Süddeutsche Zeitung

Kinostarts der Woche:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Eine junge Frau hat Sex mit einem Auto, ein Serienkiller rächt die Verbrechen des Ersten Weltkriegs, ein Smart Home spielt verrückt und die Sparks trällern in höchsten Tönen - die Filmwoche in Kurzrezensionen.

Von den SZ-Kritikern

A Dark Song

Sofia Glasl: Die Prämisse ist so einfach wie effektiv: Zwei Fremde sperren sich in ein heruntergekommenes Herrenhaus ein, um ein mehrmonatiges okkultes Ritual zu exerzieren. Die Religionslehrerin Sophia ist wild entschlossen, noch mal mit ihrem verstorbenen Sohn zu sprechen. Der schwarze Magier Joseph schlurft verquollen und zerzaust herein und will erst mal Geld sehen. Unter einer effekthascherischen Regie wäre "A Dark Song" zu einer Mischung aus "Big Brother" und "Dschungelcamp" geworden. Der Ire Liam Gavin macht daraus jedoch ein bedrückendes Kammerspiel, das mit beeindruckender Beherrschung Themen wie Depression, häusliche Gewalt, Verlust und Alkoholismus antippt und das psychologische Grauen der beiden heraufbeschwört.

Das Haus

Nicolas Freund: In der nahen Zukunft wird Deutschland rechtspopulistisch regiert und der Journalist Johann (Tobias Moretti) hat sich mit dem Aufdecken eines Politskandals viele Feinde gemacht. Er tut, was Journalisten in so einer Lage tun: Mit seiner Frau Lucia (Valery Tscheplanowa), die große Teile des Films nackt bestreiten muss, hat er sich in ein schickes Smart-Home in den schwedischen Schären zurückgezogen. Nur scheint auch die Villa keine sichere Zuflucht zu bieten: Die hausinterne KI verschließt ungefragt Türen, der Kühlschrank bestellt viel zu viele Vorräte und aufgezeichnet wird natürlich eh alles. Nach einer Kurzgeschichte des Journalisten Dirk Kurbjuweit hat Regisseur Rick Ostermann einen Film gedreht, der alles mit allem zusammenbringen möchte: Krise der Demokratie mit Beziehungsproblemen und künstlicher Intelligenz. Das ist ein bisschen viel für das Fernsehfilm-Format von genau 90 Minuten. Die Verbindung zwischen fehlerhafter KI und Demokratie ist auch eher irreführend als aufschlussreich.

Hinterland

Fritz Göttler: Ein Finger ist dem Toten geblieben, alle anderen und die Zehen wurden abgeschnitten. Ein brutaler Serienkiller, Tatort Wien, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Die Stadt ist trübe und ramponiert, ihre Menschen sind versehrt, körperlich und psychisch. Stefan Ruzowitzky ließ die Akteure vor Bluescreen agieren, die Hintergründe wurden später per Computer eingefügt, sie sind so schräg und windschief wie die des Caligari-Kinos. Murathan Muslu ist der Kommissar Perg, der in russischer Kriegsgefangenschaft war und nun heimgekehrt ist. Seine Ideale sind perdu, und er merkt, dass er stärker in der Killer-Affäre steckt als gedacht.

Hochwald

Philipp Stadelmaier: Mario (Thomas Prenn), ein Tänzer aus Südtirol, überlebt in einer Schwulenbar in Rom einen islamistischen Anschlag; sein Freund, aus demselben Dorf wie er, stirbt. Es folgen Schuldzuweisungen von homophoben Hinterwäldlern, Begegnungen mit guten Muslimen und Flucht ins Heroin. Eva Romens Debütfilm versucht vergeblich, das zu Beschränkte (Bergdorf) mit den zu großen Themen (Islam, Terror) zu verbinden. Das Resultat ist schrill, moralisierend und unscharf.

Nowhere Special

Anke Sterneborg: Spätestens als der vierjährige Sohn seinem Vater am 34. Geburtstag die 35. Kerze für den Schokoladenkuchen reicht, die der nicht mehr brauchen wird, wird man auch als Zuschauer weich. John, ungewohnt rau gespielt von Sonnyboy James Norton, ist Fensterputzer in einer nordirischen Kleinstadt und alleinerziehender Vater, der in den letzten Monaten, die ihm noch bleiben, eine liebevolle Adoptivfamilie für seinen kleinen Sohn finden will. Dem Produzenten und Gelegenheits-Regisseur Uberto Pasolini ("Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit") gelingt das Kunststück, dieses Drama ganz intim und berührend, aber frei von Rührseligkeit zu erzählen.

