Süddeutsche Zeitung

Filmfestspiele in Venedig:Tom, der Tor

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Die Filmfestspiele in Venedig beginnen ihr filmisches Defilee - vor der protzigen Kulisse des Laufstegs mutiert die Ankunft der Stars allerdings eher zum Aufmarsch. Mit dabei: Tom Hanks als Held im neuen Spielberg-Film.

Von Rainer Gansera

In Cannes eilen die Stars über den roten Teppich, in Venedig schlendern sie zum Palazzo del Cinema. Sie flanieren, das heißt sie gestatten im Vorübergehen - so hat Walter Benjamin es beschrieben - allen Dingen in ihren Tagtraum einzutreten.

So war das zumindest bis vor drei Jahren, als es noch dieses Defilee gab, das am Gartentor des Hotel Excelsior begann, wo die vornehmlich aus Hollywood angereisten Stars sich so elegant und von Sehnsucht nach Schönheit beflügelt zeigten wie die feine Gesellschaft in Viscontis Thomas-Mann-Film "Tod in Venedig", der hier gedreht wurde.

Trend zur Trennwand

Dann wurde Moritz de Hadeln Mostra-Direktor und ließ Trennwände aufstellen, zwischen denen die Stars zur Sala Grande hindurchschlupfen mussten. Diese alles Flanieren unterbindenden Wände wurden sogleich "Berliner Mauer" getauft - de Hadeln war zuvor über 20 Jahre lang Berlinale-Chef.

Nun gibt es dieses Jahr wieder einen Laufsteg, der allerdings an einer arg protzigen Kulisse vorbeiführt: 60 gestaffelte, rot beleuchtete Säulen, auf denen golden-geflügelte Venedig-Löwen thronen. Vor dieser einschüchternden Löwen-Armee bekommt das Star-Defilee unvermeidlich einen Aufmarsch-Charakter.

In abendlicher Beleuchtung verliert die Szenerie manches von ihrer pathetischen Schwerfälligkeit, und natürlich können Steven Spielberg und Tom Hanks, wenn sie "The Terminal" als Eröffnungsfilm präsentieren, ihren Auftritt ins Spielerische modulieren. "The Terminal" evoziert noch einmal affirmativ den Amerikanischen Traum als Spielberg-Märchen, und schlägt eines der großen Themen dieses Festivals an.

Tom Hanks verkörpert eine erdige Variante seines naiv-tumben "Forrest Gump"-Toren, der trotz seiner hilflosen Erscheinung tatsächlich die Inkarnation tiefster Weisheit und moralischer Integrität ist. Spielbergs Märchenerzähler-Optimismus schanzt seinem Helden eine bittersüße Liebesgeschichte und eine Hand voll famoser Kumpel zu, und zeigt ihm, wie man bereits mit dem Zusammenschieben von Gepäckwagen auf einem Terminal sich seine ersten Münzen in "the land of the free" verdienen kann.

In Jonathan Demmes "The Manchurian Candidate" und Wim Wenders' "Land of Plenty" wird der Amerikanische Traum umkippen in einen bizarr verschatteten Albtraum : Überwachungsstaat, Totalitarismus, Armut, Enthumanisierung, Paranoia. "Ist er ausgeträumt der Amerikanische Traum? / Träumt ihn nur noch das Kino weiter" - formulierte Wenders bereits 1984 in seinem Hass-Liebe-Pamphlet "Der Amerikanische Traum".

Zuschauerschlangen bei der Retro-Reihe

Erste Zuschauerschlangen bilden sich bei der Retro-Reihe "Italian Kings of the Bs", den italienischen Meistern des B-Picture gewidmet. Mit dieser Reihe konnte der neue Festival-Direktor Marco Müller eine seiner Vorlieben ins Programm heben. Über Müller - Jahrgang 1953, schweizerdeutsche Herkunft, in Rom geboren und aufgewachsen - werden die widersprüchlichsten Dinge erzählt: er sei ein superintellektueller Cineast, ein gnadenlos dem Publikumsgeschmack hinterherlaufender Opportunist, ein elitärer Snob, ein Managertyp.

Sicher ist eines: Müller entstammt der französischen Schule der Cinephilie, wie sie von der Nouvelle Vague begründet wurde. Eine spannende und fruchtbare Schule, der er immer treu geblieben ist, als Festivalmacher in Pesaro, Rotterdam und Locarno und als Produzent. Zu dieser Schule gehört die Entdeckung, dass sich gerade im Genre-Kino nicht nur das Vorfabrizierte, sondern auch das Waghalsige finden lässt.

Also zeigt Müller zum Start der B-Movie-Reihe voller Stolz den in herrlichen Technicolorfarben und ausschweifender Fantasie badenden Animationsfilm "I fratelli Dinamite" von 1949, der von drei in paradiesischer Wildheit aufgewachsenen Brüdern handelt, die der tristen Zivilisation die unbefangene Spaß-Botschaft verkünden, und damit nur an einem einzige Ort der Welt Erfolg haben: in Venedig.

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Quelle:
SZ vom 2.9.2004
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