Filmfestival:Küsschen aus Cannes

Neben all den schwergewichtigen Trauerklößen gibt es in Cannes auch heitere Filme - zum Beispiel vergnügt sich Juliette Binoche in der Toskana.

Susan Vahabzadeh

Manchmal haben die Geschichten auf den Leinwänden genau das zu bieten, was die Welt um das Kino herum vermissen lässt. Tamara Drewe, der neue Film von Stephen Frears, in Cannes außer Konkurrenz gezeigt, spielt in einem Kaff in Dorset, ein Krimiautor und seine Frau haben dort ein Refugium für ruhebedürftige Schriftsteller eingerichtet - man sieht sie in den ersten Szenen, wie sie vereinzelt in dieser gottverlassenen Gegend in ihre Laptops hacken.

Copie Conforme

Ob sie ein Ehepaar sind oder nicht, spielt am Ende kaum mehr eine Rolle: Juliette Binoche und William Shimell in

Copie conforme

.

(Foto: Foto: Verleih)

Eine schöne Landschaft - aber so schön, wie einem unverbaute Hügel und verlassene Gassen während des Festivals in Cannes vorkommen, sind sie wahrscheinlich auch wieder nicht. Mit der himmlischen Ruhe ist es dann bald vorbei, als im Nachbaranwesen, dessen Eigentümerin unlängst verstorben ist, deren Tochter Tamara Drewe (Gemma Arterton) auftaucht - sie war einst das hässliche Dorfentlein und kehrt nun zurück, mit neuer Nase, spärlich bekleidet und wild entschlossen, allen Männern, die sie einst verschmäht haben, gehörig den Kopf zu verdrehen.

Situationskomik aus dem leichten Fach

Thomas Hardys Roman Far from the Madding Crowd/Am grünen Rand der Welt ist die Vorlage gewesen für Tamara Drewe, die Graphic Novel von Posy Simmonds - eine sehr lose Bearbeitung, aber sehr humorvoll. Aus dem Sergeant im Buch ist beispielsweise der wildgeschminkte Drummer einer Pop-Band geworden, der sich nur Sergeant nennt, die unglückselige Valentinstagsbotschaft wird per E-Mail verschickt, und was aus der Geschichte mit dem Schäferhund, der seine Herde hetzt, wurde, soll hier nicht verraten werden.

Tamara Drewe lebt von diesem literarischen Spieltrieb, der sehr diskreten Umsetzung des Nebeneinanders der Bilder im Comic und von einiger Situationskomik, die meist wenig Wert auf Etikette legt - wenn beispielsweise einer der Schriftsteller-Gäste, der ausgerechnet an einem Buch über Hardy arbeitet, vom Klo aus unfreiwillig Zeuge einer ehelichen Versöhnung seiner Gastgeber wird. Tamara Drewe ist also eher dem leichten Fach zuzuordnen, was freilich durchaus erholsam ist, so sehr kann der Wettbewerb einem langsam aufs Gemüt schlagen mit der Weltuntergangsstimmung, die er verbreitet.

Traurig, aber schön

Auch wenn eine geballte Ladung Frust anstrengend ist, so ist Düstersein ja keine Schande; Des hommes et des dieux des französischen Regisseurs Xavier Beauvois, ist auch ein Trauerkloß unter den Filmen, schön ist er trotzdem. Es geht um ein Zisterzienser-Kloster in Algerien, das es tatsächlich gegeben hat - neun französische Mönche, die in einer muslimischen Gemeinde im Atlasgebirge lebten und sich dort unersetzlich machten.

Ganz warm beginnt diese Geschichte, die später in Eiseskälte endet: Man sieht die Mönche - das gewählte Oberhaupt, Christian, verkörpert von Lambert Wilson, der schon als alternder Edelmann in Bertrand Taverniers Wettbewerbsfilm Princesse de Montpensier zu sehen war, ist da der jüngste im Kloster -, wie sie sich in die Gemeinschaft einfügen. Der älteste ist Luc (Michael Lonsdale), über achtzig, ein Arzt, der seine Patienten nebenher noch mit Schuhen, Ratschlägen und Küsschen versorgt.

Die Islamisten - in den Neunzigern in Algerien auf dem Vormarsch - beginnen die Gegend zu terrorisieren, die Mönche weigern sich, ihre muslimische Gemeinde zurückzulassen. Sieben von ihnen wurden 1996 entführt und ermordet, die Umstände dieses Falls beschäftigen die französische Justiz bis heute.

Beauvois bleibt sehr nah dran an seinen Hauptfiguren, forscht in Nahaufnahmen in ihren Gesichtern, während sie sich entscheiden, zu bleiben - und irgendwie schafft er es, ganz nebenbei noch davon zu erzählen, wie auch die Menschen im Dorf unter der sich zuspitzenden Situation leiden, wie die Mörderbande jeden aus dem Weg räumt, der nicht nach ihrer Pfeife tanzt.

Des hommes et des dieux verlässt sich auf eine religiöse Binnenlogik - die bleibt aber nachvollziehbar: Die Flucht nach Frankreich, das wäre eine Kapitulation gegenüber allem, wofür diese Männer jemals gelebt haben.

Überschätzt

Über Copie conforme, den neuen, in Italien gedrehten Film des iranischen Filmemachers Abbas Kiarostami, der auch im Wettbewerb zu sehen war, kann man auf alle Fälle schon mal eines sagen: Religiös ist er nicht. Eine Frau - Juliette Binoche - lädt einen englischen Kunsthistoriker zu sich ein, der gerade sein neues Buch in der Toskana vorstellt, über die Bedeutung von Kopien und Originalen in der Kunst. Sie fährt mit ihm in ein Dorf in den Hügeln, um ihm ein Bild zu zeigen, und als die beiden dort in einem Café sitzen, hält die Kellnerin sie für ein Ehepaar - sie nimmt das auf, und schon nach ein paar Momenten stecken die beiden mittendrin im schönsten Beziehungskrach.

Es bleibt aber im Grunde offen, welcher Teil das Spiel ist, ob die beiden tatsächlich seit fünfzehn Jahren verheiratet sind und nur so tun, als würden sie einander gerade begegnen, oder ob sie zwei Fremde sind, die Gefallen daran finden, einen Nachmittag lang auf Ehepaar zu machen - ob sie ein echtes Paar sind oder eine Nachahmung, ist irgendwann auch völlig egal.

Das ist ein schöner Ausgangspunkt für eine Geschichte, und in Copie conforme gibt das ein paar schöne Szenen her, aber die meiste Zeit über funktioniert die Konstellation nicht so recht. Der Film hat aber noch eine andere Ebene - er ist nun einmal der erste, den Kiarostami nicht mehr in Iran gedreht hat, und es ist deutlich zu sehen, dass er nun ein paar Bilder loswerden musste, die er schon lange mit sich trug.

Er filmt seinen Actricen sehr lustvoll in den Ausschnitt, aus dem im Fall von Binoche über weite Strecken des Films ein nicht mal besonders ansehnlicher Büstenhalter hervorschaut. Sie wird dann kurz verschwinden, um ihn auszuziehen - ausgerechnet in einer Kirche. Es mag wohl sein, dass Kiarostami die christliche Freizügigkeit zur Zeit noch ein wenig überschätzt. Aber wenn das Weltkino gerade von der Apokalypse träumt - dann muss man jedes Quäntchen Optimismus genießen.

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