Filmfestspiele in Cannes:Das Politische ist immer da

Filmfestspiele in Cannes: Ihre eigene Hauptdarstellerin - Natalie Portman in ihrer ersten Regiearbeit "A Tale of Love and Darkness".

Ihre eigene Hauptdarstellerin - Natalie Portman in ihrer ersten Regiearbeit "A Tale of Love and Darkness".

(Foto: Cannes Film Festival)

Was tun, wenn Natalie Portman einen politischen Film dreht, aber vor dem Interview sagt, dass sie nicht über Politik reden will? Sie auf ihr tolles Kleid ansprechen? Ein Dilemma, das die Filme in Cannes entscheidend prägt.

Von Tobias Kniebe

Die Ansage ist: Bitte nicht über Politik zu sprechen. Und zunächst einmal leuchtet das sogar ein, als Natalie Portman die Terrasse des Majestic Beach Restaurant betritt. Im kleinen Schwarzen, schon jetzt am frühen Vormittag - und selbst unter der gnadenlosen Sonne der Côte d'Azur erscheint sie als ein Wesen von vollkommener Perfektion, der Albtraum der Arbeitslosigkeit für alle Photoshop-Retuscheure. Warum in aller Welt würde man so eine Erscheinung jetzt mit Fragen zur, sagen wir, israelischen Siedlungspolitik behelligen?

Nun ja, weil sie eben auch Künstlerin ist. Und Harvard-Absolventin, die im Zweifel weiß, was sie sagt. Und weil sie, unter ihrem Geburtsnamen Neta-Lee Hershlag, nicht nur die amerikanische, sondern auch die israelische Staatsbürgerschaft besitzt. Ganz besonders aber deswegen, weil sie gerade ein eminent politisches Meisterwerk der israelischen Literatur verfilmt hat, Amos Oz' "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis", erstmals als Regisseurin und Darstellerin zugleich, und sogar auf Hebräisch. Der Film ist manchmal etwas unbeholfen, wie Erstlingsfilme es eben sind; aber er ist vielversprechend und auch nicht unpolitisch. Doch es hilft nichts - keiner der Journalisten, die in dieser Fragerunde überhaupt zu Wort kommen, wagt es, die Omertà zu brechen.

Besser kann man das Dilemma kaum illustrieren, in dem Festivals wie Cannes seit jeher stecken. Denn warum verfilmt man ein solches Buch? Auch deshalb, weil man zur Existenz des Staats Israel und zum Frieden im Nahen Osten tausend Dinge zu sagen hätte. Warum dreht man auf Hebräisch, für den Weltmarkt quasi untauglich? Weil man es absolut ernst meint. Es gäbe also Anlass, ernsthaft darüber zu reden.

Andererseits repräsentiert Natalie Portman hier nicht nur ihren Film, sondern auch das Modehaus Dior, das ihr viel Geld dafür bezahlt; dazu ein neues Glamourprojekt, in dem sie Jackie Kennedy spielen wird; und am Ende auch ein Unternehmen mit Millionenumsatz, das Natalie Portman heißt. Jede Aussage und jedes Wort, das mehr als harmloser Smalltalk wäre, können da eigentlich nur schaden.

Ein Spannungsfeld, das einem in Cannes den letzten Nerv rauben kann, das die Filme des Festivals aber auch entscheidend prägt. Denn das Politische ist immer da. Es wird von den Festivalmachern bewusst gesucht. Es schleicht sich ein, wo es angeblich gar nicht gefragt ist. Und es bahnt sich seinen Weg gerade dort, wo die Filme eigentlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind.

So ist "Mon Roi" der französischen Filmemacherin Maïwenn etwa die Geschichte einer Frau, die einem verrückt-charismatischen Märchenprinzen der französischen Koks-Bourgeoisie verfällt, nur um ihn dann als Ehemann aus der Hölle kennenzulernen. Getragen wird der Film von dem wirklich charismatischen Vincent Cassel, ansonsten aber hat man so etwas tausendmal gesehen. Die Geschichte entfaltet sich allerdings in Rückblenden, während sich die Frau in einer Art Reha-Hotel von einem Skiunfall erholt. Das ist so luxuriös und liegt so malerisch am Meer, mit tausend Entmüdungs- und Ermüdungsbecken und Wellness-Oasen und Heerscharen von Therapeuten, Trainern und Psychologen, dazu Krafttraining vor Panoramaglasscheiben, dass der Film in Wahrheit und ganz unbeabsichtigt eine Art Analyse der französischen Krise wird: Könnte es sein, dass dieser Staat es mit seinem Gesundheitssystem etwas übertrieben hat?

