Filmfestival Venedig:Verlorene Söhne

Tom Tykwers deutscher Festivalbeitrag erzählt von einem gestressten Berliner Paar, dem der Sex abhanden gekommen ist: Mit "Drei" findet Tykwer seinen Ton wieder.

Susan Vahabzadeh

Wenn man zwanzig Jahre lang fast unsichtbar gewesen ist im Filmgeschäft, dann ist der Wettbewerb in Venedig ein ziemlich furioser Wiedereinstieg. Monte Hellman hat keinen eigenen Film mehr gemacht seit "Iguana", das war 1988. In jenem Jahr war er auch zum letzten Mal auf dem Lido, und nun erkennt er alles kaum wieder. Beunruhigen dürfte ihn das aber kaum, denn auch die amerikanische Filmindustrie ist sich ja nicht treu geblieben, seit Hellman dort anfing und half, New Hollywood mitzubegründen. "The Shooting", 1966, mit Jack Nicholson, und "Two-Lane Blacktop", 1971, mit Warren Oates, sind seine bekanntesten Filme.

Filmfestival Venedig: Regisseur Tom Tykwer (zweiter von rechts) posiert in Venedig mit den Hauptdarstellern seines neuen Films "Drei", der positiv aufgenommen wird: (von links nach rechts) Devid Striesow, Sophie Rois und Sebastian Schipper.

Regisseur Tom Tykwer (zweiter von rechts) posiert in Venedig mit den Hauptdarstellern seines neuen Films "Drei", der positiv aufgenommen wird: (von links nach rechts) Devid Striesow, Sophie Rois und Sebastian Schipper.

(Foto: AFP)

Wie kam es zu der Regie-Abstinenz von mehr als zwei Jahrzehnten, die erst jetzt, durch die Weltpremiere seines neuen "Road to Nowhere", beendet wird? "Bei den meisten Filmemachern kommt eins von drei Projekten durch. Bei mir ist es ungefähr eins von zehn", sagt Hellman in der Bar des Hotel Excelsior, wo er einem mit ergrautem Wuschelkopf gegenübersitzt. "Ich habe zwei Jahre mit Coppola als Produzent gearbeitet - und der kann nicht loslassen: Er will einen Film nicht machen, er möchte gern daran arbeiten. Ich habe solche Regisseure als Cutter kennengelernt, die einfach nicht aufhören können zu schneiden.

Dann habe ich zusammen mit Tarantino ein Projekt bei den Weinsteins gehabt - da wurde das Drehbuch immer schlechter." Tarantino, dessen ersten Erfolg "Reservoir Dogs" Hellman produziert hat, ist seinem Mentor jedenfalls treu geblieben - man sah ihn schon bei der allerersten Vorführung, und als Jurypräsident muss er nun versuchen, "Road to Nowhere" so unvoreingenommen wie möglich zu beurteilen.

Es geht um den Dreh zu einer True-Crime-Story, mit einem Regisseur, halb so alt wie Hellman, namens Mitch Haven (man beachte die Initialen). Der verliebt sich in seine Hauptdarstellerin, die möglicherweise gar keine Schauspielerin ist, sondern die Frau, die sie im Film spielt, Mittäterin bei einem Millionenbetrug. Ein diffiziler Krimiplot, und wie Hellman mit den sich überlagernden Figuren herumspielt - die er alle mit seinem Autor Steven Gaydos den Schauspielern angepasst hat - das ist sehr schön anzusehen; aber Film im Film ist ein Minenfeld, schnell wirken die Geschichten eitel, all die Weisheiten übers Kino ("Drei Dinge sind wichtig für einen Regisseur: Casting, Casting und Casting") und das Namedropping ("Warren sagt immer: Schönheit ist Oberfläche, hässlich ist man bis auf die Knochen.").

Ein Dokumentarfilm über Schauspieler bei der Arbeit sollte das werden, erklärt Hellman, und das ist schon mal gelungen. Er habe ohnehin nie etwas anderes machen wollen, auch damals nicht, mit Jack Nicholson. "Alles, was er gespielt hat, ist irgendwie er selbst, ist zumindest ein Teil seiner realen Persönlichkeit - und heute spielt er doch überhaupt nur noch Jack Nicholson." So schickt Hellman in "Road to Nowhere" seinen Mitch letztlich, wie einst Nicholson, auf eine Jagd nach der Wahrheit - und alles, was er findet, ist die schrecklich ernüchternde Wahrheit über sich selbst.

