volk schreiben kann. Eine Ehe im Schatten ... der Raum wird sehr eng um die drei, auch der filmische schiebt sich zusammen, vor der Kamera. Der Entschluss der Familie ist gefasst, gemeinsamer Selbstmord. Die Klaustrophobie dieser Nacht bricht Benjamin Martins immer wieder ruckartig auf durch puppenspielhafte Verfremdung, so wird die gemeine Mechanik der Geschichte sichtbar. Ihr sprecht übers Sterben wie andere übers Brotbacken, meint bitter ein Freund, der zu einem letzten Gespräch kam.