Süddeutsche Zeitung

Starts der Woche:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Liam Neeson hat einen weiteren Rentner-Actionfilm gedreht, Ridley Scott erzählt von einer Vergewaltigung im Jahr 1386, und Jesse Eisenberg spielt den Pantomime-Star Marcel Marceau - die Filmwoche in Kurzrezensionen.

Von den SZ-Kritikern

Auf alles, was uns glücklich macht

Philipp Stadelmaier: Porträt einer Gruppe von Männern (u. a. Pierfrancesco Favino) und einer Frau (die sich mit allen mal einlässt), von den Achtzigern bis heute. Ein bis zum Bersten gefälliges, kitschig-süßliches, rauschgoldhaft verziertes Selbstporträt der Generation X von Gabriele Muccino, ein Seifenoper-Epos à l'italienne auf Steroiden, dessen Protagonisten alle politische Fragen und Skrupel überlebt haben, um sich in der Ästhetik einer Asti-Werbung einzurichten.

Boss Baby - Schluss mit Kindergarten

Ana Maria Michel: ​​Kinder, die zu früh erwachsen werden, Brüder, die sich auseinanderleben, und Babys, die die Welt beherrschen sollen: Tom McGraths Fortsetzung des Animationsfilms von 2017 bietet einen wilden Themenmix. Das Boss Baby Ted aus Teil eins ist jedenfalls nun ein Mann, er und sein Bruder müssen sich aber für eine von einem neuen Boss Baby geleitete Mission in einen Säugling und einen Zweitklässler verwandeln. Stellenweise witzig, aber insgesamt sehr schräg - und für jüngere Kinder nicht wirklich geeignet.

Du Sie Er & Wir

Josef Grübl: Manche Ideen klingen schon in der Theorie so hirnrissig, dass sie in der Praxis garantiert scheitern. So wie in diesem Komödienkammerspiel von Florian Gottschick: Zwei junge Paare versuchen es mit Partnertausch, wollen dabei aber auf Sex verzichten. Klappt natürlich nicht wirklich, weshalb sie sich hinterher umso mehr in die Haare kriegen. Das ist eher enervierend als amüsierend, da helfen auch die prominenten Darsteller (u. a. Jonas Nay und Nilam Farooq), das Strandhaus an der Nordsee, die Plot-Twists oder der Dauereinsatz von Split Screens nicht darüber hinweg. (Netflix, 15. Oktober)

Endlich Tacheles

Anna Steinbauer: Der Holocaust als Computerspiel, in dem man aktiv in die Vergangenheit eingreifen kann: Der jüdische Gamedesigner Yaar arbeitet an der Entwicklung eines Spiels mit einem jüdischen Mädchen und einem SS-Offizier als Protagonisten, das vom tragischen Schicksal seiner Großmutter Rina inspiriert ist. Kann es am Ende Versöhnung geben? Jana Matthes und Andrea Schramm bescheren in ihrer Doku tränenreiche, intime Einblicke in die Aufarbeitung generationsübergreifender Traumata einer jüdischen Familie zwischen Deutschland, Israel und Polen.

Es ist nur eine Phase, Hase

Anke Sterneborg: Der Körper geht ein bisschen aus dem Leim, die Energie schwindet, mit der Schreibblockade kommt der Schlendrian, dazu eine fatale Neigung, sich lächerlich zu machen: Früher hieß das Midlife-Crisis, die Autoren Jochen Gutsch und Maxim Leo haben in ihrem Bestseller-Trostbuch dafür den schönen Begriff der Alterspubertät geprägt. Florian Gallenberger hat die Ratgeber-Episoden in den Fluss einer Geschichte gebracht, der man ein bisschen mehr Zurückhaltung bei Klischees und Zoten, Proktologen- und Viagrawitzen gewünscht hätte. Trotzdem entwickelt der Film vergnüglichen Charme, vor allem dank Christiane Paul und Christoph Maria Herbst, der hier ausnahmsweise mal mit üppiger Matte einen liebenswert verplanten Kerl spielt und sein Entsetzen über die Verhältnisse mit bewährt minimalem Aufwand durchsickern lässt.

Fly

Ana Maria Michel: Knapp 25 Jahre nach "Bandits" bringt Katja von Garnier die alte Crew - Katja Riemann, Nicolette Krebitz und Jasmin Tabatabai - wieder zusammen vor die Kamera. Wieder im Gefängnis, diesmal aber als Anwältin, Sozialarbeiterin und Tanzlehrerin. Eine Gruppe junger, zufälligerweise sehr talentierter Menschen soll an einem Streetdance-Resozialisierungsprogramm teilnehmen. Die Tanzszenen sind durchaus beeindruckend, viele Rollen werden von Profitänzern gespielt. Das Drehbuch aber enthält zu viele Zufälle und zu viel Kitsch.

The Ice Road

Doris Kuhn: Der arme Liam Neeson. Jetzt ist er schon so alt, dass er kaum mehr rennen kann, und trotzdem muss er noch Menschenleben retten. Diesmal fährt er hoch im Norden mit einem Truck über zugefrorene Seen, es eilt, er kann keine Rücksicht darauf nehmen, dass es dafür eigentlich zu warm ist. Tatsächlich sind die gefährlich tauenden Eisflächen spannend anzusehen, während alles andere in Jonathan Hensleighs Action-Thriller die Schwerfälligkeit seines Hauptdarstellers teilt.

