Neuer Lisbeth-Salander-Film:Die neue Lisbeth Salander: Nur Pose statt echter Düsternis

Film

Lisbeth Salander, Version Nummer drei: Nach Noomi Rapace und Rooney Mara spielt die Engländerin Claire Foy ("The Crown") die begehrte Rolle.

(Foto: Sony)
  • "Verschwörung" basiert auf dem gleichnamigen vierten Teil der schwedischen "Millennium"-Krimireihe über Lisbeth Salander und ihren Mitstreiter Mikael Blomkvist.
  • Erfunden hat die Figuren der Schriftsteller Stieg Larsson, der drei Folgen schrieb - doch vor deren Veröffentlichung starb. Das vierte Buch stammt vom schwedischen Krimispezialisten David Lagercrantz.
  • Vor "Verschwörung" gab es bereits drei schwedische Verfilmungen der ersten Bücher sowie ein amerikanisches Remake von David Fincher.

Von David Steinitz

Was macht man mit Männern, die Frauen quälen und demütigen? Aus Sicht der einsamen Rächerin Lisbeth Salander gibt es nur eine Option: Man muss sie ebenfalls quälen und demütigen. Also knöpft sie sich zu Beginn dieses Thrillers einen schnöseligen Geschäftsmann vor, der in seiner Penthouse-Wohnung mal wieder seine Ehefrau verprügelt hat. Lisbeth hängt ihn kopfüber an die Zimmerdecke, bearbeitet ihn mit dem Elektroschocker und lässt ihn dabei zusehen, wie sie mit dem Smartphone sein Konto hackt und das Geld an die geschundene Gattin transferiert.

Diese Eröffnungssequenz am Anfang von "Verschwörung" steht in keinem Zusammenhang mit der restlichen Handlung, sondern kommt wie der typische Einstieg eines James-Bond-Films daher, in dem die Hauptfigur in einem kleinen Action-Aperitif zeigt, was sie so draufhat und wofür sie steht. Das ist zur Orientierung in diesem Fall auch vernünftig, weil die schwedische Borderline-Detektivin und Superhackerin Lisbeth Salander zwar längst eine Ikone der modernen Popkultur geworden ist. Aber ihre kommerzielle Auswertung hat mittlerweile doch etwas unübersichtliche Züge angenommen.

Die Traumrolle von fast allen weiblichen Hollywoodstars

"Verschwörung" ist der vierte Roman der schwedischen "Millennium"-Krimireihe über Salander und ihren Mitstreiter, den Journalisten Mikael Blomkvist. Erfunden hat die Figuren der Schriftsteller Stieg Larsson, der drei Folgen schrieb, aber den Welterfolg seiner Bücher gar nicht mehr mitbekam, weil er noch vor der Veröffentlichung des ersten im Jahr 2004 an einem Herzinfarkt starb. Im Auftrag seiner Erben setzt mittlerweile der schwedische Krimispezialist David Lagercrantz die Reihe fort, "Verschwörung" war seine Premiere. Außerdem gab es drei schwedische Verfilmungen der ersten Bücher mit der Schauspielerin Noomi Rapace als Lisbeth Salander sowie ein amerikanisches Remake des ersten Teils mit Rooney Mara in der Hauptrolle.

Jenseits der harten Fangemeinde kommt da natürlich kein Zuschauer mehr mit. Deshalb hat das Filmstudio Sony den Reset-Button gedrückt und wagt sich in "Verschwörung" mit neuer Besetzung vor und hinter der Kamera noch mal an die Welt der Lisbeth Salander heran, in Form einer Fortsetzung, die gleichzeitig auch ein Neustart für Neueinsteiger sein soll.

Das hatte vorab zu einem Casting-Hype geführt, weil Lisbeth Salander anscheinend die Traumrolle von fast allen weiblichen Hollywoodstars zu sein scheint. In den vergangenen Jahren haben sich unter anderem Natalie Portman, Jennifer Lawrence, Scarlett Johansson, Kristen Stewart, Keira Knightley und Alicia Vikander um die Rolle beworben. Deren Faszination mag vor allem daher kommen, dass Lisbeth Salander in den Büchern Opfer und Heldin zugleich ist, maskulin und feminin, sympathisch und unsympathisch, schön und hässlich, bisexuell. Die Figur lebt von einer Ambivalenz, die das moderne Mainstreamkino mit seinen Schablonenmenschen sonst kaum kennt und die mal eine echte schauspielerische Herausforderung darstellt.

Die neue Lisbeth ist eine sehr freie Interpretation der kantigen Vorlage

Bekommen hat die Rolle schließlich die britische Schauspielerin Claire Foy. Die 34-Jährige wurde als Elizabeth II in der gefeierten Netflix-Serie "The Crown" berühmt und ist derzeit auch im Neil-Armstrong-Film "Aufbruch zum Mond" zu sehen. Das ist insofern eine erstaunliche Wahl, als Claire Foy sich zu Lisbeth Salander ungefähr so verhält wie Roger Moore zum Original-James-Bond - eine sehr freie Interpretation der kantigen Vorlage.

Einmal äußerlich, weil sie mit ihren großen Augen und den weichen Gesichtszügen sowie der Helmfrisur, die nach einem schrecklichen Unfall beim Friseur aussieht, nicht auf die Stellenbeschreibung passt. Stieg Larsson hatte sie nach eigener Aussage als eine ausgemergelte Gothic-Version von Pippi Langstrumpf konzipiert. Aber auch inhaltlich hat man das Gefühl, dass die finstere Vorgeschichte dieses Mädchens - missbraucht als Kind, vergewaltigt als Jugendliche, erpresst und gedemütigt als Erwachsene - in dieser Interpretation mehr einer düsteren Pose gewichen ist.

