Filmfestival Venedig:Sehen lernen

Lesezeit: 4 min

Julian Schnabel fühlt sich wie Vincent van Gogh - und in "Werk ohne Autor" folgt Florian Henckel von Donnersmarck den Spuren eines Malers, der Gerhard Richter sein könnte. Ihre Filme haben sich einiges zu sagen.

Von Susan Vahabzadeh

Alle paar Jahre wird Julian Schnabel von der Muse geküsst, und dann macht er einen Film, der ganz besonders ist und eigentümlich und von dem man am Anfang noch denkt, er könne nicht funktionieren - auf magische Weise ist dann aber alles daran bewegend und wunderschön und rührt einen bis ins Mark. "At Eternity's Gate" heißt seine Geschichte über Vincent van Gogh, der von Willem Dafoe gespielt wird. Das ist eine so vollkommen stimmige Idee, dass man sich fragt, warum darauf nicht längst jemand gekommen ist; aber vielleicht kann Willem Dafoe einfach jede Figur zu einer neuen Fassung seiner selbst machen.

Willem Dafoe spielt also van Gogh, und Julian Schnabel nimmt ganz und gar dessen Perspektive ein - wenn das gleißende Sonnenlicht von Arles ihn blendet, wenn er über die Felder mit verblühten Sonnenblumen zieht, wenn er Aussetzer hat, weil er ausgerastet ist und erst in der Zwangsjacke einer Anstalt wieder zu sich kommt. Aber auch in klaren Momenten ist van Gogh ein Besessener - rasend schnell, irre, von der Vorstellung beseelt, dass er sich alles, was er mit einem durchgehenden Pinselstrich auf die Leinwand bringen kann, wirklich zu eigen gemacht hat.

Ist das nun Gerhard Richter in jungen Jahren? Ja und nein, lautet die Antwort in "Werk ohne Autor", dem deutschen Wettbewerbsbeitrag in Venedig. Im Bild sieht man jedenfalls Tom Schilling. (Foto: Festival Venedig)

Diese Figur, sollte man meinen, ist im Kino eigentlich auserzählt, immer wieder, von Vincente Minnelli bis Robert Altman, ist er porträtiert worden. Aber wohl noch nie so sehr als ein Kunststück über Kunst, als eine solche Aneinanderreihung von bewegenden Impressionen eines anderen Künstlers - seit "Schmetterling und Taucherglocke" hat Schnabel nicht mehr so perfekt Emotionen zu Bildern verarbeitet.

Zu den wenigen Tugenden von Festivals, die kein Streamingdienst der Welt ersetzen könnte, gehört es, dass die Filme im Programm sich plötzlich etwas zu erzählen haben - "At Eternity's Gate" und "Werk ohne Autor" raunen einander im Wettbewerb von Venedig zu, wie unterschiedlich ein Künstler an Dinge herangehen kann und dann doch von der Welt erzählt, in der er lebt. Van Gogh formt die Zeit; der Künstler in "Werk ohne Autor" wird von der Zeit geformt. Schnabel will sich in einem Werk ganz bewusst verlieren - Florian Henckel von Donnersmarck will eine klare Struktur schaffen.

"Werk ohne Autor" ist der einzige deutsche Film im Wettbewerb, und im Grunde porträtiert Donnersmarck hier mehr als einen Künstler - er porträtiert ein Land. Dabei blickt er aus einer ganz anderen Perspektive auf die Entstehung von Kunst als Schnabel, der seinen van Gogh die Einsamkeit suchen lässt, weil der mit den Menschen nicht klarkommt und ganz genau weiß, was er will. Donnersmarcks Hauptfigur Kurt Barnert, gespielt von Tom Schilling, ist ein Geschöpf der Gesellschaft, in der er lebt - er braucht die anderen, um herauszufinden, was er nicht will.

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Diese Figur ist an Gerhard Richter angelehnt. Barnert lernt als kleines Kind die Malerei lieben - in Ausstellungen für "entartete Kunst", die er gar nicht lieben soll. In der DDR schafft er es dann an die Kunstakademie und versucht sich am sozialistischen Realismus - aber erst, als er in den Westen geht und an der Düsseldorfer Akademie studiert, findet er seine wahre Stimme. Wie ein Schatten steht ihm eine zweite Figur gegenüber - ein Arzt (Sebastian Koch), der immer auf die Füße fällt, der an den Euthanasie-Morden im Dritten Reich beteiligt ist, in der DDR Professor wird und dann mühelos ins Bürgertum des Westens wechselt - während Barnert um alles kämpfen muss. Dieser Mann, der sein Schwiegervater wird, ist das Feindbild, das ihn inspiriert.

