Süddeutsche Zeitung

Filmfestival Venedig:Die Machos vom Lido

  • In Venedig startet das 75. Filmfest, das sich unter den großen Festivals in den letzten Jahren sehr erfolgreich in den Vordergrund gedrängelt hat.
  • Neben vielen Oscar-Anwärtern aus Hollywood hat dort auch "Werk ohne Autor", der neue Film des deutschen Oscar-Gewinners Florian Henckel von Donnersmarck Premiere.
  • Kritisiert wurde im Vorfeld die Auswahl der Filme: Nur einer von 21 Wettbewerbsfilmen wurde von einer Frau gedreht.

Von Susan Vahabzadeh

Es gab reichlich Vorschusslorbeeren für das Filmfestival in Venedig dieses Jahr, vor allem in der amerikanischen Presse. Venedig hat sich in den letzten Jahren unter den großen Festivals sehr erfolgreich in den Vordergrund gedrängelt. Eine ganze Reihe von Oscar-Gewinnern haben dort ihre Weltpremiere gefeiert, von "Spotlight" über "Birdman" bis "La La Land". Und Festivaldirektor Alberto Barbera hat, trotz Kritik von italienischen Kinobetreibern, keinerlei Berührungsängste mit Streaming-Diensten wie Netflix.

In Cannes wurde die Online-Videothek ausgesperrt, in Venedig gibt es gleich sechs Netflix-Filme, drei davon laufen im Wettbewerb. Und die Auswahl klingt verheißungsvoll. Da ist der neue Film der Coen-Brüder, "The Ballad of Buster Scruggs"; Paul Greengrass zeigt seinen Film über das Massaker auf der norwegischen Insel Utøya, "22 July"; und Alfonso Cuaron nimmt mit seinem neuen Film "Roma" am Wettbewerb teil.

Aber auch jenseits des Netflix-Trios hat Barbera allerhand große Namen an Land gezogen für den 75. Wettbewerb von Venedig, Olivier Assayas, Mike Leigh, Carlos Reygadas und Julian Schnabel zum Beispiel. Dazu, gleich zur Eröffnung am Mittwochabend, der neue Film von "La La Land"-Regisseur Damien Chazelle, der "First Man", ein Drama über Neil Armstrong, gedreht hat. Einen solchen Wettbewerb der Großmeister würde man eher in Cannes erwarten als am Lido, wo das Filmfestival mit einem viel kleineren Budget ausgerichtet wird. Es muss da eine Art Domino-Effekt im Spiel sein. Weil das Festival mit seinem Termin Ende August so praktisch vor der amerikanischen Filmpreissaison liegt, haben die großen Hollywood-Studios begonnnen, dort ihre Hoffnungsträger für die Oscars und andere Auszeichnungen zu präsentieren. Und weil Venedig dadurch plötzlich wieder viel mehr Aufmerksamkeit bekam, folgten eine ganze Reihe großer Filmemacher, die mit den Oscars gar nicht viel zu tun haben.

Aus Deutschland ist allerdings ein echter Oscarpreisträger dabei. Florian Henckel von Donnersmarck stellt seinen neuen Film "Werk ohne Autor" vor, über den Weg eines Malers (Tom Schilling) und eines Medizinprofessors (Sebastian Koch), vom Dritten Reich über die DDR bis in den Westen der Sechzigerjahre. Für diese Geschichte hat Donnersmarck sich lose von der Biografie des Künstlers Gerhard Richter inspirieren lassen, auch wenn sein Film explizit kein Biopic sein soll.

Wer weiterhin Stars auf dem Teppich haben will, muss nach Hollywood-Regeln spielen

Die neue Hochform, zu der Venedig gefunden hat, zeigt sich auch daran, dass in bestimmten organisatorischen Fragen Cannes nachgeahmt wird. Twitter-Embargos hat es in Venedig noch im vergangenen Jahr nicht gegeben. Jetzt wird aber von den Kritikern verlangt, dass sie alle Kommentare zurückhalten, bis die eigentlichen Galas für die Filme begonnen haben. Im vergangenen Jahr hatte Darren Aronofsky über seinen biblischen Horrorfilm "Mother!" schon vor der Gala so viele negative Tweets gelesen, dass er recht irritiert wirkte. Derartige Regeln werden nicht von europäischen Autorenfilmern verlangt. Das ist wohl eher eine Ansage aus Hollywood, wo die großen Studios seit Jahren zu steuern versuchen, wie man in den sozialen Medien auf ihre mit großen Marketing-Etats beworbenen Filme reagiert.

