Süddeutsche Zeitung

Filmfestival Toronto wird Oscar-Barometer:Clooney-Festspiele

Cannes hat mehr Glamour, Venedig mehr Gefühl: Doch das Filmfestival in Toronto zieht die Stars in Massen an. Warum das so ist? Im Zentrum steht das Publikum.

Manuela Imre

Da ist er wieder, oder war er gar nicht weg? Als George Clooney am dritten Tag des 36. Toronto International Film Festival (TIFF) die Weltpremiere von "The Descendants" vorstellt, ist er fast schon ein alter Bekannter in der kanadischen Metropole: Am Vortag verteilte er sein schelmisches Lächeln bei der Vorstellung von "The Ides of March", mit dem er bereits Venedig eröffnet hatte. Brad Pitt war zur Weltpremiere von "Moneyball" ebenfalls bester Laune, Bono rockte und Ryan Gosling scherzte - die Charmeattacke der Herrenriege schlug auf dem elftägigen Filmfest (noch bis 18. September) gnadenlos zu.

Toronto mag Glanz und Glamour der europäischen Filmfestvorreiter fehlen: Dafür besticht das TIFF mit gekonnter Lässigkeit. "Das hier ist ein Fest für die Filmemacher. Es ist herrlich persönlich, man kommt leicht mit den Kollegen und dem Publikum ins Gespräch. Alle sind entspannt. Ich vergleiche es mit Yoga, alles fließt ganz natürlich", erklärt die deutsche Regisseurin Maggie Peren ("Stellungswechsel") nach der Weltpremiere von "Die Farbe des Ozeans". Ihr sensibles Flüchtlingsdrama erntete begeisterten Beifall aus dem Publikum.

Beim TIFF ist der Applaus des Publikums wichtiger als bei anderen Festivals, denn die Zuschauer haben hier die Fäden in der Hand: Anstelle einer Jury wählen sie den besten Film. Und sie bewiesen in den vergangenen Jahren ein sicheres Gespür für Qualität. Das TIFF gilt als Wegweiser für den Oscar.

Im Vorjahr erhielt "The King's Speech" in Toronto den Publikumspreis und später den Oscar. Ähnlich lief es mit "Slumdog Millionär" und "Precious - Das Leben ist kostbar". "Das Buhlen um die Jury fällt hier weg", sagt Peren. Das Flirten mit den Zuschauern ist wichtiger. Die haben ihre Favoriten: Werner Herzog bekam bereits Ovationen, als er bei der Vorführung von "Into The Abyss" in den Kinosaal trat. Zur Erleichterung des deutschen Regisseurs folgte das gleiche Spektakel auch nach der Dokumentation über einen Dreifachmord in Texas.

Und: Das Festival in Toronto ist mittlerweile gewaltig gewachsen. Gezeigt werden heuer mehr als 330 Filme - darunter sind 123 Premieren. Das ist eine erstaunlich hohe Zahl, die selbst die wichtigen europäischen Festivals übertrifft.

Einig sind sich die Zuschauer trotzdem nicht immer: Roland Emmerichs Weltpremiere von "Anonymous" wurde bei der Gala-Veranstaltung am Sonntagabend mit Publikumslob überschüttet, die Kritiker hielten sich bei dem Shakespeare-Film, der in Potsdam gedreht wurde, hingegen eher zurück.

Das führende US-Filmmagazin "Variety" bezeichnete ihn als "ansehnlich aufgeführtes" Kostümdrama, das "als Ganzes nicht sonderlich interessant ist, sondern eher, weil Actionspezialist Emmerich komplett den Kurs geändert hat."

Allgemeine Begeisterung herrscht in der ersten Hälfte des Festivals allerdings bei Filmen wie "Take This Waltz" von Sarah Polley, der Komödie "Friends with Kids" von Jennifer Westfeldt, "Killer Elite" mit Clive Owen und Robert De Niro sowie dem Schwarz-weiß-Stummfilm "The Artist", der schon in Cannes für Aufsehen sorgte.

Oscar-Gerüchte gibt es über Michelle Yeoh für ihre Darstellung der Burmesin Aung San Suu Kyi in "The Lady" unter der Regie von Luc Besson. Auch Woody Harrelson, der in Oren Movermans Drama "Rampart" einen bestechlichen Polizisten in Los Angeles spielt, erhielt Oscar-Vorschusslorbeeren. Ryan Gosling hat doppelte Chancen, Publikums-Liebling in Toronto zu werden: Neben seiner Rolle in "The Ides of March" überzeugte er auch in Nicolas Winding Refns "Drive".

Und dann war da eben noch George Clooney. Seine "The Descendants"-Darstellung eines hilflosen Familienvaters, dessen Frau im Koma liegt, hat Kritiker wie Zuschauer überzeugt.

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