Süddeutsche Zeitung

Filmproduktion:Schnee von morgen

Asbest oder Cornflakes: Was in Hollywood vom Himmel rieselt.

Von David Steinitz

Auf die Frage, woher der Schnee kommt, kann der vom Februar gestresste Mensch eigentlich nur genervt antworten: Na, von oben halt. Über solche hobbymeteorologischen Aussagen würde man in Hollywood aber nur müde lachen. Denn in der Filmindustrie gilt: Schnee ist einer der kompliziertesten Spezialeffekte überhaupt.

Das liegt vor allem daran, dass er die hundsgemeine Angewohnheit hat, meistens dann zu fallen, wenn man ihn nicht braucht - aber fast nie, wenn man ihn braucht. Das Wetter richtet sich nicht nach Drehbuchautoren, die einen Schneesturm erfinden. Deshalb haben Generationen von Special-Effects-Künstlern mit Materialien experimentiert, mit denen man Schnee möglichst flockig-perfekt imitieren kann, auch wenn der Frühling vor der Tür steht.

Die Macher des Klassikers "Der Zauberer von Oz" (1939) zum Beispiel ließen Unmengen von Chrysotil auf Schauspieler und Crew herabrieseln, was man heute eher nicht mehr machen würde: Es handelt sich dabei um weiße Asbestfasern. Sie waren lange Zeit der Schneestandard in Hollywood.

Im heißen Kalifornien schneite es Cornflakes

Im Anschluss an diese eher ungesunde Episode lautete die Lösung für Schnee im heißen Kalifornien: Cornflakes. Man malte sie weiß an und zerbröselte sie. Dummerweise knirschte der Frühstücksflockenschnee sehr laut, wenn die Schauspieler darüberliefen, was so manchen Tontechniker gefährlich nah an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben haben soll.

Der nächste Evolutionssprung in Sachen Kunstschnee war Frank Capras Weihnachtsklassiker "Ist das Leben nicht schön?" von 1946. Die realen Wetterbedingungen - Sommer, 32 Grad - umging der Regisseur, indem er sein Team den Schaum aus Feuerlöschern mit Wasser, Zucker und Seifenflocken mixen ließ. Der Cocktail wurde durch eine Windmaschine übers Set geblasen, 6000 Gallonen. Das Team wurde für diese Kreation von der Oscar Academy mit einem Technikpreis ausgezeichnet. In den Folgejahren gab es weitere Experimente mit Wachs ("Doktor Schiwago", 1965) und Styropor ("Superman", 1978).

Pünktlich zu Beginn der Achtzigerjahre und der Geburtsstunde der Öko-Bewegungen begann man in Hollywood mit dem Kunstschneerecycling. Die paar Hundert Tonnen Salz gemixt mit Styropor, die der Kinofeldwebel Stanley Kubrick für das eisige Finale von "The Shining" als Schneeersatz aufschütten ließ, wurden im Anschluss für die "Star Wars"-Fortsetzung "Das Imperium schlägt zurück" zweitverwertet, die nebenan gedreht wurde.

Mittlerweile haben sich ganze Firmen auf die Herstellung von Flocken in unterschiedlichen Aggregatzuständen spezialisiert. Das britische Unternehmen Snow Business etwa bietet seit mehr als 30 Jahren rieselnden Schnee, bereits gefallenen Schnee, schmelzenden Schnee, Eis, Eisberge, Schneemänner, Iglus und überhaupt alles an, was kalt aussehen soll. Die Mitarbeiter haben Schnee für die "Avengers" gemacht und für "Star Trek". Und wie es sich für eine Zeit gehört, in der selbst die Plastikbechergroßverbraucher vom Film immer grüner drehen: Sie arbeiten mit recyceltem Papier.

Nur gegen das Coronavirus kommt man leider auch nicht mit nachhaltigem Kunstschnee an: Die Dreharbeiten zu Ridley Scotts neuem Film "The Last Duel", für den Snow Business die Eiseffekte macht, mussten wegen der Pandemie unterbrochen werden.

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