Süddeutsche Zeitung

Filmfestpiele Venedig:Der Glanz der Vergangenheit

Robert Redford und Jane Fonda führen vor, was an den USA einmal großartig war. George Clooney zeigt die Kehrseite.

Von Susan Vahabzadeh

Darüber, ob früher alles besser war, kann man geteilter Meinung sein. Vieles war jedenfalls anders. Auf dem Lido waren während des Festivals mehr Menschen unterwegs, was einerseits ganz schön und lebhaft war, andererseits heute zu sehr langen Schlangen bei den Handtaschenkontrollen führen würde, die hinter den funkelnagelneuen Befestigungsanlagen in allen Zufahrtsstraßen zum Festivalgelände stattfinden. Die Zahl großer Meisterwerke des Kinos, die derweil drinnen in den Sälen erstmals einem Publikum präsentiert wurden, war früher eindeutig höher. Dafür riecht es in diesen Kinos, weil alles frisch renoviert ist, nicht mehr nach Moder. Man muss schon sehr viel Sinn fürs Morbide haben, um den siechen Charme der Mostra von gestern zu vermissen.

Um manche Dinge ist es natürlich trotzdem schade. Sydney Pollacks "Der elektrische Reiter" könnte man heute nicht noch mal drehen, schon weil die Geschichte vom abgehalfterten Rodeo-Star, der zusammen mit einer Journalistin ein geklautes Rennpferd in Utah in die Wildnis entlässt, auf dem heutigen Stand der Technik nach fünf Minuten zu Ende wäre - sie spürt ihn und das Pferd auf, ihr Handy wird per GPS geortet, das Rennpferd bei seinem Besitzer abgeliefert und der Rodeo-Star landet im Knast. "Der elektrische Reiter" gehört zu den vier Filmen, die Robert Redford und Jane Fonda zusammen gedreht haben, der vierte ist ganz neu - "Our Souls at Night" wurde zur Verleihung des Goldenen Ehrenlöwen an die beiden gezeigt.

Zwei Seelen in der Nacht... Sie ist 79 und er 81 Jahre alt, im Film spielen sie Nachbarn, die sich, beide lange verwitwet, aus Einsamkeit zusammentun, was dann gar nicht so einfach ist. Und wenn sie darin, wie einst im "Elektrischen Reiter", durch die Weite Amerikas fahren, kann man schon ein wenig wehmütig werden; es ist eben nicht mehr dasselbe. Es gibt ja tatsächlich keine Filmstars mehr, kollektiv angebetet, wie es Redford in den Siebzigern war. Das Publikum lärmte, klatschend, rufend, verzückt und begeistert, wie man es nicht oft erlebt, als Fonda und Redford auf der Bühne der Sala Grande standen wie Botschafter des Altwerdens - die Chemie stimmt noch, die beiden sahen da oben ganz glücklich aus, und kein bisschen gebrechlich. Genau genommen sieht der faltige, entspannte Redford dem elektrischen Reiter in natura sogar viel ähnlicher als der Mann, der im Film neben Jane Fonda einschlafen will, und das Lächeln strahlt immer noch wie in den besten Zeiten. Wenn Menschen sagen, dass früher alles besser war, meinen sie damit meistens: Ich war jünger, und alles fiel mir leichter.

Es gibt eine verräterische Rückblende in "La Villa" von Robert Guédiguian, dem Veteranen des linken französischen Autorenfilms: Da sieht man drei Geschwister, die in einen Küstenort zurückgekommen sind, weil ihr Vater im Sterben liegt. Der Film gibt vor, dass sich seine Melancholie aus der veränderten Welt speist - weil es keinen Zusammenhalt mehr gibt, die Gewerkschaftskämpfe verloren sind, der Kapitalismus alle besiegt hat. Das Dorf ist verlassen, fast alle Häuser, die die Felsen über dem Meer hochkriechen und die einst von Fischern bewohnt wurden, werden im Sommer an Feriengäste vermietet. Man kann nur nicht recht glauben, dass es den kommunalen Esprit, dessen Ableben Guédiguian da betrauert, jemals gegeben hat. Früher haben die Geschwister halt noch gehofft, sie könnten die Welt verändern.