Lisbeth Salander könnte die Filmfigur der Stunde sein

Das ist schade, weil Lisbeth, die als "Frau, die Männer hasst, die Frauen hassen", charakterisiert wird, ein Jahr nach Beginn der "Me Too"-Bewegung mit ihrer Lebensgeschichte eigentlich die Filmfigur der Stunde in Hollywood sein könnte. Die ersten Romane und deren schwedische Verfilmungen erzählten schonungslos von einer frauenfeindlichen Gesellschaftsstruktur, die Misogynie nicht nur nicht bestraft, sondern sogar belohnt - und von einer Frau, die das nicht länger hinnehmen will.

Die Lisbeth-Version des Jahres 2018 ist aber eine Lightversion des geschundenen Originals geworden, und das wohl weniger aus Versehen als mit Ansage. Denn zu den Kehrseiten im Hollywood'schen Franchise-system gehört, dass Rollen schon prophylaktisch auf Austauschbarkeit hin konzipiert werden, für potenzielle Prequels, Sequels, Remakes, Reboots, Spin-offs und wie die Recyclingmethoden der amerikanischen Filmindustrie noch so heißen. In diesem Sinn ist es dann fast schon wieder eine konsequente Wahl, dass Lisbeths Mitstreiter Mikael Blomkvist diesmal vom schwedischen Schauspieler Sverrir Guðnason gespielt wird, der die charakterliche Komplexität eines H&M-Models ausstrahlt.

Dass die Hauptfiguren der "Millenium"-Reihe nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, liegt aber auch an der aktuellen Buchvorlage. Denn der Stieg-Larsson-Nachfolger David Lagercrantz verheddert sich in "Verschwörung" so sehr in seinem Figurenpersonal, dass er seine Hauptfiguren immer wieder aus dem Blick verliert. Er erzählt eine wahnsinnig komplizierte Geschichte um einen genialen schwedischen Programmierer, der sich mit einer Tech-Firma anlegt und von ominösen Hackern mit dem Tod bedroht wird. Lisbeth Salander taucht erst nach etwa hundert Seiten als Rettungsengel auf und macht sich auch dann wenig bemerkbar, weil Lagercrantz ständig umständlich Nebenfiguren einführt, deren Existenz für die Handlung vollkommen nebensächlich ist. In einer Szene des Buchs steigt Lisbeth in ein Taxi und sagt dem Fahrer, wo sie hinwill. Obwohl der Mann bis auf diese Minisequenz nie wieder vorkommt, berichtet Lagercrantz ausführlich, dass der arme Kerl Ahmed heißt, aus dem Irak geflohen ist und seine Mutter und seine beiden Brüder bei einem Terroranschlag verloren hat. Weil er mit fast allen Statisten so umgeht, kommt fast nie richtig Tempo auf.

Regisseur Fede Alvarez konzentriert sich auf James-Bond-Weisheiten

Der Regisseur Fede Alvarez stand also vor der Sisyphusaufgabe, aus einem schlechten Buch einen leicht verdaulichen Blockbuster zu machen, der Hardcore-fans der Serie genauso mitnimmt wie Neueinsteiger, um möglichst viele Zuschauer zu erreichen. Dass es ihm trotzdem gelungen ist, in diesem Rahmen einen soliden Thriller zu drehen, muss man ihm fast als Großleistung anrechnen. Alvarez hat vor zwei Jahren den unterhaltsamen Horrorthriller "Don't Breathe" gedreht, eins dieser kleinen Kinowunder, die wenig kosten und viel einspielen, was ihn direkt in Hollywoods A-Liga katapultierte. Dass er dort vielleicht auch bleiben darf, ist seiner Entscheidung zu verdanken, den Roman "Verschwörung" radikal umzuarbeiten.

Seine Verfilmung kommt mit ungefähr einem Drittel des Figurenpersonals aus und konzentriert sich auf die gute alte James-Bond-Weisheit, dass es für einen guten Actionthriller wurscht ist, warum etwas passiert, solange etwas passiert - deshalb wohl auch die Bond-Hommage in der Eingangssequenz. Auch in dieser Version der Geschichte kommt ein genialer schwedischer Programmierer vor, der eine dubiose Nuklearraketen-Software entwickelt hat, die von einer sinistren Gangsterorganisation gestohlen wird. Wichtig ist dem Regisseur aber nicht das technische Hackerbrimborium, das Lagercrantz langatmig beschreibt, sondern dass es sich bei der Chefin des Verbrecherkonglomerats um Lisbeths verschollene Schwester Camilla (Sylvia Hoeks) handelt, die für eine alte Familienangelegenheit Rache üben will. Das ist kein Spoiler aus dem letzten Drittel des Films, sondern wird zu Beginn offengelegt, weil Alvarez die Geschichte als gnadenloses Schwesternduell im eiskalten schwedischen Winter inszeniert.

Es gibt anständige Verfolgungsjagden im Schnee und ein paar perfide Folterversuche, wie sie sich nur zerstrittene Geschwister füreinander ausdenken können. Wenn man "Verschwörung" deshalb einfach als pervertierte Erwachsenenfassung von Disneys Schwesternzwistfilm "Die Eiskönigin" betrachtet, kann man an diesem Thriller durchaus Spaß haben.

The Girl in the Spider's Web, USA 2018 - Regie: Fede Alvarez. Kamera: Pedro Luque. Mit: Claire Foy, Sverrir Gudnason, Sylvia Hoeks. Sony, 117 Minuten.

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