Süddeutsche Zeitung

Filmindustrie:Aus Kino wird Couch

Napster-Gründer Sean Parker knöpft sich den alten Hollywoodbetrieb vor - mit einem Streamingdienst für das Kino. Das könnte die Filmindustrie verändern.

Von David Steinitz

Zur Zeit klappern die Gründer eines neuen Start-up-Unternehmens die Büros der großen Filmstudios in Hollywood ab. Und die Geschäftsmappen, die sie bei ihren Besuchen dort auf die Konferenztische legen, haben das Potenzial, den bisherigen Kinobetrieb auf den Kopf zu stellen.

Die Firma heißt "The Screening Room", und ihr Hauptinvestor ist der umtriebige Internet-Unternehmer Sean Parker. Als Mitbegründer der Musiktauschbörse Napster hat er zu Beginn der Nullerjahre bereits die Musikindustrie ordentlich durchgeschüttelt. Seine Filesharing-Plattform wurde zwar wegen Urheberrechtsverletzungen dichtgemacht, aber den Musikkonsum hatte er damit trotzdem ins digitale Zeitalter geschubst. Mit The Screening Room möchte sich der 36-Jährige, der auch einer der Wegbereiter von Facebook war und ein ausgezeichnetes Gespür für Netztrends und digitale Bedürfnisbefriedigung hat, jetzt Hollywood vornehmen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die klassische Filmbranche ohnehin große Zukunftssorgen macht.

50 Dollar, um einen Blockbuster zum Kinostart daheim sehen zu dürfen? Das könnte funktionieren

Obwohl Kinofilme immer noch viel Geld einspielen und teurere Tickets 2015 in den USA sogar für einen Einnahmerekord gesorgt haben, sind die Kinobesuchszahlen seit Jahren rückläufig. Viele Zuschauer schalten lieber daheim den Fernseher oder den Computer ein, als ins Kino zu gehen. Profiteure dieses Trends sind Online-Videotheken wie Netflix oder Amazon. Durch sie stehen die Hollywoodstudios unter Zugzwang, weil diese Konkurrenten nicht nur die Institution Kino bedrohen und Filme vertreiben, sondern sie mittlerweile auch selbst produzieren.

Das Dilemma: Mit jedem Blockbuster, den ein Filmstudio an einen dieser neuen Dienste verkauft, macht es zwar kurzfristig Gewinne - sägt aber langfristig an dem Ast, auf dem es sitzt. Die Studios tragen mit ihren Filmen zum Erfolg der Streamingdienste bei, die ihre Einnahmen wiederum in die Produktion eigener Filme stecken - und so von Jahr zu Jahr unabhängiger von Hollywood werden.

Den Studios ist natürlich klar, dass der Trend zum Heimkino geht. Prinzipiell hätten die meisten auch gar nichts dagegen, ihre aufwendigen Blockbuster, mit denen die Eigenproduktionen der Streaming-dienste bislang noch nicht mithalten können, parallel zum Kinostart auch gleich als Heimvideo anzubieten. Weshalb es vor fünf Jahren bereits eine große Initiative für hauseigene Streamingportale gab. Verhindert hat den Schritt eine der (noch) mächtigsten Lobbys im US-Showgeschäft: die der Kinobetreiber. Diese kämpfen seit Jahren gegen das immer schmaler werdende Zeitfenster zwischen Kino- und Heimauswertung, weil sie ihre Existenz bedroht sehen und sich zum Beispiel durch den Boykott einzelner Filme oder gar ganzer Studios wehren.

Das können sich die Filmstudios aber nicht leisten, denn bis sie einen Onlinevertrieb aufgebaut haben und dieser sich durchsetzt, bleiben die Kinos ihre wichtigste Einnahmequelle.

Genau diese Hollywood-Zwickmühle möchten Parker und seine Start-up-Kollegen nun mit The Screening Room lösen, indem sie eine versöhnliche und profitable Option für alle Parteien anbieten - und natürlich selbst mitverdienen wollen. Wie die Zeitschrift Variety berichtet, haben sie einen Digitalempfänger entwickelt, der eine angeblich sichere Anti-Piraterie-Technologie bieten soll. Denn die große Digitalangst der Studios ist es, dass ihre sündteuren Produktionen illegal und kostenlos im Netz landen. Die Kinobetreiber wiederum will The Screening Room durch eine Beteiligung an den Einnahmen befrieden. Und die sähen angeblich wie folgt aus: Der Receiver fürs Wohnzimmer soll einmalig 150 Dollar kosten, die Leihgebühr für einen Blockbuster jeweils 50 Dollar. Dafür kann man ihn dann 48 Stunden lang ansehen.

50 Dollar mögen zunächst teuer anmuten - aber wer mit der ganzen Familie an einem Samstagabend einen Blockbuster mit 3-D- und Überlängenzuschlag im Kino ansieht, kommt kaum günstiger weg. Außerdem soll es pro Heimvideo-Leihkauf für den Kunden zwei Kinotickets obendrauf geben, was die Zuschauer auch weiter in die Lichtspielhäuser ziehen soll. Und dort verdienen deren Besitzer mit Popcorn und anderen Zusatzartikeln immer noch ziemlich viel Geld. So argumentieren zumindest Parker und seine Berater, die er aus dem alten Hollywoodapparat rekrutiert hat und die die gesamte Branche seit Jahren gut kennen.

Nun bliebe dieser sehr ausgefeilte Businessplan nur schnöde Theorie, wenn nicht, wie Variety ebenfalls berichtet, einige Hollywoodstudios und Kinobetreiber tatsächlich daran interessiert wären. Dazu gehört auf der einen Seite anscheinend der Kinobetreiber AMC, dessen Firmenpolitik derzeit besonders viel Signalwirkung zugesprochen wird: Das Unternehmen steht kurz davor, die größte Kinokette der Welt zu werden, wenn die US-Kartellbehörde ihr den aktuell geplanten Zukauf des Konkurrenten Carmike Cinemas gestattet.

Auf der anderen Seite sind laut Variety die Hollywoodstudios Universal, Fox und Sony interessiert. Abgewunken hat bislang nur das Disney-Studio, woran man sehr schön die derzeitigen Machtverhältnisse in Hollywood ablesen kann: Disney gehören unter anderem die Pixar- und die Marvel-Studios sowie die Rechte an "Star Wars" - eine recht komfortable Situation.

Die Branchenblätter und Filmnachrichtenportale in den USA sammeln nun schon düstere Prophezeiungen von Vertretern der alten Kinobranche, die The Screening Room als Sargnagel und als Anfang vom Ende der Kinokultur betrachten. Andere unken, solange keine Verträge unterschrieben seien, müsse man Parkers Unternehmung nicht ernst nehmen. Dabei ist es für die Entwicklung der Filmkunst gar nicht so wichtig, ob nun Parkers Firma Erfolg haben wird oder in ein paar Monaten oder Jahren ein anderer Anbieter.

Denn die künftige Tendenz hat er vollkommen richtig erkannt: Genauso wie viele Musiknutzer ihre Sammlung gerne digital und überall verfügbar haben möchten, wollen viele Filmfans lieber daheim schauen als im Kino. Und genauso wie die Digitalisierung der Musikindustrie nicht zum Aussterben der Schallplatte geführt hat, werden auch Kinos weiter bestehen. Nur eben als eine von sehr vielen Möglichkeiten des Filmkonsums, mögen sie nun The Screening Room oder Netflix heißen. Dass wir uns daran gewöhnt haben, die Institution Kino und das Medium Film synonym zu verwenden - damit ist es wohl endgültig vorbei.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2016/cag
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