Drei Wochen vor der Premiere trat mit Charlottesville der Rassismus wieder in den Vordergrund

"La Villa" ist im Wettbewerb das Gegengewicht zu George Clooneys "Suburbicon", der die Vergangenheit gründlich entzaubert. Er hat dafür zusammen mit seinem Co-Autor Grant Heslov ein Drehbuch der Coen-Brüder aus den Achtzigerjahren umgeschrieben, und das Ergebnis ist schon deswegen faszinierend, weil man die Coen-Brüder noch in sehr vielen Szenen durchschimmern sieht, Clooney das Material aber doch zu seinem eigenen gemacht hat. Suburbicon ist eine Kunststadt in den Fünfzigerjahren, voller adretter Häuschen, in denen adrette Gattinnen Gemüse putzen und auf die Heimkehr ihrer hornbebrillten Ehemänner warten. Vor dem Haus von Gardner Lodge sitzen gleich zwei, wie das doppelte Lottchen - Julianne Moore spielt die Gattin Nancy, im Rollstuhl, und ihre Schwester Margaret. Aber nicht sehr lange. In der Nacht holt Gardner (Matt Damon) seinen kleinen Sohn Nicky in die Küche, zwei bekloppt finstere Gestalten wie aus "Fargo" sind ins Haus eingedrungen und spielen mit der Familie nun perfide Fragespielchen: Gardner hat den Unfall verursacht, weswegen seine Frau nun im Rollstuhl sitzt? Herrje. Nancy ist dann die einzige, die den Überfall nicht überlebt. Nicky kommen Tante Margaret und sein Vater seltsam vor. Warum lässt sich Tante Margaret frisieren wie ihre Schwester? Als die Polizei dann die Verbrecher festnimmt, Gardner und Margaret bei der Gegenüberstellung aber behaupten, die beiden noch nie gesehen zu haben, ist Nicky sicher: Irgendwas ist faul mit den Erwachsenen.

"Make America Great Again" lautete Donald Trumps Wahlkampfslogan, und er war es, der Clooney dazu inspirierte, dieses Drehbuch, mit dem er schon mehr als zehn Jahre zuvor geliebäugelt hatte, tatsächlich zu verfilmen und auf den neuesten Stand zu bringen. "Suburbicon" ist eine Krimikomödie, aber eine grimmige. Die physische Brutalität fällt bei ihm viel harmloser aus, als man es bei den Coens erwarten würde, ansonsten hat er den Stoff noch viel härter gemacht. Unter anderem, indem im Nachbarhaus vor dem Überfall eine schwarze Familie einzieht - Clooney bezieht sich da auf einen realen Fall aus den Fünfzigern. Ganz Suburbicon findet, diese Familie muss an allem schuld sein, was neuerdings in Suburbicon schiefgeht. Clooney hat natürlich nicht ahnen können, dass drei Wochen vor der Premiere seines Films so etwas passieren würde wie Charlottesville, der Rassismus, der nie weg war, so in den Vordergrund treten würde. Andererseits muss man das ja alles immer mitdenken, wenn man sich die bonbonfarbenen Kitsch-Fünfziger vorstellt: Rassismus, Frauenfeindlichkeit und einen Verhaltenskodex, der eine ganze Vorstadt dazu verdammt, in Reih und Glied zu denken.

Die schwarze Familie wird in Suburbicon eingezäunt, ihr Haus mit Steinen beworfen, eine konföderierte Flagge in ihr Fenster gehängt, die ganze Nacht tobt der weiße Mob in ihrem Vorgarten. Währenddessen wahren Tante Margaret und Gardner den schönen Schein. Woher kommt all diese Wut in einer vermeintlich idyllischen Kleinstadt? Das ist die ganze Motivation für die Mordserie, die dann Suburbicon erschüttert: Manche Menschen würden alles tun, um diesem Kaff zu entrinnen. Zumindest im Kino ist es dann nicht so einfach, jemanden zu finden, dem man die Schuld in die Schuhe schieben kann. Es gibt in "Suburbicon" sowieso einen tröstlichen Gedanken: den, dass Kinder wissen, was falsch und was richtig ist. Selbst, wenn sie es bestimmt nicht von ihren Eltern gelernt haben.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2017
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