Filmfestspiele Cannes:Abseits der Yachten

Für unabhängige Filmschaffende ist das Geschäft schwierig geworden, denn die Hollywood-Blockbuster beherrschen den Markt. Eine Hoffnung gibt es jedoch: Frankreich, die Grande Nation des Kinos, die ihren Einfluss weiter ausbaut und die Stellung des Cannes-Festivals verstärkt.

Ein Kommentar von Tobias Kniebe, Cannes

Das Azurblau des Meeres, das der Küste nicht umsonst ihren Namen gibt, die gleißenden Marmorstufen, der rote Teppich mit den Weltstars darauf - das ist der Mythos der Filmfestspiele von Cannes. Doch die Medienaufmerksamkeit würde bald zerplatzen wie eine Blase aus Champagner, Silikon und Sonnencreme, wenn hier nicht jedes Jahr auch ernsthaft der Zustand des Kinos verhandelt würde. Die Festivalmacher jedenfalls haben den Anspruch, die besten Filme der Welt aufzuspüren - ob diese nun aus Kalifornien kommen oder aus dem hintersten Winkel Tschads.

Dieses Geschäft ist schwieriger geworden. Hollywoodfilme wie "The Great Gatsby", der Cannes eröffnet hat, starten heute mit globalen Marketingkampagnen, da leidet die Exklusivität, da spielt der Terminplan eines Festivals keine große Rolle mehr. Zudem produzieren die Studios fast ein Drittel weniger Filme als noch vor zehn Jahren, doch diese mit immer größeren Budgets. Dank dieser Strategie beherrschen sie mit Blockbustern wie "Iron Man 3" in den USA nun 76 Prozent des Marktes - für unabhängige Filmemacher und Produzenten bleibt nicht mehr viel.

Die Voraussetzungen, dass überhaupt noch anspruchsvolles Kino entstehen kann, das auf Festivals gefeiert wird, seien deshalb so schlecht wie noch nie, klagt zum Beispiel der amerikanische Regisseur Steven Soderbergh. Er wird in Cannes sein letztes Werk zeigen - danach will er sich frustriert in den Ruhestand zurückziehen, mit 50 Jahren.

Der Einfluss der Grande Nation geht weiter

Muss man sich also damit abfinden, dass es auf den Leinwänden bald nur noch bonbonbunte Spektakel für Zehnjährige geben wird, aber nichts, das die Goldene Palme von Cannes verdienen würde? Nicht ganz. Denn Frankreich, das sich schon immer auch als Grande Nation des Kinos sah, stellt eigene Ambitionen dagegen. Gleich drei französische Regisseure im offiziellen Festivalprogramm zeigen diesmal Geschichten, die sie auf Englisch gedreht haben - mit angelsächsischen Stars wie Orlando Bloom, Forest Whitaker und Benicio del Toro.

Und der neue französische Einfluss geht noch weiter: Wenn der dänische Filmemacher Nicolas Winding Refn mit dem kanadischen Herzensbrecher Ryan Gosling in Thailand drehen will, ebenfalls auf Englisch, produzieren das die Dänen zusammen mit den Franzosen - die Amerikaner bleiben außen vor. Sogar der iranische Oscar-Gewinner Asghar Farhadi ist zuletzt nach Paris gezogen, um seinen Wettbewerbsfilm für Cannes auf Französisch zu drehen, mit einem französischen Produzenten - obwohl er die Sprache nicht spricht.

Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in der Treue des französischen Kinopublikums. Wie nirgendwo auf der Welt wird in Frankreich noch die Liebe zu einem erwachsenen Kino hochgehalten, das ohne Explosionen und 3D-Effekte auskommt. Das Beispiel des Iraners Farhadi ist dabei besonders erhellend. Sein vielfach ausgezeichneter Film "Nader und Simin" kam in Frankreich auf eine Million Besucher, ein nie da gewesener Erfolg für einen iranischen Film. In Deutschland konnte er nur 125.000 Kinotickets verkaufen.

Womit auch beantwortet wäre, warum Cannes auch jenseits seiner Yachten, seiner Soiréen und seiner 4000 angereisten Journalisten das wichtigste Filmfestival ist - und diese Stellung weiter ausbaut. Asghar Farhadi zum Beispiel war in den vergangenen Jahren Stammgast der Berlinale. Dort bekam er schon den Silbernen und den Goldenen Bären, feierte seinen weltweiten Durchbruch. Es ist bitter für die Berliner Festivalmacher, dass er jetzt nach Cannes abgewandert ist - aber letztlich folgt er damit nur dem Ruf des Publikums, das sich am meisten für ihn interessiert.

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