Süddeutsche Zeitung

Filmfestspiele in Toronto:Die schöne Querulantin

Auftritt der Deutschen in Toronto: Caroline Link, Max Färberböck und Marco Kreuzpaintner stellen ihre neuen Filme vor. Und für Daniel Brühl kommen die Fans sogar aus Japan angereist.

A. Sterneborg

Ein schöner Moment auf dem roten Teppich, bei der Premiere von Marco Kreuzpaintners "Krabat". Da kommt eine junge Japanerin auf Daniel Brühl zu und gesteht, dass sie allein wegen ihm aus Japan angereist sei, dann zieht sie ein enormes Bündel von Fotos mit ihrem Star aus ihrer Tasche.

Ein passendes Bild für Toronto, das eine besondere Brückenfunktion zwischen amerikanischem Entertainment, europäischer Filmkunst und asiatischer Bildersucht einnimmt. Ganz nebenbei illustriert es aber auch die Zugkraft, die das deutsche Kino und die deutschen Stars derzeit in der Welt offenbar haben.

Das Festival von Toronto ist das wichtigste auf amerikanischem Boden und rangiert weltweit nach Cannes, Berlin und Venedig auf dem vierten Platz. Gerade weil es im Gegensatz zu den "großen drei" keinen Wettbewerb gibt, haben die Festivalleiter Piers Handling und Noah Cowan die Freiheit, alle Höhepunkte eines Filmjahrgangs versammelt zu präsentieren - ohne den verbissenen Anspruch auf Exklusivität.

Weltpremieren gibt es dennoch - und diesmal präsentieren sich, in einer außergewöhnlichen Zusammenballung, gleich drei große, mit Spannung erwartete deutsche Produktionen erstmals dem Publikum. Neben "Krabat", der Bestsellerverfilmung nach Otfried Preußler, sind das Max Färberböcks "Anonyma" mit Nina Hoss - und "Im Winter ein Jahr" von Caroline Link, die erste Arbeit der Regisseurin seit ihrem Oscargewinn im Jahr 2003.

Sollten die hohen Erwartungen und die lange Schaffenspause Caroline Link belastet haben - ihrem Film merkt man das nicht an. Ganz behutsam und geheimnisvoll umspielt sie die Leerstelle, die der Selbstmord eines Achtzehnjährigen in einer Familie hinterlassen hat. Aus einzelnen Tönen entsteht dabei ganz langsam die Melodie des Films, und so wie sich aus vielen Details ein Bild fügt, erwächst aus der Fülle von Erinnerungen die Geschichte. Bei aller Tiefe wirkt diese Verfilmung eines Romans des Amerikaners Scott Campbell licht und luftig.

Rückkehr der Oscargewinnerin

Die Mutter des Toten (Corinna Harfouch) spricht nur von einem Jagdunfall, weil sie glaubt, sich dann nicht mit ihrer Schuld auseinandersetzen zu müssen. Bei dem Maler Max (Sepp Bierbichler) gibt sie ein Bild in Auftrag, auf dem ihre beiden Kinder ein letztes Mal gemeinsam am Klavier vereint sein sollen: "So ein Bild kann schon helfen bei der Trauer", brummt Max, und tatsächlich setzen allein die ruhigen Fragen und genauen Beobachtungen, mit denen er sich eine Vorstellung von den Familienmitgliedern und ihren Beziehungen machen will, einen Prozess der Aufarbeitung in Gang.

Vor allem die Schwester des Toten (Karoline Herfurth), die sich am Anfang spätpubertär gegen das Bild sperrt, entwickelt eine vorsichtige Freundschaft zu dem Maler, der dabei ganz beiläufig zu einer Art Therapeut wird - und am Ende wohnen dem im Grunde ganz einfachen Gemälde nicht nur die Wahrheiten der Vergangenheit inne, sondern auch eine Perspektive für die Zukunft.

Selten hat der deutsche Film eine solche Weite des Raumes eröffnet, in Lofts und mondänen Wohnungen, in Tanzsälen und Schwimmhallen und in der Schnapsfabrik, die der Maler sich zum Atelier umgebaut hat, allesamt Orte, in denen die Menschen lange keinen Halt finden. Und selten gibt es einen solchen schauspielerischen Reichtum - von den Hauptrollen Herfurth und Bierbichler, Harfouch und Hanns Zischler bis zu den kleinsten Nebenrollen.

Toronto empfängt mit offenen Armen

Bierbichler tritt einmal nicht als polternde Naturgewalt auf, sondern als ruhender Fels in der Brandung unterdrückter Gefühle. Völlig unprätentiös füllt er mit seiner ungeheuren Präsenz auch die schwierige Existenz eines Künstler aus, glaubwürdig unterstützt durch die von Florian Süssmayr gemalten Kunstwerke.

