Filmfestival Venedig: Potiche:Die männliche Gier nach dem letzten Wort

In der bitteren Komödie "Potiche" zeigen Catherine Deneuve und Gérard Depardieu, dass nach ihnen nichts Besseres kam.

Susan Vahabzadeh

Wenn jemand keine Rücksicht mehr nehmen muss, dann erwartet man alles mögliche - ein plötzlicher Ausbruch in Gelächter ist aber eigentlich nicht dabei. Marco Müller, der seinen Vertrag als Leiter der Filmfestspiele in Venedig nicht mehr verlängern will und 2011 aufhört, scheint aber wild entschlossen, Erwartungen nicht mehr zu bedienen, und hat in diesem Wettbewerb mehr Humor gepackt als in die letzten drei zusammen.

Catherine Deneuve in "Das Schmuckstück" ("Potiche") von François Ozon

Mein Freund, das Eichhörnchen: Catherine Deneuve als Unternehmergattin in "Potiche".

(Foto: Image.net/Festival)

Auf den düsteren "The American" und somit auch auf den alljährlichen, liebgewonnenen Besuch von George Clooney, hat er verzichtet - eine erstaunliche Entscheidung, zumal der Film in Italien gedreht wurde. Stattdessen gab es mit Catherine Deneuve und Gérard Depardieu zwei Megastars im Rentenalter.

Das liegt schon irgendwie im Trend - im amerikanischen Kino erweisen Sylvester Stallone mit den "Expendables" und Bruce Willis und Helen Mirren in "R.E.D." den demografischen Veränderungen Reverenz, zwei Filme, die im Blick haben, dass sich die Publikumsstruktur wandelt, und zudem nach Zeiten sich zurücksehnen, als Schauspieler tatsächlich noch für das berühmt waren, was sie können: They don't make them like that anymore. Auch das französische Kino hat Weltstars wie Deneuve und Depardieu in den nachfolgenden Generationen einfach nicht gefunden.

"Potiche" heißt der Film, den François Ozon mit ihnen drehte - so nennt man eine Porzellanvase, oder eine Ehefrau, die nur Dekorationsstück ist. Als solche geriert sich Catherine Deneuve, zumindest anfangs.

Wir schreiben das Jahr 1977, und Madame trainiert früh morgens im Wald nahe der Villa, die sie als Gattin Suzanne eines Regenschirmfabrikanten bewohnt. Ozon stellt sie uns vor in einer schreiend komischen, überdrehten Einstiegssequenz, in der sie ein paar Übungen macht und mit großem Oh und Ah die anwesende Fauna begrüßt. Mein Freund, das Eichhörnchen. Damit ist der Tonfall für den Film gesetzt.

Ausbeuter von Arbeitern und Geliebten

Der betrügerische Gatte, ein echter Ausbeuter von Arbeitern und Geliebten, erleidet einen Herzanfall, und Suzanne übernimmt die Leitung der Fabrik. Sie verordnet Wohlstand für alle und tut sich mit dem örtlichen Abgeordneten der Kommunisten zusammen - Depardieu als Monsieur Babin. Dabei stellt sich heraus - Ozons bürgerliche Fassaden sind immer prachtvoll anzusehen und fallen beim ersten Windhauch um -, dass die beiden sich schon länger kennen, und zwar so lang, dass Babin vermutlich der Vater des vermeintlichen Firmenkronprinzen ist.

Deneuve und Depardieu spielen mit soviel Selbstironie, dass ihr Besuch des Nachtclubs Badaboum, der in einer kleinen Disco-Einlage auf der Tanzfläche gipfelt, mit Szenenapplaus bedacht wurde, wahrlich selten in Venedig.

Ozon kehrt mit "Potiche" - nach einigen Ausflügen ins Melodram - zu Catherine Deneuve, den "8 Frauen" und seiner sehr eigenen Form des musikalischen farbenprächtigen Kostümfilms zurück. Ein junger Wilder zu sein ist Ozon aber nicht mehr genug - und so handelt "Potiche" dann nicht von gestern, sondern von der Gegenwart, ist nicht nur komisch, sondern vor allem bitter: Es geht darum, was in der wundersamen Wohlstandsgesellschaft der Siebziger wohl schiefgelaufen sein könnte und das kaltkapitalistische Europa daraus gemacht hat. Seine Antwort lautet: männliche Gier, nach Profit, nach Macht und vor allem nach dem letzten Wort.

Was Suzanne und ihr Sohn (der bald seine Vorliebe für Männer entdeckt) aus der Firma machen, darf nicht sein, Suzanne wird entmachtet und kalt gestellt, der Wohlstand für alle wird abgeschafft, um billig in Tunesien zu produzieren. Das Frauen-an-die-Macht-Credo ist typisch für Ozon, sein Glaube an weibliche Tugenden und die Hingabe, mit der er seine Protagonistinnen inszeniert.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über einen feministischen Western.

Das hier hat nicht funktioniert

Die amerikanische Filmemacherin Kelly Reichardt kommt in "Meek's Cutoff" auf einem völlig anderen Weg zu ähnlichen Schlüssen - faszinierend, wie die beiden Filme, die aussehen, als stammten sie nicht aus derselben Galaxie, zueinander finden. Reichardt, die vorher mit Michelle Williams " Wendy and Lucy" drehte, macht Williams nun zum Zentrum eines minimalistischen Westerns für acht Personen, acht Kostüme und drei Planwagen.

Es ist 1845, in Oregon, drei Ehepaare und ein Kind werden von Meek (Bruce Greenwood ) durch die Prärie geführt, der Treck sucht fruchtbares Farmland - nun sind die Lebensmittelvorräte und das Wasser fast aufgebraucht, einer der Männer kratzt das Wort "Lost" in ein vertrocknetes Stück Holz. Reichardts Bilder sind großartig - einmal, in einer langen Überblendung, zieht der Treck wie eine Geisterkarawane über den Horizont ... Emily (Michelle Williams) bemerkt als erste, dass ein Indianer ihnen folgt, Panik breitet sich aus, die Männer nehmen ihn gefangen.

Nun verändert sich nach und nach die Dynamik in der Gruppe: Meek will ihn erschießen, die Frauen wollen ihn integrieren, Emily, die eigentlich Angst hat, teilt ihr Essen mit ihm - nicht aus Zuneigung. Ich möchte, sagt sie, dass er mir was schuldet.

"Meek's Cutoff" ist ein feministischer Western - eigentlich erstaunlich, dass es nicht mehr davon gibt, denn der Wilde Westen, in dem es keine verkrusteten Strukturen gab und die Regeln des Zusammenlebens neu erfunden werden mussten, war ja tatsächlich die Wiege der Gleichberechtigung und des Frauenwahlrechts.

Nimmt man Julian Schnabels "Miral" über eine Palästinenserin, die aus der Intifada aussteigt, und den chilenischen Wettbewerbsbeitrag von Pablo Larrain, "Post Mortem" , in dem ein stiller, unauffälliger Beamter im Leichenschauhaus zum Komplizen der Ermordung Allendes wird und an der neuen Macht Gefallen findet, noch dazu, dann hat das Programm der ersten Wettbewerbstage einen klaren Schwerpunkt - eine von Männern gestaltete Ordnung und Frauen, die sich weigern, sich dieser Ordnung anzupassen. Wir müssen es anders versuchen, sagt Ozons Suzanne keck, als sie die Firma übernimmt, denn das hier hat nicht funktioniert.

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