Blick auf globale Sozialstaatsprobleme

Überhaupt, die Grande Nation und ihre Sorge um die Bürger: Nachdem schon der Eröffnungsfilm "La tête haute" eine endlose Feier der Therapie-Anstrengungen und Wiedereingliederungshilfen für straffällige Jugendliche war, mit Catherine Deneuve als einer Richterin und Superheldin der Staatsräson zwischen Autorität und Fürsorge, arbeitet sich dann auch "La loi du marché/The Measure of a Man" von Stéphane Brizé an den Bemühungen des Systems ab, seine Untertanen funktionsfähig zu halten. Vincent Lindon, der in früheren Zeiten oft den arroganten Schönling gab, durchläuft dabei als arbeitsloser älterer Maschinenbauer immer neue, quasi-dokumentarische Situationen der Erniedrigung.

Der Jobberater, der Bewerbungstrainer, die Bankberaterin, auch der neue Chef im Supermarkt, sie alle reden in einer Sprache der Fürsorge und Optimierungserwartung, die zugleich totale Anmaßung bedeutet - hier wird einem rechtschaffenen Mann seine letzte Würde genommen. Es ist durchaus spannend, wie Lindon dabei immer grauer und stiller wird, eine tolle Performance, vom ewigen Freiheitsdrang des Kinos beseelt - nur will der Film darauf am Ende gar nicht hinaus. Wenn das mit der Fürsorge nur wirklich mal klappen würde, scheint Brizé zu sagen, wäre die Bevormundung schon ganz in Ordnung.

So braucht es doch immer wieder den globalen Blick, um europäische Sozialstaatsprobleme in die angemessene Perspektive zu rücken - und die kam anschließend mit "Sicario". Darin nimmt der kanadische Filmemacher Dennis Villeneuve, der sich langsam in die Klasse der internationalen Regiestars vorarbeitet, den "War on Drugs" entlang der texanisch-mexikanischen Grenze ins Visier. Emily Blunt spielt eine junge FBI-Agentin im bewährten "Schweigen der Lämmer"-Novizinnenmodus, die einer Geheimoperation mit den Raubeinen Josh Brolin und Benicio Del Toro zugeteilt wird, welche dann in dunkle Gefilde jenseits der mexikanischen Grenze führt. Eine Fahrt nach Juárez zum Beispiel inszeniert Villeneuve wie einen Konvoi in irakisches Feindesland, und das ist genau sein Punkt - dass auch auf der Seite der vermeintlich Guten eigentlich längst das Kriegsrecht gilt, oder besser gesagt: im Grunde gar kein Recht.

Auftragskiller im eigenen Team

Sicarios werden in Mexiko Auftragskiller genannt, und irgendwann findet die FBI-Agentin heraus, dass es solche nicht nur im gegnerischen Team gibt. Das wird als schwerer Schock für sie gezeigt, und noch vor ein paar Jahren wäre das ein wirkliches Drama gewesen, Stoff für ein klassisches Kino-Dilemma. Aber auch in diesem Sinn schleicht sich die Politik dann wieder ein, auf ganz unkontrollierbare Weise. Denn inzwischen sitzen längst Hunderte Auftragskiller in der Wüste Nevadas, sie steuern Drohnen über Pakistan, sie töten Islamisten und oft genug versehentlich auch Zivilisten, und sie tun es auf direkten Befehl des amerikanischen Präsidenten.

Die Langzeitfolgen, die das für unsere Vorstellung von Recht und Gesetz haben wird, sind noch keineswegs absehbar. Aber zumindest die unmittelbaren Folgen für "Sicario" sind klar - dem fehlt, so packend er inszeniert ist, jetzt leider ein bisschen die Fallhöhe.

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