Filmproduktion:Münchner Kindl

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Überzeugende Mimik, hübsche Kulleraugen, Rindenhaut: Marvel-Held "Baby Groot" wurde federführend von der Firma Trixter animiert.

(Foto: Disney)

Hollywoods Computercharaktere wie "Baby Groot", der Star in "Guardians of the Galaxy Vol. 2", kommen heute von Pixel-Zulieferern aus der ganzen Welt. Ein Besuch bei der Firma Trixter in Schwabing.

Von Philipp Bovermann

Superhelden werden nicht durch Spinnenbisse oder Zaubertränke geboren, sondern wachsen auf Serverfarmen. Eine davon steht in der Münchner Amalienstraße, gleich hinter der Uni, bei der Firma Trixter. Von dem ohrenbetäubenden Lärm, den sie erzeugt, presslufthammermäßigen 120 Dezibel, ist nur wenige Meter entfernt nichts mehr zu hören. Dort sitzen junge Animationskünstler in Reih und Glied an ihren Computern und füttern die Höllenmaschine der visuellen Effekte (VFX).

Bei abendlichen Konferenzen, wenn in Los Angeles die Arbeitstage beginnen, werden die Systeme mit denen der Marvel Studios synchronisiert und deren Verantwortliche ins hauseigene Kino zugeschaltet. Marvel ist ein spezieller Kunde: Anstatt einen der Giganten der Branche wie "Industrial Light & Magic" federführend mit den visuellen Effekten zu beauftragen, behält das Studio die logistischen und kreativen Schnittstellen bei sich. Es beschäftigt eigene Supervisors und Produzenten, denen ein weltumspannendes Netzwerk aus VFX-Satelliten zuarbeitet. Der eigentliche Dreh mit Kamera und Schauspielern ist nur noch eine Variable innerhalb eines digitalen Arbeitsprozesses, der in den Marvel Art Departments beginnt und dort wieder zusammenfließt. Ganzjährig und rund um die Uhr wird so am "Marvel Cinematic Universe" weitergebaut, der zusammenhängenden Welt, in der alle von Disney lizenzierten Marvel-Filme angesiedelt sind.

Ausgerechnet die Superhelden sind es also, die wieder einmal die Produktionsbedingungen verändern, unter denen sie entstehen. Als ihre Abenteuer noch auf Papier am Kiosk erschienen, waren sie in den 1930er-Jahren das erste industriell hergestellte Kulturprodukt. Die Zeichner in den "Sweatshops" erhielten dafür einen - auch für damalige Verhältnisse mageren - Dollar pro Seite. Und heute?

Wer das Münchner Büro von Trixter betritt, über einen Hinterhof, wird von der Skulptur eines schwarzen Adlers begrüßt, der sich von einem Regal auf den Besucher zu stürzen scheint. Geradeaus über dem Empfang blickt er in eine Kamera. Der Disney-Konzern versteht, was sein milliardenteures geistiges Eigentum angeht, keinen Spaß. Deshalb werden die Räume videoüberwacht, Dateien zu verschicken, ist unmöglich, die USB-Anschlüsse an den Computern sind deaktiviert, Handys nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

Ebenfalls über dem Empfang hängt ein Filmplakat von "Guardians of the Galaxy Vol. 2", auf dem jemand die Gesichter der Weltraumhüter mit denen von Trixter-Mitarbeitern ersetzt hat, als würde er sagen wollen: Wir sind zwar im Film unsichtbar, aber wir stecken dahinter. Besonders bei zwei der Figuren haben die Münchner wesentlich mitgewirkt. Bei "Baby Groot", einem sprechenden Baumbaby, das nur drei Worte sagen kann: "Ich", "bin" und "Groot"; und bei "Rocket", einem gentechnisch aufgemotzten Waschbär, dessen rauer Humor verdecken soll, dass bei ihm zum flauschigen Äußeren auch noch ein weicher Kern kommt. Es ist ein Haufen aus schillernden Freaks, den Marvel zur Rettung des Universums losgeschickt hat, eine Söldnertruppe aus allen Teilen der Galaxis.

Fragt man im Raum der Animatoren, wer über vierzig ist, geht ein einziger Arm nach oben

Die Animatoren-Söldnertruppe, die sie erschaffen hat, ist fast ebenso bunt und laut. An die 20 Nationen sitzen hier zusammen, etwa hundert Leute auf drei gemütlich eingerichteten Etagen, es wird viel geredet und gelacht, von Galeerenstimmung keine Spur. Menschen in hippen Klamotten sagen "How 'you doing?" und unterhalten sich über einen Aktzeichnen-Kurs im Büro. Animations-Regisseurin Simone Kraus, im Hauskino zugeschaltet aus dem Trixter-Außenposten in Los Angeles, berichtet von "Sessions", in denen sich die Animatoren gegenseitig inspirieren und filmen, das Gesicht, den Körper, um ihr schauspielerisches Gespür zu verfeinern. Ein eher extrovertiertes Völkchen seien die Animatoren, sagt sie, Künstler halt. Und zwar auffallend junge Künstler. Fragt man in den Raum, ob hier jemand über vierzig sei, geht nur ein einziger Arm nach oben.

