Fassbinder-Center:Wie der Meteorit auf die Dinosaurier

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1978 in Cannes: Der böse Bube des Kulturbetriebs Rainer Werner Fassbinder.

(Foto: AFP)
  • Das deutsche Filminstitut in Frankfurt hat den großen Schriftnachlass des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder gekauft.
  • Das Erbe aus Drehbüchern, Dialoglisten und Briefen ist jetzt im "Fassbinder-Center" für die Öffentlichkeit zugänglich.
  • Die Dokumente erinnern nicht nur an Fassbinder selbst, sondern auch an die 70er und 80er Jahre des deutschen Kulturbetriebes.

Von David Steinitz

Die Mutter von Rainer Werner Fassbinder wollte gleich nach dem Tod ihres Sohnes, der 1982 mit nur 37 Jahren starb, gemeinsam mit dessen Cutterin Juliane Lorenz den Nachlass des Regisseurs zusammenführen. Als die beiden Frauen in dessen Heimatstadt München um öffentliche Gelder zur Unterstützung baten, entgegnete ihnen ein verdutzter Beamter: "Wieso, ist das denn ein Künstler?".

Diese Anekdote erzählte Lorenz, die für den Filmemacher unter anderem "Die Ehe der Maria Braun" und "Lili Marleen" montierte, am Montag bei der Eröffnung des "Fassbinder-Centers" in Frankfurt. Denn Fassbinder galt auch in den Jahren nach seinem Tod in Deutschland noch als böser Bube des Kulturbetriebs, während er in Frankreich oder den USA längst als Regielegende heiliggesprochen worden war.

Ist das denn ein Künstler? Rückblickend war die Frage vielleicht gar nicht mal unberechtigt, weil Fassbinder ja nicht nur ein weiterer junger Wilder des Neuen Deutschen Films war; er wirkte sich aufs behäbige deutsche Wohlfühlkino der Nachkriegszeit ungefähr so aus wie einst der Meteorit auf die Dinosaurier.

In einem unvergleichlichen Schaffensrausch stellte er all jene Obsessionen, Neurosen, Komplexe und Trümmer der deutschen Nachkriegsgesellschaft in den Mittelpunkt seiner Filme, die der Heimatfilm der Fünfzigerjahre unter blühenden Wiesen zu verstecken versucht hatte. In gut 13 Jahren drehte er über 40 Filme. Nur mal zum Vergleich: Stanley Kubrick drehte in über 40 Jahren nur 13 Filme.

Neben den vollendeten Filmen gibt es einen großen Schriftnachlass des Regisseurs, der bislang bei der Rainer Werner Fassbinder Foundation, geleitet von Juliane Lorenz, in Berlin lag. Dieses Erbe hat nun das Deutsche Filminstitut in Frankfurt mit finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand angekauft. Das DFF ist federführend in der Bewahrung und Erforschung des Neuen Deutschen Films, unter anderem betreut es bereits die Vorlässe von Volker Schlöndorff und Rudolf Thome.

Fassbinder-Center: Neben Rainer Werner Fassbinders legendärem Ledersofa und seinem Flipper umfasst die Frankfurter Sammlung vor allem das Schriftgut des Regisseurs. In 180 Archivboxen befinden sich Korrespondenz und Arbeitsmaterialien wie hier zu seinem Kinofilm „Lili Marleen“.

Neben Rainer Werner Fassbinders legendärem Ledersofa und seinem Flipper umfasst die Frankfurter Sammlung vor allem das Schriftgut des Regisseurs. In 180 Archivboxen befinden sich Korrespondenz und Arbeitsmaterialien wie hier zu seinem Kinofilm „Lili Marleen“.

(Foto: DFF-RWFF)

Zum 70. Geburtstag des DFF, gegründet 1949, wurde am Montag bei einem Festakt auch das neue Fassbinder-Center in der Eschersheimer Landstraße in der Nähe der Universität eingeweiht. Es ist integriert in die anderen Sammlungen des Instituts und besteht in erster Linie aus über 180 roten Boxen. Darin befinden sich Arbeitsdrehbücher, Dialoglisten, Drehpläne, Verträge, Briefe, Telegramme, Urkunden, Kalkulationen und Finanzierungspläne. In Zukunft sollen diese Unterlagen im Studienzentrum des DFF Filmwissenschaftlern, Studierenden aber auch sonstigen Interessierten nach Terminvereinbarung zugänglich gemacht werden.

