Filmfestspiele Venedig:Ich Mensch, du Alien

Film "Arrival"

Louise (Amy Adams) ist Linguistin und soll den Erstkontakt mit den Aliens herstellen, die auf der Erde gelandet sind.

(Foto: Festival)

Können Außerirdische die Erlösung bringen? Ist es okay, ein Findelkind einfach zu behalten? Beim Filmfest in Venedig geht es um zutiefst christliche Fragen.

Von Susan Vahabzadeh, Venedig

Alles ist Wahrnehmung, die Gegenwart verändert das, was man sieht. Denis Villeneuve hat das sicherlich gewusst, als er die Szene am Anfang seines Films "Arrival" drehte - man hat vorher nur Fragmente gesehen aus dem Leben von Louise (Amy Adams), die ein Kind bekommt, sich freut, es liebt und dann an den Krebs verliert. Nun steht sie vor ihren Studenten, und überall piepen und summen die Handys, bis endlich ein Mädchen Louise bittet, einen Fernseher einzuschalten. Man hat ähnliche Szenen schon so oft am Anfang von Katastrophen- und Science-Fiction-Filmen gesehen, aber in der aktuellen Zeichensprache stehen die summenden Handys für Terror. Von Anfang an spielt "Arrival" mit Ängsten und kommt immer wieder zu dem Schluss, dass man sich von ihnen nicht den Verstand rauben lassen darf.

Louise ist Linguistin, sie erforscht die Ursprünge der Kommunikation. Bald ist sie allein in einem Haus, das keinen Schutz bietet, mit riesigen Fenstern auf einen See hinaus. Alle haben sich verkrochen, denn es sind keine Terroristen, die an zwölf Orten auf dem ganzen Erdball zugeschlagen haben, es sind riesige, eiförmige Raumschiffe gelandet.

Nachts donnert ein Helikopter auf die Wiese am See, ein Colonel (Forest Whitaker) holt Louise ab. Sie soll zusammen mit einem Mathematiker (Jeremy Renner) zu dem Ei kommen, das auf amerikanischem Boden steht, in Montana. Es sind Wesen dort oben, und Louise soll versuchen, Kontakt aufzunehmen. Wenn sie und der Mathematiker dann ängstlich und neugierig in das schwebende Ei hinaufgebracht werden, in dem die Schwerkraft auf den Kopf gestellt ist - das ist spannend und komisch. Die beiden Aliens oben, die bald Siebenfüßler genannt werden, will Louise unbedingt nicht als Bedrohung sehen.

Was bedeutet das Wort für Krieg in Sanskrit? Ich brauche mehr Kühe

Aus ihren Füßen spritzen sie Tinte, die sich zu kreisförmigen Symbolen formt - eine Sprache, das ist wirklich neu. Eine Science-Fiction über Linguistik? Was für eine großartige Idee, auf der Villeneuve aber nicht herumreitet, Louises Besserwisserei ist wohldosiert. Was bedeutet das Wort für Krieg in Sanskrit? Ich brauche mehr Kühe.

"Arrival" ist eine Heilsgeschichte, im Hintergrund entwickelt sich ein Militärthriller, bei dem die zwölf Staaten, in denen die Eier gelandet sind, nicht kooperieren. Louise aber konzentriert sich auf die Frage, warum die Aliens überhaupt gekommen sind. Sie bringen ein Geschenk, das die Welt zu einem besseren Ort machen könnte, mit Louises Hilfe, und letztlich zerbrechen sie das System der Zeit. Logisch ist das nicht - aber wer die Schwerkraft umbauen kann, kriegt auch die Logik in den Griff. Die ganze Geschichte ist zutiefst christlich, ohne das je zu benennen - in ihrer Konstellation, ihrem festen Glauben an das Gute und an Erlösung.

Was christlich denn eigentlich bedeuten sollte, das ist dann wohl ein Thema im 73. Wettbewerb von Venedig, es taucht gleich mehrfach auf. In "El Cristo Ciego" des Chilenen Christopher Murray wandert ein junger Mann von Dorf zu Dorf und macht den Scheinheiligen die armen Bauern abspenstig.

In "The Light Between Oceans" sieht man ziemlich viel ziellose Herumbeterei - nur die Protagonisten, die in einem Dilemma salomonischen Ausmaßes stecken, halten sich da raus. Es geht um ein Paar, den stillen, vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Tom (Michael Fassbender) und Isabel (Alicia Vikander), die einen Leuchtturm hüten auf einer einsamen Insel vor der australischen Küste. Sie hat zwei Fehlgeburten, und dann wird ein kleines Ruderboot angeschwemmt, mit einem Baby und einer Leiche drin.

Vielleicht ist da zu viel Schmerz und zu wenig Freude

Tom meldet den Vorfall nicht, denn Isabel will das kleine Mädchen unbedingt behalten. Nur sieht Tom eines Tages bei einem Besuch auf dem Festland die echte Mutter (Rachel Weisz) um ihr Kind trauern - und kann dann nicht anders, als Spuren zu legen, damit sie herausfinden kann, dass das Kind, das er so liebt, nicht Isabel und ihm gehört.

Der Filmemacher Derek Cianfrance hat vorher zwei ganz wunderbare, zutiefst emotionale Filme gemacht, "Blue Valentine" und "The Place Beyond the Pines". Aber bei diesem echten Melodram stellt sich nicht genug Gefühl ein. Vielleicht ist da zu viel Schmerz und zu wenig Freude, um den Verlust nachempfinden zu können. Einmal sieht man, wie Isabel Tom rasiert, die Szene ist vielleicht großartig, aber man sieht nur einen Ausschnitt, der wenige Sekunden dauert. Das ist schade.

Bei Tom Ford fragt man sich dann eher, was man überhaupt fühlen soll. Er erzählt von lauter Menschen, die er nicht leiden kann, in "Nocturnal Animals". Im Zentrum steht wieder Amy Adams, die so wunderbar zurückhaltend spielt wie bei Villeneuve, diesmal aber eine Frau, die nicht weiß, was wichtig ist. Susan gehört, schon von Geburt an, zur High Society und verkauft teure Kunst, die ihr nichts bedeutet. Ihr Mann ist ein bildschöner, reicher Hohlkopf.

Ihr Ex schickt ihr seinen Roman, den er gerade geschrieben hat und der nun häppchenweise serviert wird: Ein Mann, gespielt - wie der Ex - von Jake Gyllenhaal, wird in der nächtlichen texanischen Pampa von weißem Abschaum überfallen, der seine Frau und seine Tochter vergewaltigt und ermordet, und diese widerlichen Gestalten bringt er dann mit einem Sheriff zur Strecke.

Bilder von leerer Schönheit

Das ist zu gar nichts gut, es sei denn, Tom Ford, der auch das Drehbuch geschrieben hat, wollte für Waffenbesitz werben - der Abschaum hat gar keine, dafür bekommt der leidende Vater dann eine. Alles erzählt in Bildern von leerer Schönheit: Die Frauen breiten nachts im Schlaf die Haare aus, die Männer posieren als Wyatt Earp.

Entweder Ford hadert mit der Menschheit oder er verachtet sie bloß - was manche Bilder, nackte tanzende dicke Frauen am Anfang, operierte Gesichter, Abschaum auf dem Klo, nahelegen. Alles schrecklich. Wäre Amy Adams in diesem Film nicht schon beschäftigt - man würde sich wünschen, dass sie ein paar Siebenfüßler zur Hilfe ruft und die Welt rettet.

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