Rumänien als Vorbild - in Ungarn wirkt diese Haltung noch eigenartiger als anderswo. Die Beziehungen zwischen Rumänien und Ungarn, die beide zu Sorgenkindern der Europäischen Union heruntergekommen sind, gelten wegen den umstrittenen Rechten der ungarischen Minderheit in Rumänien als belastet.
Die ungarischen Filmemacher erwecken inzwischen allerdings den Eindruck, als wollten sie sich am liebsten ihren Landsleuten jenseits der Grenze anschließen, so sehr loben sie das rumänische Kino.
István Szabó etwa, der Doyen des ungarischen Kinos in den 1970er und 1980er Jahren wollte beim CineFest in Ungarns viertgrößter Stadt Miskolc am Rande des Bükk-Gebirges wenig Gutes über das heimische Kino sagen, während er den aktuellen rumänischen Film umso überschwänglicher lobte: "Dort entstehen Filme, die relevante gesellschaftliche Probleme aufgreifen, während unser Kino vor allem den Moden auf den großen Festivals hinterherläuft."
Das liegt zunächst einmal einfach daran, dass die ungarische Filmproduktion nach der Zerschlagung der herkömmlichen staatlichen Filmförderung durch die rechtskonservative Regierung unter Viktor Orban vollständig zum Erliegen kam.
Der Mitte 2011 neu eingerichtete Hungarian National Film Fund (HNFF) lief anschließend nur unter Schwierigkeiten an, auch weil er den Argwohn vieler ungarischer Filmemacher auf sich zog. Sie fürchteten, dass der neue Regierungsbeauftragte für den ungarischen Film, der ungarische Hollywood-Produzent Andrew Vajna ("Rambo", "Stirb langsam", "Total recall") vor allem das Mainstream-Kino fördern würde.
Einstige Vielfalt
Außerdem hatte sich Vajna darauf eingelassen, dass ein regierungsnahes Gremium die geförderten Filme abnehmen muss. Der Vorwurf der Zensur steht seither im Raum. Vajna sei gekommen, im Auftrag der Regierung nationale Themen in politisch konservativen historischen Großprojekten sowie banale Lustspiele zu fördern. Die Vielfalt des ungarischen Kinos sei gefährdet, warnte Márta Mészáros, die große alte Dame des ungarischen Autorenkinos.
Die Ebbe bei ungarischen Filmproduktionen hatte allerdings nicht nur zur Folge, dass das Land mit seinen Filmen international von Ausnahmen abgesehen wenig in Erscheinung tritt, sie erwies sich auch für die ungarische Festival-Szene als fatal. Die "Ungarische Filmwoche", die den Filmemachern des Landes zwischen 1965 und 2012 in Budapest eine Plattform geboten hatte, ist inzwischen mangels Masse tot: Als die Regierung im vergangenen Jahr keinerlei Signal aussandte, das traditionsreiche Festival erneut zu unterstützen, erhielt es Ungarns Regie-Großmeister Béla Tarr ohne Geld und mit hohem persönlichen Einsatz für ein Jahr am Leben.
In diesem Jahr brachte er das Kunststück nicht noch einmal fertig - die Filmwoche ging endgültig über den Jordan. Ob sie jemals wiederbelebt wird, steht in den Sternen.
Doch die Freiheit des Denkens kann im "Gulasch-Orbanismus" (so der Publizist Paul Lendvai) nicht so leicht ausgeschaltet werden: Durch das Aus der Filmwoche wurde das noch junge CineFest in Miskolc seit 2004 zu Ungarns wichtigstem Filmfestival aufgewertet.
Inzwischen ist es das einzige Filmfestival Ungarns, bei der die internationale Vereinigung von Filmkritikern Fipresci mit einer Jury vertreten ist und das regelmäßig von Filmemachern aus aller Welt beehrt wird.
Neben István Szabó, der in Miskolc für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, fand in diesem Jahr beispielsweise der Serbe Srdan Golubovic den Weg in die frühere Stahlschmiede Ungarns. Mit seinem neuen Film "Kreise" fiel er nicht nur bei der diesjährigen Berlinale und beim goEast-Festival in Wiesbaden auf, sondern gewann auch den Spezialpreis der Jury des Sundance-Festivals.
Die mangelnde Präsenz aktueller ungarischer Filme glich das CineFest bei seiner zehnten Austragung mit mit einer respektablen Auswahl neuer internationaler Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme aus, wobei die Vorführung des diesjährigen Cannes-Gewinnerfilms "Blau ist eine warme Farbe" (La vie d'Adèle) von Abdellatif Kechiche zu den Highlights des Festivals gehörte. Die Filme des Tunesiers habe er sehr gerne, sagte Peter Muszatics aus der Festivalleitung, was unschwer daran zu erkennen war, dass sich im Programm eine ganze Kechiche-Retrospektive fand: "Ich mag einfach, wie er mit Vorlagen aus der europäischen Literatur spielt, das geht inzwischen oft verloren."
Konflikte in autoritären Systemen
Das CineFest fühlt sich besonders jungen Filmemachern verpflichtet, was in diesem Jahr dazu führte, dass im Festivalzentrum "Haus der Künste" Katrin Gebbes Cannes-Beitrag "Tore tanzt" zu sehen war, bevor er in Deutschland irgendwo gezeigt wurde.
Repräsentiert wurde der Film in Miskolc durch Kostümbildnerin Anna Wübber, für die sich der Ausflug nach Ungarn lohnte: "Tore tanzt" erhielt den "Großen Preis" des Festivals sowie den Preis der Internationalen Vereinigung der Filmklubs, FICC.
Zweiter großer Gewinner des CineFests war in diesem Jahr Anthony Chen aus Singapur, der für sein Eifersuchtsdrama "Ilo Ilo" gleich drei Mal ausgezeichnet wurde - von der Großen Festivaljury, von der Fipresci-Jury und von der Internationalen Ökumenischen Jury. Chen wurde in Cannes in diesem Jahr bereits mit der Goldenen Kamera für "Ilo Ilo" prämiert.
István Szabó war in Miskolc mit "Mephisto", "Oberst Redl" und "Hanussen" vertreten, seinen drei legendären Filmen aus den Achtzigerjahren. In der Trilogie befasst sich der Oscar-Preisträger mit dem besonderen Konflikt, in den Ausnahme-Talente, seien sie Künstler, Soldat oder Psychologe, in autoritären Systemen geraten. Für Ungarns Film- und Festivalmacher ist das im Augenblick ein besonders aktuelles Thema.