Zur Eröffnung kamen die Regisseure Volker Schlöndorff und Sönke Wortmann. Es sprachen unter anderem Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Ina Hartwig, die Verwaltungsratsvorsitzende des DFF. Hartwig sagte, dass Fassbinder und Frankfurt eine "von Debatten geprägte Vergangenheit" verbinde, was natürlich eine sensationelle Untertreibung ist. Denn dass der Nachlass nun ausgerechnet in Frankfurt gelandet ist, der Stadt, in der Fassbinder ein künstlerisches Waterloo erlebte und die er ungefähr so gerne mochte wie Thomas Bernhard Salzburg, ist schon eine Ironie der Geschichte.

Nur ein paar Gehminuten vom neuen Archiv entfernt war Fassbinder einst für kurze Zeit Intendant des Theaters am Turm. Seine Berufung erfolgte 1974 durch den damaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann und galt als Coup. Hoffmann bekam für Frankfurt den berühmten Kinoregisseur, und Fassbinder hatte Lust, neben der Filmarbeit an seine Münchner Theaterzeiten in den Sechzigerjahren anzuschließen. Nur vertrug sich sein künstlerischer Kamikazestil eher schlecht mit der Führung eines städtischen Theaterbetriebs. Die Sache wurde, vorsichtig gesagt, ein Desaster. Diese Phase hat Jürgen Trimborn in seiner ausgezeichneten Fassbinder-Biografie "Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben" (2012) pointiert zusammengefasst.

Weil es ihm nicht schnell genug gehen konnte, diktierte Fassbinder die Drehbücher irgendwann - seiner Mutter

Sanierung und Verwaltung waren Fassbinders Sache nicht, schon Ende 1974 hatte er das Einspielsoll um 100 000 Mark unterschritten, und seine mitgebrachte Filmfamilie hatte sich mit den Festangestellten am Theater heillos zerstritten. Hinzu kam Fassbinders exzessives Privatleben, mit dem er bereits München unsicher gemacht hatte. Oder, wie es der geschockte Kulturdezernent Hoffmann damals höflich ausdrückte: Fassbinder habe sich in Situationen hineinbegeben, "von denen wir alle wussten, dass sie nicht mit der Hessischen Gemeindeordnung in Einklang zu bringen waren".

Pressekonferenzen gerieten zu wahren Schlachten zwischen Journalisten und dem Fassbinder-Clan. Es wurden Flaschen geworfen, und Fassbinder keifte eine Kritikerin an: "Sie verstehen vielleicht etwas vom Ficken, aber nichts vom Theater!" Kurzum, es waren jene halbwilden Zeiten des westdeutschen Kulturbetriebes, in denen man sich durch dichten Zigarettenrauch hindurch schwer beschimpft, aber trotzdem noch gesiezt hat.

Die Frankfurter Episode endete schließlich mit einer Bühnenbesetzung durch die Jüdische Gemeinde, die Fassbinder Antisemitismus vorwarf und die Aufführung seines Stückes "Der Müll, die Stadt und der Tod" verhinderte. Auch dieses Skandalstück ist nun Teil des Fassbinder-Centers. Ein Mitschnitt der Generalprobe, der lange als verschollen galt, wurde im Archiv der städtischen Bühnen gefunden und dem DFF am Montag übergeben.

Darüber hinaus gibt es noch diverse weitere Tondokumente, weil es dem Fließbandarbeiter Fassbinder, dem es nie schnell genug gehen konnte, irgendwann zu lange dauerte, seine Drehbücher selbst aufzuschreiben. Stattdessen diktierte er sie teilweise auf Band. Das Interfunk-Modell 976, mit dem er seine Ideen zur Verfilmung von "Berlin Alexanderplatz" aufnahm, steht nun genauso in Frankfurt wie die Triumph-Schreibmaschine, auf der Fassbinders Mutter die Diktate ihres Sohnes abtippte.

Weil neben dieser Handvoll Gegenstände (dazu gehören auch noch sein Flipperautomat und seine Lieblingsledercouch) aber vor allem Schriftgut die Grundlage des Fassbinder-Centers bildet, wird sich erst in den nächsten Jahren durch die Erforschung seiner 180 Archivboxen nach und nach zeigen, welche Facetten des Regisseurs es noch zu bergen gilt.

Fassbinder jedenfalls, der nun schon seit bald vier Jahrzehnten tot ist, hätte das Jahr 2019 vermutlich auch ohne Fassbinder-Center gut gefallen. Denn seine Vorstellung von einem befreiten Kino ohne großen technischen Apparat, ohne Filmrollenwechsel und all die anderen Beschränkungen, hätte er heute mit einem Handy weiterverfolgen können. Und an deutschen Obsessionen, Neurosen und Komplexen als Grundlage für mindestens 40 weitere Filme hätte es wahrlich auch nicht gemangelt.

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