Diese Figuren sind nicht frei erfunden, aber sie gleichen ihren Vorbildern doch nicht bis aufs Haar. Donnersmarck schafft andere Fiktionen als Schnabel, der die Brüder van Gogh im Krankenhausbett kuscheln lässt; Donnersmarck verdichtet, und manchmal folgt er sicher auch Zwängen, die Schnabel nicht hat, weil er keine Lebenden porträtiert. Schon aus rechtlichen Erwägungen kann Donnersmarcks Düsseldorfer Professor mit Hut, der Fett in eine Ecke schmiert, nicht Beuys heißen. Künstlerisch ist das vertretbar, so nah an offensichtlichen Vorbildern haben auch andere schon entlangerzählt, etwa beim "Großen Diktator" oder bei "Citizen Kane". Es fühlt sich trotzdem ein bisschen merkwürdig an - so ein Fast-Beuys, und im Zentrum der Geschichte eben ein Fast-Richter.

(Foto: sz)

Der echte Gerhard Richter fühlt sich aber gar nicht geehrt, sondern eher etwas belästigt, obwohl es anfangs durchaus eine Zusammenarbeit mit Henckel von Donnersmarck gegeben hat. Der Düsseldorfer Professor erzählt also, wie er über der Krim abgeschossen wurde und so die Materialien Fett und Filz für sich entdeckte; Kurt Barnerts Tante ist von den Nazis ermordet worden wie die von Gerhard Richter, nur würde sich Gerhard Richter vielleicht eine Szene, wie es sie hier gibt, in der die Tante vor den Augen des schreienden Jungen weggebracht wird, verbitten.

"Werk ohne Autor" arbeitet viel mit Musik, und es gibt ein paar Szenen, in denen das herausragend, überwältigend funktioniert. Auch Caleb Deschanels Kameraarbeit ist makellos, er saust um die Protagonisten herum wie im Rausch. Und doch: Als Künstlerbiografie ist "Werk ohne Autor" lange nicht so eine selbstvergessene Hommage wie Schnabels Van-Gogh-Film. Auf einer ganz anderen Ebene ist es aber doch ein sehr schöner Film geworden, denn Kurt Barnert erlebt drei Versionen von Deutschland - den Nationalsozialismus, die DDR und die Bundesrepublik. Die Restriktionen, die ihn am Sehen hindern, sind immer die Restriktionen, die alle am Sehen hindern, nicht nur in der Kunst. So wird aus "Werk ohne Autor" ein deutsches Geschichtspanorama, gerade weil Donnersmarck Parallelitäten betont, die in der realen Biografie Gerhard Richters so klar nicht sind. In Barnerts Familiengeschichte finden alle politischen Umwälzungen ganz zusammen, die familiären Auseinandersetzungen sind im Kleinen dieselben, die im Großen die Gesellschaft durchmacht; aber genau davon handelt ja letztlich alle Kunst.

Die dritte Version Deutschlands ist für Barnert, den Künstler, die Erfüllung - schon wegen der unermesslichen, einschüchternden, rauschhaften, großartigen Freiheit, die er an der Düsseldorfer Kunstakademie erlebt. Das ist der Wermutstropfen in Barnerts Suche nach einer Welt, die ihn das sein lässt, was er sein will - auch sie ist schon Geschichte. Wir leben längst nicht mehr in dieser Republik, sie wurde abgelöst von einer vierten Version Deutschlands, die wir noch nicht begreifen können. Aber wenn Kurt Barnert durch die Akademie läuft, von Atelier zu Atelier, wo sich Erfahrung und Leidenschaft zu Kunst mischen, dann ist es schwer, sich von dieser alten Republik zu verabschieden. Ob Donnersmarck das erzählen wollte oder nicht, ist im Grunde egal - im Zweifelsfall weiß das Werk mehr als sein Autor.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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