Ein gelungenes Laborexperiment

Wenn Hellman dann vor einem sitzt, und die Augen leuchten vor Energie, und er erzählt, dass "Road to Nowhere" sich für ihn angefühlt hat wie der allererste Film - dann verliert sich in der Erinnerung doch viel von dem Beigeschmack der Eitelkeit: Sein Schöpfer hat nichts mit dem kleinen aufgeblasenen Kerl gemein, den er im Film inszeniert. Er würde den Ehrenplatz, der ihm gebührt, nie beanspruchen.

Zwischen Persönlichkeit und Performance

Auch Abdellatif Kechiche würde man mehr Ehrungen wünschen, als ihm bisher zuteil wurden. Vor drei Jahren ist sein Film "Couscous mit Fisch" wohl nur haarscharf am Goldenen Löwen vorbeigeschrammt, die Juryentscheidung für Ang Lee mit "Lust, Caution" war nicht einhellig, wie inzwischen durchgesickert ist. Nun hat Kechiche "Venus noire" vorgestellt - auch ein Film, der Fragen nach der Identität stellt, nach den Grenzen zwischen realer Persönlichkeit und Performance. Es geht um einen realen Fall, Saartjie Baartman, die im 19. Jahrhundert aus Südafrika nach Europa kam und als "Hottentoten-Venus" ausgestellt wurde. Kechiche, Spezialist für Szenen in Realzeit, lässt eine qualvoll lange, entsetzlich degradierende Jahrmarktsvorstellung ablaufen, Saartjie tritt mit einem Weißen auf, dessen Dienstmädchen sie einmal war, als grunzendes Etwas, dass faucht und Eingeborenentänze vorführt; hinter der Bühne ist sie eine traurige, einsame Frau, die mit der Entwürdigung nicht fertig wird.

Die Jahrmarktsauftritte sind auch erst der Anfang eines grauenerregenden Abstiegs, der in die Puffs von Paris, in Krankheit und Tod führt, bis ihre sterblichen Überreste ans Naturkundemuseum verschachert werden. Erst in den Siebzigern wurden der Gipsabdruck ihres Körpers und ihre konservierten Genitalien aus der Ausstellung entfernt, die man in der ersten Einstellung des Films gesehen hat. Ein arroganter Professor doziert dazu über die Unterlegenheit der schwarzen Rasse, von seiner logischen Beweisführung ist er mindestens so überzeugt wie Thilo Sarrazin.

Was dem Film nichts nützt: "Venus Noire" ist gut gemeint, Kechiche will der Frau ein Denkmal setzen - und merkt dabei nicht, dass er sie selbst vorführt. Das Mitleid mit Saartjie hat ihn wohl so übermannt, dass er darüber die Wärme vergaß, mit denen er seine Charaktere sonst betrachtet - er hat sein angestammtes Terrain verlassen und sich selbst dabei verloren.

Der Traum von Harmonie

Bei Tom Tykwer ist die Reise genau andersherum gegangen. Mit "Drei", der ebenfalls im Wettbewerb lief, hat er seinen ersten deutschen, seinen ersten kleinen Film seit einem Jahrzehnt gemacht und dabei seinen Tonfall und die Nähe zu den Figuren und dem, was er erzählt, wiedergefunden. "Drei" erklärt sich sozusagen selbst zum Laborexperiment, aber Tykwer schiebt seine drei wunderbaren Hauptdarsteller - Sebastian Schipper, Devid Striesow und vor allem Sophie Rois - nie als Schachfiguren hin und her; sie bleiben Menschen, selbst dann noch, wenn der Film in der zweiten Hälfte den Boden der Tatsachen verlässt.

Schipper und Rois spielen ein gestresstes Berliner Paar, einander seit zwanzig Jahren liebevoll verbunden, aber der Sex ist ihnen unterwegs abhandengekommen. Tykwer hat seine Figuren - anders als Hellman - mit sich älter werden lassen: "Drei" spielt unter Menschen Anfang vierzig, ein wenig gehetzt, aber keine Workaholics, liberal, nie dogmatisch, ganz normale deutsche Großstadtbewohner eben. Wie die reden und ticken, hat Tykwer sehr schön eingefangen, mit viel Humor.

Das Paar gerät auf sexuelle Abwege, erst sie, dann er - beide mit Devid Striesow, und man sieht ihnen gerne zu, wie sie umeinander werben und füreinander sorgen, während man auf den schmerzlich komischen Augenblick wartet, wenn der erste von den dreien dahinterkommt, dass sich hier ein Paar einen Liebhaber teilt. Wenn man Filme ansieht, sagt Mitch Haven, betrachtet man die Träume eines andern... Tom Tykwer träumt von völliger Harmonie, auch wenn er weiß, dass es die nur als Phantasie gibt.

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