Filmfestival Venedig: Somewhere:Weltumspannender Irrsinnszirkus

Pünktlich zum ersten Wochenende des Festivals ist ein großer Dissens da: Mit ihrem neuen Film "Somewhere" über einen ausgebrannten Hollywoodstar spaltet Sofia Coppola Publikum und Kritiker.

Tobias Kniebe

Pünktlich zum ersten Wochenende des Festivals ist ein großer Dissens da. Der Film, an dem sich die Geister der Kritiker scheiden, heißt "Somewhere" von Sofia Coppola. Fast hätte man es erwarten können. Diese Spaltung klärt die Fronten, schärft den Blick und die Argumente, zwingt dazu, Worte zu finden für eine große, aber argumentativ nicht leicht zu untermauernde Sicherheit: Dieser Film ist, nach "Lost in Translation", Sofia Coppolas zweites großes Meisterwerk.

Filmfestival Venedig: Somewhere: Durchschnittlich initiativlos und schwach: Johnny Marco (Stephen Dorff) bemüht sich, mit seiner Tochter (Elle Fanning), wo sie schon mal da ist, etwas Spaß zu haben, und hängt ansonsten herum.

Durchschnittlich initiativlos und schwach: Johnny Marco (Stephen Dorff) bemüht sich, mit seiner Tochter (Elle Fanning), wo sie schon mal da ist, etwas Spaß zu haben, und hängt ansonsten herum.

(Foto: Tobis)

Um Gottes willen, hört man da das feindliche Lager stöhnen: ein Werk über einen ausgebrannten, mitteljungen, allenfalls mittelgewichtigen Hollywoodstar, der im traditionsreichen, aber trotzdem sehr hippen "Chateau Marmont"-Hotel wohnt? Nabelschau, Insidergetue, noch dazu langsam und prätentiös erzählt.

Unnachahmlich schön

Sofort will man schärfstmögliches Kontra geben. Was aber gar nicht so einfach ist. Man kann ja schlecht sagen, dass zwar jeder Regisseur mit seiner Kamera hinter einem Ferrari herfahren kann, wenn dieser durch die Straßen von Los Angeles kurvt, dass aber Sofia Coppola gerade dies auf absolut einzigartige, unnachahmlich schöne Weise tut - und man dabei stundenlang zusehen könnte. Selbst wenn sonst nicht viel passiert. Obwohl es die reine Wahrheit ist, rückt einen solch ein Bekenntnis natürlich in die Nähe esoterischen Spinnertums.

Also erzählt man lieber, dass Stephen Dorff, der einmal ein vielsprechender Jungstar war, von dem man aber ewig nichts mehr gehört hat, hier den Schauspieler Johnny Marco spielt, der auch im Film ziemlich genau dieser Beschreibung entspricht. Das Norma-Desmond-Syndrom - Billy Wilder lässt grüßen.

Johnny macht Promotion für sinnlose Filme, in denen er mitgewirkt hat, stellt sich sinnlosen Reporterfragen, hat sinnlose Affären und One-Night-Stands und verbringt ein paar Tage mit seiner elfjährigen, hübschen Tochter (Elle Fanning), die im Wesentlichen ohne ihn aufwachsen musste. Diese Tochter ist bereits zu schlau und zu erwachsen, um ihm Vorwürfe zu machen, aber vielleicht gerade deshalb hat Johnny irgendwann einen Zusammenbruch und überfällt ihre Mutter am Telefon mit dem Bekenntnis, dass er "nichts" sei.

Zugegeben: Auch das klingt noch nicht so, als ob hier Euphorie gerechtfertigt wäre. Es bleibt zu zeigen, dass "Somewhere" eine definitive, auf die Minute aktuelle Studie über jenen weltumspannenden Irrsinnszirkus ist, den wir um die Idee der Prominenz herum konstruiert haben. Dazu ein Film über eine Generation, der alles zu leicht gemacht wurde; und ein Film darüber, welch absolute, existentielle Müdigkeit sich hinter dem Gesicht verbergen kann, das wir alle der Welt jeden Tag zeigen. Selbst jene von uns, die - wie die Regisseurin und ihr Star - noch nicht einmal vierzig sind.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Probleme man als Promi hat.

