Süddeutsche Zeitung

Filmstarts der Woche:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

"The Nest" mit Jude Law sieht aus wie ein Horrorfilm, ist aber ein Familiendrama. Ein Animationsfilm über einen Riffbarsch namens Shorty kann nicht mit dem Witz von Pixar und Co. mithalten.

Von den SZ-Kritikern

Bad Luck Banging or Loony Porn

Philipp Stadelmaier: Bukarest im Corona-Sommer 2020: Lehrerin Emi (Katia Pascariu) dreht mit ihrem Mann einen Sexfilm, der versehentlich im Internet landet - empörte Eltern ihrer Schüler fordern Konsequenzen. In seinem diesjährigen Berlinale-Gewinnerfilm zeigt Radu Jude auf genial-satirische Art die Verschränkung aus allgegenwärtiger gesellschaftlicher Gewalt und Pornografie, die zum Instrument der filmischen Analyse wird.

Black Widow

Susan Vahabzadeh: Am Ende ist sie eine von uns: Cate Shortland inszeniert Scarlett Johansson in "Black Widow", dem 24. Film aus dem Marvel Cinematic Universe, als menschliche, verletzliche Kämpferin auf der Suche nach Familienanschluss. Was leicht ein Vehikel für nur einen Star hätte werden können, lässt erstaunlich viel Raum für die Entwicklung der Figuren um Natasha Romanoff herum - eine falsche Familie, die sie trotz aller psychischen Verletzungen als Kind doch braucht, um dem Bösewicht Dreykov die Macht über einen Trupp versklavter Mörderinnen zu entziehen.

Die Croods - Alles auf Anfang

Ana Maria Michel: "Die Sippe trennt sich nicht": Im zweiten Teil der Animationsreihe um die Steinzeit-Familie Crood wird das Motto von Vater Grug auf die Probe gestellt. Nicht genug, dass Tochter Eep und ihr Freund bei Joel Crawford bald ihre eigene Sippe gründen wollen. Auch die weiter entwickelte Familie Bessermann bringt mit ihrem umzäunten Luxus-Baumhaus und ihren Flipflops Chaos ins Gefüge. Und weil Grug nicht von Bananen lassen kann, wird es am Ende richtig gefährlich. Bunt, witzig, aber auch ziemlich schrill.

First Cow

Martina Knoben: Der Koch Cookie ist der wohl sanfteste Held, der je durch den Wilden Westen stapfte. Einen Salamander dreht er auf die Füße und hilft auch einem nackten Chinesen, der sich im Busch versteckt hat. Aus der kuriosen Begegnung erwächst die wunderbare Freundschaft zweier Männer, die anders sind als die brutalen Kerle, die sonst dabei sind, das Land zu besiedeln. Der Film ist Kelly Reichardts feministisches Statement, wie man das auch anders hätte machen können. Ein lyrischer, wunderschöner Western und eine Studie des American Dream. Die Freunde verdienen zunächst gut mit den feinen Krapfen, die sie backen. Die Milch dafür aber müssen sie von der einzigen Kuh weit und breit stehlen, die einem Grundbesitzer gehört. Es ist eine neue Welt, aber die Machtverhältnisse sind die alten (auf Mubi).

Grenzland

Fritz Göttler: Die zweite Fahrt an Oder und Neiße, die Andreas Voigt unternimmt, mit "Geschichten vom Rand, doch aus der Mitte Europas". Nun muss er die Langzeitfolgen der Wende registrieren, Verödung der Städte, Perspektivlosigkeit, Einsamkeit, den Weggang der Jungen. Aber auch: eine australische Familie, die in Polen so viel Freiheit spürt wie daheim und so viel mehr Geschichte, ein junger Kurde, der ein Häuschen kaufte, ein Pole, der von Grabsteinen Deutsch lernte. Migration in diversen Richtungen. Gegen das Erinnern der Menschen, das Zeichen und Grenzsteine setzt, beschwört der Film das gelassene Strömen des Flusses.

Homo Communis - Wir für alle

Lena Reuters: "Power to the People!", hallt es aus dem Hambacher Forst. Regisseurin Carmen Eckhardt zeigt ein Konglomerat aus Ehrenamtlichen und Aussteigern, die der Klimakrise und Profitmaximierung entgegentreten - inklusive Kurzauftritten von Greta Thunberg und Carola Rackete. Die Menge an Protagonisten und Orten führt dazu, dass von "einer anderen Welt, die möglich ist", mehr erzählt wird, als dass man diese erlebt.

The Little Things

Fritz Göttler: Es ist nie vorbei, murmelt müde Denzel Washington, einst ein erfolgreicher Cop in Los Angeles, dann kamen diverse tote Mädchen, gequält und verstümmelt, ungeklärt - darauf Depression, Scheidung, Herzinfarkte, Versetzung. Nun muss er in die Stadt zurück, wird erneut mit toten Mädchen konfrontiert, Rami Malek ist zuständig für die Ermittlung ... Ein Polizeifilm von John Lee Hancock, der schwärzeste seit Jahren. Der Verdächtige spielt gemein Katz und Maus mit den Cops. Etta Jones singt "My lonely days are over ..." Es sind die kleinen Dinge, die uns zerreißen, uns verraten, erklärt Washington. Eine rote Haarspange zum Beispiel.