The Sparks Brothers

Anke Sterneborg: "Da spielt Marc Bolan mit Adolf Hitler" soll John Lennon ausgerufen haben, als der die Sparks zum ersten Mal im Fernsehen sah. Die Brüder Ron und Russell Mael waren nie Mainstream, haben bis heute aber 25 Alben veröffentlicht und sind kontinuierlich einflussreich. Wenn man sie nicht kennt, kann man die Dokumentation auch als Mockumentary-Spaß genießen, mit einem guten Schuss Absurdität, Fantasie und schrägem Stilbewusstsein. Dieselben Qualitäten, die auch die Spielfilme von Edgar Wright auszeichnen, etwa "Shaun of the Dead" oder "Baby Driver". Vielleicht werden die Sparks, die den Falsettgesang lange vor Freddie Mercury zum Exzess trieben, damit nun endlich so bekannt, wie sie es verdienen.

Tagebuch einer Biene

Doris Kuhn: Seite an Seite mit Bienen im Stock wohnen, über Wald und Wiesen brummen - dank üppiger Kameratricks wird real, was man sonst aus Animationsfilmen kennt. Dennis Wells setzt auf persönliche Nähe, er macht eine Biene zur Hauptfigur, die mit sanfter Stimme ihren Alltag erklärt. Dabei gibt es keine Belehrung über Ökosysteme oder Menschengefahr, die Information wird in Abenteuer verpackt und quasi im Vorbeiflug erfahren. Das funktioniert, danach will jeder Freund der Bienen sein.

Titane

Juliane Liebert: Kein Film für Sanftbesaitete, aber einer für Romantiker der ganz anderen Art. Die französische Regisseurin Julia Ducournau hat damit in diesem Jahr die Goldene Palme von Cannes gewonnen. Sie erzählt die Geschichte von Alexia, einer jungen Frau, die nach einem Autounfall als Kind zur Serienmörderin wird. Sie tötet alle, die ihr zu nahe kommen, und hat nebenbei Sex mit Autos. Ihre Kopulation mit einem Cadillac ist eine der weniger absurden Szenen von "Titane", beziehungsweise: erst der Anfang. Ein intensiver, extrem brutaler Film über Schmerz, Körper und die Schönheit der Liebe.

Töchter

Fritz Göttler: Der kranke Vater will in die Schweiz chauffiert werden, zum Sterben, von der Tochter, gespielt von Alexandra Maria Lara. Die schafft das nur, wenn ihre beste Freundin mitkommt, das ist Birgit Minichmayr. Weil der Vater Josef Bierbichler ist, wird Nana Neuls Film kein simpler Ein-Tages-Trip, es geht erst einmal an den Lago Maggiore, des Vaters großer Liebe, und von da ziehen die beiden Frauen weiter auf einen unberechenbaren Trip zur Selbsterkundung, durch enge italienische Altstadtgassen und bis zu einer griechischen Insel. Das ist dann der richtige Ort, wo man seinen Vater wiederfinden kann...

Der wilde Wald

Martina Knoben: Vor 50 Jahren wurde der Nationalpark Bayerischer Wald gegründet. Die Natur ist dort weitgehend sich selbst überlassen, Totholz durch Windwurf und Borkenkäfer inklusive. Archivaufnahmen in dieser Doku zeigen, dass das damals nicht allen gefiel. Mittlerweile aber ist die Sehnsucht nach Wildnis offenbar riesig geworden. Lisa Eder feiert den "wilden Wald" mit allen Mitteln der Naturfotografie, und auch ihre Protagonisten sind sich einig, dass der Mensch solche Wälder braucht. Ein Film wie eine entspannte Wanderung mit vielen tollen Ausblicken - etwas mehr "Wildheit" hätte der Doku allerdings gut getan.

Wonders of the Sea

Sarah Zapf: In dem Dokumentarfilm entführt Jean-Michel Cousteau, Sohn des legendären Meeresforschungspioniers Jacques-Yves Cousteau, in die faszinierende Unterwasserwelt unserer Ozeane. Gezeigt werden farbenprächtige und detailreiche Aufnahmen der aquatischen Flora und Fauna der Fidschi-Inseln bis zu den Bahamas. Die Expeditionen von Cousteau und seinen Kindern sollen dabei nicht nur die Schönheit dieses einzigartigen Ökosystems nahebringen, sondern auch deren enorme Gefährdung aufzeigen. Arnold Schwarzenegger übernimmt die Erzähler-Rolle. Sehenswert, kann mit wirklich herausragenden Naturdokus aber nicht mithalten.

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