Als Verehrung getarnte Verachtung

Bevor wir dazu einen neuen Anlauf nehmen, kurz zu zwei anderen Filmen des Wettbewerbs, bei denen mehr Konsens herrscht - nämlich dass sie die Erwartungen eher enttäuscht haben.

Der erste ist "Miral" von dem zum Filmemacher konvertierten Kunststar Julian Schnabel, der nach seinem Cannes-Regiepreis für "Schmetterling und Taucherglocke" eigentlich schon in die Riege der Meisterregisseure aufgenommen zu sein schien. In "Miral" setzt er seiner neuen, palästinensischen Lebensgefährtin Rula Jebreal ein Denkmal, die auch Drehbuch und Roman geschrieben hat, über ihre Kindheit in Ostjerusalem und Jugend in der Intifada. Diese Frau, man kann es nicht anders sagen, ist wunderschön. Ihre Rolle musste deshalb mit der indischen Superbeauty Freida Pinto besetzt werden - und das ist dann auch schon das Hauptproblem: Nur wer den Nahostkonflikt schon immer mal mit sehr gutaussehenden Menschen auf dem Reflektionsniveau eines Bollywood-Schmachtfetzens abgehandelt sehen wollte, liegt bei diesem Film genau richtig.

Sieht alles prima aus

Auch "Norwegian Wood" von Tran Anh Hung klingt vielversprechender als er letztlich dann ist - vor allem wegen des Rufs des japanischen Romanciers Haruki Murakami, der hier seine erste Verfilmung erlebt, die internationale Beachtung erfährt. Romantische junge Japaner - die Frauen auch hier wieder fast überirdisch schön - müssen sich Ende der sechziger Jahre den verborgenen Qualen der sexuellen Befreiung stellen. Das sieht alles prima aus und fasziniert auch eine Zeitlang wirklich - aber als dann irgendwann auch die dritte dieser suchenden Seelen Selbstmord begangen hat, stört dann doch die etwas monotone Gefühligkeitsformel, die dahintersteckt.

Warum hat Sofia Coppola im Vergleich dazu so viel mehr Wucht, obwohl sie eigentlich noch stiller, noch weniger spektakulär erzählt? Weil ihr Film zu Wahrheiten vorstößt, die jeder in sich selbst entdecken könnte. Ein Weg, das abzuwehren, ist natürlich, sich gleich wieder über das Gezeigte zu erheben, es in einen Quarantänekäfig zu stecken mit der Aufschrift "Hollywood".

Das Ding ist aber gerade: Sofia Coppola muss von Hollywoodmenschen erzählen, weil das die Welt ist, die sie nun einmal kennt und restlos versteht. Und zwar mit einer Klarsicht, die einem gerade wegen ihrer jungen Jahre langsam unheimlich werden, ja sogar Angst machen könnte. Wenn sie nicht so eine freundliche Seele wäre.

Das war schon in "Lost in Translation" so. In "Marie Antoinette", ihrem Historienausflug an den vorrevolutionären französischen Königshof, war es nicht ganz so. Da hat sie dann auch nur Hollywoodmenschen gesehen, was als Idee charmant, aber nicht ganz überzeugend war.

Der immer selbe Film

Der Vorwurf, dass sie also immer denselben Film dreht, ist nicht falsch, kann aber kaum gegen sie verwendet werden. Was ihren Johnny Marco so universal macht, ist seine Durchschnittlichkeit. Er ist nicht mal wirklich ein Promi-Arschloch, er hat nur eben den Menschen, die auf seine Prominenz fixiert sind und darin Antworten suchen, essentiell nichts zu sagen. Dabei will er niemandem etwas Böses. Er bemüht sich, mit seiner Tochter, wo sie schon mal da ist, etwas Spaß zu haben, und hängt mit seinen alten loyalen Freunden herum. Er ist nur eben auch durchschnittlich initiativlos und schwach.

