Süddeutsche Zeitung

Filmfestival Venedig 2012:Was die Menschen zur Verzweiflung treibt

Gut, dass Robert Redford mit seinem Film "The Company You Keep" die Filmfestspiele Venedig am Ende doch noch aus der Melancholie aufweckt: Der politische Film im Kostüm eines Thrillers mit Susan Sarandon und Shia LaBeouf erinnert an den linken Terrorismus in den USA.

Susan Vahabzadeh

Ein wenig Trubel kann der Lido gut gebrauchen, es hat sich eine melancholische Nachsaison-Stimmung über die zweite Festivalwoche gelegt. Das geschlossene und entkernte Hotel des Bains wacht über den dunklen, menschenleeren Lungomare, und auch im Kino kommt es einem manchmal so vor, als sei die Gegenwart der Insel verwiesen worden. Da war es dann sehr umsichtig, sich für den Schluss noch "The Company You Keep" aufzuheben - denn der Film handelt zwar auch irgendwie von gestern, aber Regisseur und Hauptdarsteller Robert Redford hatte Shia LaBeouf im Schlepptau. Endlich mal eine teenietaugliche Veranstaltung auf dem roten Teppich, nachdem die Hoffnungen, Justin Bieber käme zur Premiere von "Spring Breakers", sich zerschlagen hatte.

Die Besetzung von "The Company You Keep" ist allerdings im Durchschnitt dann doch recht betagt. Redford gibt sich wieder politisch, er selbst spielt einen Anwalt, der aus seinem aktuellen Leben in sein altes zurück flüchten muss - in das von Nick Sloan. Sloan war Mitglied der "Weathermen", jener amerikanischen Terrortruppe, die dem Staat während des Vietnamkriegs den Kampf ansagte.

Eine Mitstreiterin (Susan Sarandon) ist nach dreißig Jahren im Untergrund festgenommen worden, der ehrgeizige Journalist Ben (LaBeouf) kommt so auch Sloan auf die Spur. Sloan soll bei einem Bankraub, bei dem er gar nicht dabeigewesen ist, einen Wachmann erschossen haben, nun sucht er seine Exfreundin Mimi (Julie Christie), die als einzige beweisen kann, dass er unschuldig ist. Das wird ein schöner Showdown: Wie die beiden aufeinandertreffen, der Zauderer Sloan, der ausstieg, als es die ersten Verletzten gab, und Mimi, die alles mit Leidenschaft tun wollte und sich dann in einen Lebensentwurf hineinmanövriert hat, der sie kalt und hartherzig werden ließ.

"The Company You Keep" ist das Hollywood-Gegenstück zu Olivier Assayas' Post-68er Drama "Après mai", ein politischer Film im Kostüm eines Thrillers. In Nebenrollen tauchen auch noch Nick Nolte, Chris Cooper, Stanley Tucci und Sam Elliott auf, und dieses Superaufgebot, wie Butch Cassidy es genannt hätte, hat zwei sehr schöne Effekte: Erstens macht es eine Story mit sehr vielen Charakteren übersichtlicher, weil jeder von ihnen schon etwas in seine Rolle mitbringt; und zweitens bekommt der Film so eine ganz eigene Note der Nostalgie, weil man das Gefühl hat, all diese Leute ein Leben lang gekannt zu haben.

Das sehr kluge Drehbuch stammt von Lem Dobbs, der für Steven Soderbergh "The Limey" geschrieben hat; die Vergangenheit romantisiert dieser Film nie, er beschönigt keine radikalen Fehlentscheidungen, und er bemüht sich trotzdem, immer im Blick zu halten, was diese Menschen damals zur Verzweiflung trieb. Es war nicht groovy, sagt Susan Sarandon einmal, wir sahen die Bilder sterbender Menschen im Fernsehen.

Brian De Palma gehört eigentlich der selben Generation an, aber rückwärtsgewandt sind seine Filme eigentlich nie. "Passion" ist ein Remake von Alain Corneaus letztem Film von 2010, und eine so schnell entstandene Neuauflage ist in einem großen Wettbewerb eigentlich selten. Es geht um einen Machtkampf unter Frauen aus der Werbebranche, mit Noomi Rapace und Rachel McAdams und Karoline Herfurth - sozusagen der deutsche Film im Wettbewerb, denn De Palma hat in Berlin gedreht, rund um den Potsdamer Platz.