Nach Doris Dörries "Kirschblüten" ist "Im Winter ein Jahr" binnen kurzer Zeit schon der zweite deutsche Film, der sich mit dem Tod auseinandersetzt, und vielleicht ist das ja auch ein Weg, um deutsche Geschichte und Schuld zu verarbeiten. Nahezu jeder Film wird in Toronto mit offenen Armen und großem Applaus empfangen, ganz anders als bei dem sehr viel härteren Publikum in Berlin oder Cannes - aber man meint zu spüren, dass Caroline Link wieder besonderen Eindruck hinterlassen hat.

Vor sechs Jahren hat sie hier schon "Nirgendwo in Afrika" gezeigt - damals der erste Schritt auf dem Weg zum Oscar. Gut vier Monate vor den Academy Awards wird in Toronto schon heftig für den Auftritt bei der Nacht der Nächte getrommelt, und natürlich geht es dabei vor allem ums Geschäft. Der Markt in Toronto gilt als besonders wichtig für Nordamerika - in Venedig, heißt es, würden die Geschäfte eher angebahnt, hier aber abgeschlossen. Auch die Deutschen, deren Stimmen in Kinosälen und auf Partys in diesem Jahr besonders häufig zu hören sind, erhoffen sich natürlich zahlreiche Verkäufe.

Ein deutsches Trauma

Dass der Regisseur Max Färberböck und der Produzent Günter Rohrbach dem Publikum und den internationalen Verleihern mit "Anonyma" kein leichtes Angebot machen, ist allerdings klar. Im Dauergrau der Trümmerzeit rekonstruieren sie akribisch genau das Tagebuch einer anonymen Journalistin, die die letzten Tage des Naziregimes in Berlin, den Zusammenbruch der Stadt und den Einmarsch der Russen beschreibt.

Von Anarchie und Wahnsinn, Feigheit, Verblendung und purem Überlebenswillen erzählt dieser Bericht , der einen gänzlich unsentimentalen Blick auf jene Massenvergewaltigungen der Besatzer wirft , die als kollektives Trauma in die deutsche Geschichte eingehen sollten. Der Text, der bereits in den fünfziger Jahren publiziert wurde, fand erst durch eine Neuauflage im Jahr 2003 ein größeres Publikum in Deutschland - und die Modernität dieser Aufzeichnungen, die aus äußerster Erniedrigung und Illusionslosigkeit entspringt, wird hier ungefiltert ins Medium Film übersetzt.

Gerade Nina Hoss als "Anonyma" mobilisiert auch einiges Mitgefühl für die physischen und seelischen Wunden der geschändeten Frauen, die von den Russen physisch und von den eigenen Landsleuten psychisch missbraucht wurden. Doch leider vergisst man nie, dass jeder Geröllhaufen, jede Holzplanke und jedes zerrissene Kleidungsstück von Ausstattern und Kostümbildnern säuberlich arrangiert worden sind. Auch wenn naturgemäß niemand große Lust haben dürfte, sich wohlig in dieser schweren Zeit einzurichten, fehlt der Geschichte doch ein Moment, der all die Mühen einmal vergessen macht, die es sicher gekostet hat, ihre Schauplätze herzustellen.

Der deutsche Harry Potter

Auch "Krabat", Marco Kreuzpaintners Verfilmung von Otfried Preußlers 1971 veröffentlichtem Jugendbuch, stellt zunächst durchaus den Aufwand der Produktion und die Wucht seiner spektakulären Schauplätze aus. Die Münchner Produktionsfirma Claussen, Wöbke und Putz hat einen Großteil des Films unter abenteuerlichen Bedingungen im tiefsten Rumänien gedreht, und der Lohn dieser Mühe sind Bilder, die tatsächlich jene Wildheit und Einsamkeit atmen, die man sich bei der Lektüre des Buchs ausmalt.

Die streunenden, hungernden und verwahrlosten Waisenkinder des Dreißigjährigen Krieges geraten in den Sog einer dunklen, gefährlichen Macht, die ein Ende ihres Elends verheißt und Kontrolle über ihr Schicksal verspricht. Zauberkräfte sollen sie erwerben durch die Ausbildung in der Koselbruch-Mühle in der Lausitz, die sich bald als "Schwarze Schule" entpuppt, wo der "Meister" (Christian Redl) elf Müllersburschen versklavt - bis Krabat (David Kross) die Liebe und damit ein Mittel findet, den Fluch zu brechen.

Wie all die modernen Straßenkinder, Kinderprostituierten und Klaukinder, von denen das Kino der Welt derzeit so oft erzählt, müssen auch diese Müllersburschen schmerzlich erfahren, dass die Verheißungen eines besseren Lebens trügerisch sind. Mit moderner Ausstattung und dem moderaten Einsatz von Computereffekten, mit wuchtig düsteren Bildern und dem von David Kross und Daniel Brühl angeführten Ensemble rückt Kreuzpaintner die alte Mühle in die Nähe von Harry Potters Zauberschule, ohne ihr deshalb den deutschen Klang zu nehmen. So mischen sich die deutschen Filme mit kraftvoller Stimme in den Diskurs über das Wesen und den Preis der Freiheit ein, um die in diesem Jahr eine ganze Reihe von Festivalfilmen ringen.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2008/sst
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