Für ihn bedeutet das, dass er den Frauen und Kolleginnen, die sich ihm ständig anbieten, obwohl er keineswegs mehr der heiße Aufsteiger der Stunde ist, keinen eigenen Willen entgegenzusetzen hat. So weit man das erkennen kann, plagen ihn weder Minderwertigkeitskomplexe, Kindheitstraumata noch Seelenverletzungen, die er an ihnen abarbeiten müsste. Sein Blick fällt nur eben zufällig mehrmals am Tag auf irgendein weibliches Wesen, das einen gewissen Zauber ausstrahlt - und er überlegt sich für ein paar Sekunden, was wäre, wenn. Wie, nun ja, praktisch alle Männer.

Sein Problem ist, dass den Frauen diese Überlegung natürlich nicht entgeht. Was bedeutet, dass er sie haben kann. So oft hat sich diese Erfahrung für ihn bereits bewahrheitet, dass er da auch gar nicht mehr nachfragen muss. Es reicht, zu nicken und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Stimmt das denn? Als jemand, der diesem Zirkus zwar nicht wirklich nahe ist, dann aber eben doch näher als etwa 99 Prozent der restlichen Menschheit, kann dieser Filmreporter bezeugen: Alles, was wir da sehen, ist wahr.

Ansonsten ist Johnny ein Typ, der sich selbst nichts vormacht - kein einziger Satz über schauspielerische Herausfordungen, künstlerische Integrität, Leidenschaft für Regisseure, Stoffe oder Rollen, Psychotalk über Methoden und Motivationen. Will sagen über die Wichtigkeit, die er sich selbst als Künstler beimisst.

Die Strafe

Wenn man schon tagelang an der Seite eines Schauspielers in Los Angeles verbringen muss, dann ist Johnny Marco im Grunde die angenehmste Wahl, die man treffen kann. Andererseits ist diese Weigerung, sich selbst zu belügen, natürlich auch genau sein Problem. Er hat kein Sinngebäude, das ihn beherbergen könnte, nicht mal ein falsches. Womöglich bedeutet das alles ihm wirklich nicht viel. Und der Unterschied zwischen einem Meisterwerk und einer teuren, sinnlosen Drecksproduktion wäre ihm nur der, dass die Arbeit im ersteren Fall wesentlich anstrengender ist.

Bei aller Demenz, mit der sich die Welt auf prominente Gesichter wie seines stürzt, hält sie auch eine Strafe für solche Menschen bereit: Verachtung, Luxussuiten, Millionengagen, und allumfassende, wattierte Unterwürfigkeit sind nur der Firnis, durch den sich diese Verachtung ständig Bahn bricht.

Sie steckt in den dummen Journalistenfragen auf Johnnys Pressekonferenz; sie steckt in den teilnahmslosen Anweisungen der Special-Effects-Techniker; und als er den Fehler macht, das hochdotierte Angebot des italienischen Schmierenproduzenten Pupi für einen Auftritt bei einem bonbonbunten Berlusconi-Fernsehpreis anzunehmen, ist die Verachtung, die ihm aus dem gefälschten und gelifteten Lächeln dieser Show entgegenschlägt, schlimmer als jeder Schlag ins Gesicht.

Niemand kann solche Verachtung, die sich als Verehrung tarnt, auf Dauer ertragen, ohne verrückt zu werden. Sonst sieht man nur den wöchentlichen Prominenten-Zusammenbruch in den Abendnachrichten. In "Somewhere" sieht man auch einmal die existentielle Wahrheit, die dahintersteckt.

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