Filmfestspiele in Venedig:Krieg vor den Palästen

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Dante Ferretti zertrümmert Venedigs Festivalfassade, Joe Wright eröffnet die Filmfestspiele mit "Abbitte": einem handwerklich beeindruckenden Werk, das trotz seiner Schönheit nicht zeigt, was es meint.

Susan Vahabzadeh

Man kann der Zeit beim Stillstehen zusehen in "Venezia 75", dem Kurzfilm, den Antonello Sarno gemacht hat zum Geburtstag der Mostra - eine halbe Stunde alter Bilder, vor dem Eröffnungsfilm "Abbitte" von Joe Wright zu sehen. Der Lido, Venedig als Kulisse hat sich kaum verändert, und das Festival findet immer noch in denselben Räumen statt. Der olle Festivalpalazzo wird seit drei Jahren für die Dauer der Filmfestspiele vom italienischen Meisterausstatter Dante Ferretti kostümiert.

Szene aus Joe Wrights "Abbitte", dem Eröffnungsfilm der Filmfestspiele in Venedig mit Keira Knightley und James McAvoy. (Foto: Foto: Festival)

Passend dazu, dass der Krieg - vornehmlich der im Irak, in Paul Haggis' "The Valley of Elah" und Brian De Palmas "Redacted" - eine Rolle spielen wird in diesem Wettbewerb, hat Ferretti diesmal eine riesige kugelige Bombe in eine potemkinsche Plastikfassade vor der eigentlichen Palastmauer gebastelt. Angesichts der Tatsache, dass das gesamte Festival schon vom Neubau an der anderen Seite der Strandpromenade träumt, kommt einem das ein bisschen wie ein böser Kommentar zum verhassten alten Festivalzentrum vor.

Aber wenn man sich sinken lässt in Sarnos Bilderstrom, die Aneinanderreihung historischer Momente - die Loren am Strand, Gary Cooper in einer Gondel, Fellini vor einer tobenden Sala Grande, John Ford, der auf die Bühne taumelt, Pontecorvo und Antonioni, die in seligen Augenblicken ihre Löwen an sich pressen -, dann wird einem doch ein bisschen wehmütig ums Herz.

Ihre Geister schweben noch in diesen Räumen, der Faschistenbau an der Promenade ist ein Stück Geschichte, der Ort, an dem "Die Schlacht von Algier" ihr Recht bekam, "Deserto rosso" Kinohistorie machte, setzt sich zusammen aus Tausenden Momenten, die nie mehr wiederkommen. Wenn er fort ist, werden die Seelen unbehaust sein, nicht mit hinüberziehen in die neuen Hallen ...

Ein dahingeplappertes Interview

Eine Geistergeschichte ist auch der Eröffnungsfilm "Atonement/Abbitte", es geht um die Überlagerung von Lüge und Fiktion. Die Geschichte beginnt wie ein Krimi, eine Agatha-Christie-Story in einem herrschaftlichen britischen Landsitz.

Der Tag, an dem Briony, das Nesthäkchen, ihr erstes Theaterstück geschrieben hat, ein wunderschöner Sommertag in den dreißiger Jahren. Während Briony durch die Gänge hastet, durch den Park streift, macht sich die Ahnung von Verbrechen breit. Und ein solches geschieht dann auch in gewisser Weise. Eine Katastrophe, ausgelöst von einem verzogenen Kind, das einmal nicht bekommt, was es will - und seinen Frust auslässt an einem Freund, dessen größte Schwäche seine Herkunft ist: Robbie Turner ist der Sohn einer Hausangestellten.

"Abbitte" ist eine Klassengeschichte, Oben und Unten werden von Geld bestimmt, und von der intellektuellen Überlegenheit einer künftigen Erfolgsschriftstellerin, die ihre Gabe zum Fabulieren rachsüchtig nutzt. Joe Wright hat Ian McEwans Roman von 2001 adaptiert, und er inszeniert das wie einen Thriller, schneidet hingebungsvoll hin und her zwischen verschiedenen Zeitebenen, zeigt das Delikt, das das Mädchen zu ahnden gedenkt, immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln.

Briony ist in Robbie verliebt, eine kindliche Schwärmerei, und nimmt verletzt wahr, dass sich eine Beziehung anbahnt zwischen ihm und ihrer Schwester Cecilia (Keira Knightly). Vom Fenster aus beobachtet sie, wie diese ihr Kleid abstreift vor ihm und in den Brunnen steigt - keine Geste der Verführung, sie taucht nach der Scherbe einer wertvollen Vase, die Robbie zerbrochen hat.

Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen setzt sich dieser Abend zusammen für Briony - sie liest einen schlüpfrigen Liebesbrief, erwischt die beiden in der Bibliothek, dann gibt es einen sexuellen Missbrauch im nächtlichen Garten. Robbie wird der Tat bezichtigt, das ist das Ende seines geplanten Medizinstudiums, vom Gefängnis aus wird er in den Krieg geschickt und landet in Frankreich, Cecilia bricht mit der Familie.

Worum es eigentlich in "Abbitte" geht, hat Wright wohl begriffen, aber er schwimmt immer nur an der Oberfläche. Was bei einer Verfilmung zwangsläufig verloren geht, ist der Reiz des inneren Monologs. Die eigentliche Abbitte ist bei McEwan ein solcher Monolog, bei Wright findet das in Interviewform statt. Es ist aber nun mal etwas anderes, ob ein - fiktiver - Autor in einem inneren Kampf die Fiktion als Abbitte an sich selbst richtet oder ob man ein dahingeplappertes Fernsehinterview draus macht.

Hohler Kunstgriff

Was Wright gemacht hat, ist handwerklich eindrucksvoll. In einer endlos wirkenden Kamerafahrt erleben wir Robbies Ankunft an der Küste, wo er zurückfindet zu britischen Truppen in einem zerstörten Seebad, und die Szenerie im Sonnenuntergang, romantisch schrecklich, das durchchoreographierte Kommen und Gehen der Figuren ist faszinierend. Eine wilde Fahrt, ein Kurzfilm im Film, der ganz wunderbar ist, in der Geschichte aber ein hohler Kunstgriff bleibt, der in all seiner Schönheit nicht zeigen kann, was er meint - wie die Fiktion wieder hinzubiegen versucht, was die Lüge zerstört hat, den Toten ein neues Leben erdenkt.

© SZ v. 30.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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