The Last Duel

David Steinitz: "Me Too" im Mittelalter. Marguerite de Carrouges sagt, sie sei von einem Freund ihres Mannes vergewaltigt worden. Der Beschuldigte streitet alles ab, der Ehemann fordert ihn zum Duell. Ridley Scott erzählt diese wahre Begebenheit mit vielen Stars (Matt Damon, Adam Driver, Ben Affleck) und findet trotz des obligatorischen Schlachtgetümmels die Ruhe für eine schonungslose Geschichte über die misogynen Männer des Jahres 1386. Nur was uns das heute sagen soll, verrät er leider nicht.

Lobster Soup - Das entspannteste Café der Welt

Philipp Stadelmaier: Pepe Andreu und Rafael Moles porträtieren ein traditionelles Fischercafé auf Island, wozu sie mit ihren Kameras Fischer und Fische, heißen Kaffee und dampfende Geysire, erzählende Stammgäste und zahlende Touristen einfangen. Das Ende des Cafés (es wird verkauft) ist das Ende des Films, der, wie so viele Dokus über irgendetwas Kurioses, im Beliebigen beginnt und im Nachdenklichen endet. Wie man tolle Hummersuppe macht, erfährt man nicht. Schade.

Résistance - Widerstand

Anke Sterneborg: Wie Marcel Marceau zum berühmtesten Pantomimen der Welt wurde, davon erzählt der polnisch jüdische Regisseur Jonathan Jakubowicz. In den prägenden Jahren im französischen Widerstand, als er half, Hunderte jüdische Kinder aus Frankreich in die Schweiz zu schmuggeln, geht es auch darum, wie man mithilfe der Kunst Politik macht, als Pantomime, Schauspieler, selbst als Feuerschlucker. In einer sprunghaften Erzählung mit unnötig pathetischer Rahmenhandlung ist es die stille Intensität der Körpersprache von Jesse Eisenberg, die dem Film ein starkes Zentrum gibt. Matthias Schweighöfer, der sich inzwischen öfter auf die finsteren Seiten einlässt, spielt Klaus Barbie dagegen als Karikatur eines Bond-Bösewichts.

Die Schule der magischen Tiere

Ana Maria Michel: An Idas neuer Schule, die ein wenig an Hogwarts aus "Harry Potter" erinnert, ist so einiges los. Sie und ein Mitschüler bekommen je ein magisches Tier, das sprechen kann und ihnen ein Freund sein soll. Außerdem treibt sich ein Dieb herum. Gregor Schnitzler bringt mit realen Schauspielern und animierten Tieren Margit Auers Bestseller-Reihe ins Kino. Viel zum Hintergrund der Tiere erfährt man nicht, aber dieser Film über Freundschaft macht schon alleine wegen der Breakdance-Einlagen der Schildkröte Spaß.

Sie waren mal Stars

Sofia Glasl: Wenn wirklich jedem 15 Minuten Ruhm zustehen, dann auch David Kramer und Holger Bülow alias Sheriff Held und Kommissar aus der Webserie "Kreuzkölln Kops". 2010 hatten die beiden damit einen kleinen und skurrilen Online-Erfolg irgendwo zwischen "Tatort" und Billigwestern. Nun wollen sie an alte Zeiten anknüpfen, zumindest angeblich. Low-Budget-Filmemacher Malte Wirtz dichtet ihnen in der Mockumentary "Sie waren mal Stars" eine ebenso absurde wie herzliche Story von Selbstüberschätzung und Gemeinschaft an, die auch (oder gerade?) dann noch Kraft spendet, wenn nur noch das gemeinsame Scheitern bleibt.

Supernova

Martina Knoben: Eine Love Story, wunderschön und traurig - dass es zwei Männer sind, die sich lieben (gespielt von Colin Firth und Stanley Tucci), spielt dabei eigentlich keine Rolle. Nach einem langen gemeinsamen Leben ist einer an einer frühzeitigen Demenz erkrankt. Zusammen machen sie eine letzte Reise, witzeln und necken sich wie früher, aber die Folgen der Krankheit sind nicht zu übersehen. Harry Macqueen zeigt zu Beginn den Sternenhimmel mit einer Supernova, danach die Hände der beiden Männer ineinander. Ob intergalaktisch oder zwischenmenschlich - alles ist Begegnung und Austausch.

Zimmer 212 - In einer magischen Nacht

Susan Vahabzadeh: Es muss nicht jeder mit der Zeit gehen - für Christophe Honoré ist der größte aller Regiehelden immer noch der Meister der Mélo-Musicals, Jacques Demy. In seinem Geiste erzählt er von einer Frau (Chiara Mastroianni) die in einem Hotelzimmer gegenüber ihrer Wohnung eincheckt und dort einer jüngeren Version ihres Ehemannes, seiner großen Liebe, ihrem Gewissen und allerlei verflossenen Affären begegnet, während sich die Welt draußen in das Innere einer Schneekugel zu verwandeln scheint ... Eine verrückte Geschichte, aber zutiefst poetisch - alle Liebe, heißt es einmal, entsteht aus der Erinnerung. Ein Film wie ein Chanson aus den Sechzigern.

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