De Palma hat immer noch einen ungeheuren Spieltrieb, in seinem Irakkriegsfilm "Redacted" hat er mit Webcam-Aufnahmen experimentiert, "Passion" ist ein Smartphone-Movie. Die Kampagne für ein Superhandy steht im Mittelpunkt, und Rachel McAdams flirtet mit Noomi Rapace und lehrt sie dann, dass man als großer Player im Big Business vor keiner Intrige zurückschrecken sollte. Ein Thriller, wie so oft bei De Palma, bewusst artifiziell; es macht Spaß, wenn er die neue Mitte wie ein gläsernes Raumschiff filmt - zwingend für einen Wettbewerb ist das nicht unbedingt.

Eigentlich ist es schade, dass "The Company You Keep" außer Konkurrenz gezeigt wurde - es gab dann aber mit Brillante Mendozas "Thy Womb" noch einmal einen würdigen Anwärter auf den Goldenen Löwen. Der philippinische Regisseur, dessen Filme bisher eher laut und gewalttätig waren, erzählt hier ganz leise und konzentriert die Geschichte eines Ehepaares - die beiden sind in die Jahre gekommen, kinderlos, sie leben in einer ärmlichen muslimischen Gegend, weben aus Bast gemeinsam Teppiche und fischen, um ein wenig Geld zu verdienen.

Die beiden sind ein wunderbares Team, aber sie hätten gern Kinder, und man versteht schon, warum das so wichtig ist: Es gibt da draußen am Rand der Welt sonst nichts, wofür es sich lohnt, zu kämpfen. Also macht sie sich auf die Suche nach einer zweiten Ehefrau und besiegelt damit ihr eigenes Schicksal: Sie wird sich dem fügen, was die Religion vorschreibt, obwohl sie damit ihr eigenes Leben zerstört.

Der Wettbewerb ist also mit dem Thema Religion immer noch nicht durch. Auch im belgischen Film "La cinquième saison" von Jessica Woodworth und Peter Brosens formiert sich eine Art Glaubensgemeinschaft. Die beiden Regisseure haben eine bizarre Apokalypse auf dem Land inszeniert, es gibt keine Bienen mehr, alles stirbt, und die Menschen werden immer bösartiger - bis alles in einem grausamen Karneval gipfelt, bei dem sie den vermeintlichen Schuldigen verbrennen. Ein Film voller gruselig schöner Bilder der vergehenden Natur, in dem, wenn auch sehr abstrakt, die Angst vor einer Welt nach dem Zusammenbruch Europas durchschimmert.

Ob es Zukunftsangst ist, die hinter dieser Flut von Selbstbespiegelungen und metaphysischen Gedankenspielen steckt, die in diesem Wettbewerb zu sehen waren? Zumindest in Italien scheinen aber die religiösen Auseinandersetzungen außerhalb des Festivals am meisten zu interessieren. Nach der Vorstellung von Marco Bellocchios "Bella addormentata" über den Fall der Komapatientin Eluana Englaro, deren Eltern die lebenserhaltenden Maßnahmen abgestellt hatten, kursierten auf dem Lido prompt anonyme Flugblätter, auf denen zu lesen war, Bellocchio habe die Frau ein zweites Mal umgebracht.

Die katholische Organisation "No 194" hat ihren Unwillen hingegen ganz offiziell zur Kenntnis gebracht - deren Leiter, der Rechtsanwalt Pietro Guerini, hat nach der Vorführung von "Paradies: Glaube" des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidl am vergangenen Wochenende Seidl und die Festival-Direktion wegen Blasphemie angezeigt. Guerini wird inzwischen dazu mit dem schönen Satz zitiert: "Im Gegensatz zu den Moslems reagieren wir Katholiken nie, wenn unsere Religion beleidigt wird" - die Freiheit der Kunst ist, so scheint's, eine zivilisatorische Errungenschaft, auf die Guerini kein bisschen stolz ist.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2012/feko/rus
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