Werden Animatoren etwa ab einem gewissen Alter an die Server-Höllenmaschine verfüttert? Michael Coldewey, neben Kraus einer der drei Geschäftsführer von Trixter, erklärt, warum die Arbeit an Superheldenfilmen etwas für junge Leute ohne Familien ist. Die Arbeitszeiten, zum Beispiel. "In der Phase vor Projektende arbeiten wir einfach durch, volle Lotte. Das mach mal fünf, sechs Wochen!" Zudem verlange die Branche eine enorme Flexibilität. Für die interessanten Jobs, wozu die von Marvel natürlich gehören, reisen Animatoren quer durch die Welt, von Film zu Film. Von zu Hause aus zu arbeiten, geht wegen der strengen Geheimhaltungsbestimmungen nicht.

Zwei Arten vagabundierender Animatoren gibt es, erklärt Florian Gellinger, Vorsitzender der Visual Effects Society Germany. Die kreativen Top-Leute suchen sich aus, in welcher Stadt und bei welchem Projekt sie arbeiten wollen. Daneben existiert allerdings auch ein unfreiwilliges Nomadenleben der Ausführenden, zum Teil gesteuert von der Größe der staatlichen Fördertöpfe, mit denen viele Länder diese Zukunftsindustrie an sich binden wollen. Beispielsweise verschiffte die "Moving Picture Company", nachdem Kanada gegenüber Großbritannien noch mal eine Schippe draufgelegt hatte, komplette Departments von London nach Montreal.

"In der Phase vor Projektende arbeiten wir einfach durch, volle Lotte", sagt der Chef

In Deutschland gibt es nur in Bayern und in Baden-Württemberg eigene Fördertöpfe für VFX, daher haben sich München und Stuttgart als wichtige Standorte der Branche etabliert - neben Berlin, das halt nun mal Berlin ist. Das führt zurück in die Amalienstraße zu Trixter, wo Michael Coldewey in höchsten Tönen von seinem Auftraggeber Marvel spricht. Natürlich tut das jeder Dienstleister - aber was er erzählt, erklärt vielleicht eben doch, wie das "Marvel Cinematic Universe" in weniger als einem Jahrzehnt "Star Wars" als das kommerziell erfolgreichste Film-Franchise ablösen konnte.

Dass Marvel, wie erwähnt, ein Netzwerk aus Firmen betreibt, die einer studioseitigen VFX-Infrastruktur zuliefern, sorgt dafür, dass sich auch die kreative Verantwortung auf all diese Schultern verteilt. Anstatt sich nur die Ergebnisse von einer einzigen, großen Firma federführend präsentieren zu lassen, kann es so passieren, dass bei den fortlaufenden Rücksprachen irgendwo eine vergleichsweise kleine Firma in einem Münchner Hinterhof tolle Ideen einbringt - und schon werden diese als Referenzen über das gesamte Netzwerk zum Nachbauen verteilt.

Von diesem prinzipiellen Ansatz her sei es auch zu verstehen, sagt Coldewey, warum Marvel etwa Regisseur James Gunn die "Guardians of the Galaxy" anvertraut hat. "Das sind Leute, die kommen ganz woanders her, von kleinen Filmen, total jung, und bekommen plötzlich diese unvorstellbaren Summen in die Hand gedrückt." Florian Gellinger ergänzt: "Marvel hat gelernt, Realfilme wie Animationsfilme zu behandeln. Da steht kein Stein fix auf dem anderen. Solange es zeitlich irgendwie möglich ist, werden notfalls zwei Wochen vor der Premiere komplette Szenen vor Green Screens nachgedreht, wenn es den Fans in Testvorführungen nicht gefällt."

Über die Bildschirme bei Trixter schwingt zurzeit Spiderman, wieder und wieder in Endlosschleifen, bis in Los Angeles jemand zufrieden ist. Die Arbeit an "Black Panther" hat gerade begonnen. Beim Rausgehen schlendert der Besucher an gewaltigen Wärmetauschern der Serverfarm vorbei. Die Hitze, die sie verströmen, ist enorm. Aber so muss das wohl sein, wenn man Tag für Tag und Pixel für Pixel das Universum rettet.

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