Das Mädchen und die Spinne

Nicolas Freund: Der Umzug als tiefenpsychologische Analyse: Lisa (Liliane Amuat) zieht aus der gemeinsamen WG in ihre eigene Wohnung, was Mara (Henriette Confurius) überhaupt nicht passt. Die Figuren führen zwischen Akkubohrern und Möbelrohbauten hölzerne Dialoge. Das wirkt zuerst unfreiwillig komisch, entfaltet aber bald einen ganz eigenen Effekt: Die abgehobenen Texte legen sich wie eine zweite Wirklichkeit über die realistischen Bildern und machen eine emotionale Ebene erfahrbar, die sonst verborgen geblieben wäre. Riskant, aber in den guten Momenten sehr faszinierendes Verfahren der Schweizer Regiebrüder Ramon und Silvan Zürcher.

The Nest - Alles zu haben ist nie genug

Susan Vahabzadeh: Sean Durkins "The Nest" klingt wie ein Horrorfilm und sieht aus wie einer, aber es gibt keine überirdischen Phänomene - das Leben kann auch so schrecklich genug sein: Anfang der Achtziger zerrt der nur mäßig erfolgreiche Rory (Jude Law) Frau und Kinder aus den USA nach England, wo er das große Geld wittert. Sie ziehen in ein altes, einsam gelegenes Herrenhaus, das ihnen nach anfänglicher Begeisterung bald nur noch Angst macht, und Geld ist auch nicht mehr da. Eigentlich nur eine Familiengeschichte - aber eine verstörende.

Los Reyes - Königliche Streuner

Josef Grübl: Sie liegen im ältesten Skatepark von Santiago de Chile herum und lassen sich weder von Skatern, Hunden oder dem Gelaber von bekifften Jugendlichen aus der Ruhe bringen. Nur wenn die Jungs im Park Fußball spielen, werden Futbol und Chola aktiv, dann schnappen sie sich den Ball und geben ihn nicht mehr her. Die Dokumentarfilmer Iván Osnovikoff und Bettina Perut haben die beiden Straßenhunde über einen langen Zeitraum begleitet. Die ihnen gemeinhin zugedachte Rolle als bester Freund des Menschen ist diesen Hunden fremd, ihr Blick ist wach und neugierig, ihr Verhalten erscheint uns fremd und dann wieder ganz vertraut.

Shorty und das Geheimnis des Zauberriffs

Ana Maria Michel: Riffbarsch Shorty, seine Schwester Indigo und Sägefisch Jake müssen fliehen. Menschen haben ihr Zuhause zerstört. Auf der Suche nach einem neuen Riff begegnen sie mal mehr, mal weniger vertrauenswürdigen Meeresbewohnern und viel Plastikmüll. Indem er Probleme direkt anspricht, sensibilisiert Peter Popp mit seinem Animationsfilm Kinder für das Thema Umweltschutz. Leider orientiert er sich optisch jedoch stark an Findet Nemo. Mit dem Witz des Pixar-Klassikers können Shorty und Co. nicht mithalten.

Sommer 85

Philipp Stadelmaier: François Ozon erzählt von einer großen, tragisch endenden Jugendliebe zwischen dem Ich-Erzähler Alexis (Félix Lefebvre) und dem verführerischen David (Benjamin Voisin) während eines Sommers am Atlantik. Wie immer identifiziert er sich komplett mit der Perspektive seines Protagonisten, die jedoch zu naiv ist, um interessant zu sein: Wie der Film will sich Alexis verrückter und leidenschaftlicher geben, als er am Ende ist.

Und täglich grüßt die Liebe

Anke Sterneborg: Das Spiel mit dem Zeitkontinuum ist eine Passion des Kinos, nur in filmischen Fantasien gibt es die Chance, noch mal alles anders zu machen, mit besserer Life-Love-Work-Balance. Immer am Hochzeitstag ist für Teddy ein Jahr vergangen, und er hat eine liebe Not mit der Orientierung: Schwangerschaft, Geburt, Kleinkind, Liebe, Krise, Trennung, auf 90 Minuten verdichtet sind die Muster klarer zu erkennen als im Lauf von zehn Jahren. Die reizvolle Idee leidet unter der Regie des Schauspielers Josh Lawson ein wenig unter wortreichen Erklärungen, die Rafe Spall und Zahra Newman so charmant wie unter diesen schwierigen Umständen möglich überspielen.

Vogelfrei. Ein Leben als fliegende Nomaden

Lena Reuters: Vier Jahre fliegen Andreas Zmuda und Doreen Kröber mit einem Trike, dem Motorrad der Lüfte, durch Nord- und Südamerika. Ihre Filmreise auf der Leinwand fühlt sich an wie ein Fotoabend bei Freunden: sympathisch, teilweise angestrengt witzig und auf 90 Minuten nicht immer interessant. Bilder und Off-Kommentare versprühen trotz eindrücklicher Flugaufnahmen eher Privatarchivcharme als großes Kino.

Wer wir waren

Nicolas Freund: Heißen müsste dieser Film eigentlich: "Wer wir sein sollten". Inspiriert von einem Essay Roger Willemsens sucht der Dokumentarfilmer Marc Bauder nach einem neuen Blick auf die Welt, die in einer Dauerkrise gefangen zu sein scheint. Fündig wird er in allen Ecken der Erde - und auch etwas darüber: bei der Roboterforscherin Janina Loh in Fukushima, dem Astronauten Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS und der Meeresbiologin Sylvia Earle in den Tiefen der Ozeane. Über allem steht die Frage, welche Denk- und Verhaltensmuster unsere Umwelt und Ökonomie an den Abgrund gebracht haben, und wie Alternativen aussehen könnten. Die Denkbewegungen bleiben etwas vage, aber mit starken Bildern vom Grund der Meere bis in den Weltraum macht die Doku unmissverständlich klar, um was es bei diesen Fragen über den Umgang mit unserem Planeten geht: nichts weniger, als die Zukunft der Menschheit.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5343655
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.07.2021/khil
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.