Die erste Vorabkritik kommt nun auch aus der amerikanischen Presse - am Lido herrsche der Machismo, stand im Hollywood Reporter, Frauen seien "quasi ausgeschlossen worden" in Variety. Weil nur ein einziger von den 21 Filmen, die um den Goldenen Löwen konkurrieren, von einer Frau inszeniert wurde, "The Nightingale" der Australierin Jennifer Kent.

Mehrere Verbände wandten sich mit einem offenen Brief an Barbera und fragten, ob das nicht vielleicht daran liege, dass man in der künstlerischen Direktion Venedigs einfach genau die Entscheidungen wiederhole, die man schon immer getroffen habe, inklusive gewisser Vorurteile. Der Biennale-Chef Paolo Barrata hat auch eingeräumt, dass 21 Prozent der Einreichungen von Regisseurinnen gewesen seien. In den Wettbewerb fand dann aber nur einer dieser Filme, das sind nicht einmal fünf Prozent. Die Festivalleitung gibt sich bei dem Thema trotzdem stur. Barbera sagte, wenn man ihn dazu brächte, einen Film in die Auswahl aufzunehmen, nur weil er von einer Frau gemacht wurde, werde er zurücktreten.

Es ist insgesamt bislang eher ein Aufschrei der Medien, der darauf folgte. Die Dänin Susanne Bier ist die einzige Filmemacherin, die sich zu dem Mangel an Regisseurinnen in Venedig geäußert hat. Das sei, sagte sie dem Hollywood Reporter, eine Folge der südeuropäischen Kultur, die das Festival beeinflusse. Das ist eine vage Andeutung. Wer gerne im nächsten Jahr dabei sein will, meckert halt ungern an der diesjährigen Auswahl herum.

Wie die Filme von Frauen, die abgelehnt wurden, nun tatsächlich waren, ist schwer zu sagen, weil sie ja bislang niemand gesehen hat. Es gibt aber leider nur wenige namhafte Regisseurinnen, und es ist klar, dass sich junge, unbekannte Regisseurinnen in einem Wettbewerb mit lauter Stars schwertun, einen Platz zu erobern. Ob nun die Auswahl in Venedig so großartig ist, wie sie klingt, ob am Ende "First Man" über die erste Mondmission oder Julian Schnabels Vincent-van-Gogh-Biopic "At Eternity's Gate" vielleicht so richtige Männerfilme sind - das wird man erst hinterher wissen. Das Thema ist dennoch nicht vom Tisch für Barbera. Hollywood gibt sich ja, seit der Bewegung "Time's Up", gern als Gleichstellungsbüro der Filmbranche. Es kann also sein, dass all die Hollywood-Stars, die in den nächsten zehn Tagen an den Lido kommen, Barbera zumindest vor Publikum das Leben schwer machen. Bradley Cooper, der in Venedig sein Regiedebüt "A Star is Born" vorstellt, hat sich vor drei Jahren medienwirksam für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen in Hollywood eingesetzt.

Was wird er sagen, wenn man ihn nach den Regisseurinnen im Wettbewerb fragt? Oder seine Hauptdarstellerin, Lady Gaga? Oder Emma Stone, Rachel Weisz und Natalie Portman, die ebenfalls mit neuen Filmen im Wettbewerb dabei sind? Barbera wird wahrscheinlich mindestens so tun müssen, als habe er das Problem erkannt. Imagepflege ist in Hollywood alles. Und wer diese Stars weiterhin auf dem roten Teppich haben will, der muss nach ihren Regeln spielen.

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SZ vom 29.08.2018/doer
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