Filmfestival Hof:Monster im Kopf

Filmfestival Hof: Monsterstimme: Tobias Moretti in „Baumbacher Syndrome“.

Monsterstimme: Tobias Moretti in „Baumbacher Syndrome“.

(Foto: Hofer Filmtage)

Was spricht denn da? Innenschauen und psychologische Studien prägen die deutschen Beiträge bei den 53. Hofer Filmtagen.

Von Bernhard Blöchl

Hof ist, wenn Bügelbierflaschen im Kanon ploppen, sobald im Kinosaal das Licht erlischt. Hof ist, wenn der Festivalleiter im Snoopy-Pullover eine Diskussion moderiert und die Premierengesellschaft am Bratwurstwagen feiert. Hof ist, wenn vor jedem Lang- ein Kurzfilm läuft und die Regisseure beim Fußballspiel im Park eine Viererkette inszenieren. Vor allem aber sind die Hofer Filmtage dafür bekannt, dass sie seit mehr als 50 Jahren dem deutschen Kino jenseits des Mainstreams eine Bühne bieten, konsequent im Hauptprogramm und nicht in separaten Reihen wie beim Filmfest München und bei der Berlinale. Zwar sind bei dieser Herbstschau des deutschen Kinos auch Filme aus aller Welt zu sehen, aber die schönste Herausforderung ist immer noch die: aufregende Erzählstimmen unter den jungen deutschen Autoren und Regisseuren entdecken. Den Underground in Oberfranken.

Sehr seltsam: Tobias Moretti spricht plötzlich mit der Stimme einer Trickfilm-Figur

Die eindringlichste Stimme der am Sonntag zu Ende gegangenen 53. Ausgabe dröhnt gleich zur Eröffnung durch das Scala-Kino. Sie gehört Tobias Moretti, und irgendwie auch nicht. Der österreichische Charakterdarsteller wird in der Rolle als Fernsehmoderator Max Baumbacher mit einer Metamorphose konfrontiert, die so surreal ist wie faszinierend: Der 52 Jahre alte Egoshooter wacht eines Morgens mit der Stimme eines dieser Monster auf, wie man sie von Disney kennt. Dafür gibt es im Film keine Erklärung, auch die Ärzte haben keine. Der Zuschauer hört das erschütternde Timbre zum ersten Mal in einem TV-Interview, das Baumbacher einer Journalistin gibt. Wenn er ihr seine knappen, oft ausweichenden Antworten entgegenmonstert, dann fühlt man sich an das Remake von "Die Schöne und das Biest" erinnert, und eben dieser Film aus dem Jahr 2017 hatte den Regisseur Gregory Kirchhoff zu "Baumbacher Syndrome" inspiriert. Der polyglotte Hamburger, Jahrgang 1992, ruht sich auf der effektvollen Grundidee nicht aus. Drumherum entwickelt er das solide Psychogramm eines Mannes, der durch seine kafkaeske Verwandlung sein Leben reflektiert. Als modernes Märchen darf es stellenweise pathetisch werden. Vor allem die Begegnung mit einer unerschrockenen jungen Fremden (Elit İşcan aus "Mustang") in der Natur Mallorcas bringt Baumbacher ins Grübeln darüber, wie er zum arroganten Unsympath werden konnte. Einen vielversprechenden Auftritt hat Tobias Morettis Sohn Lenz als Baumbachers depressiver Sohn.

Eine gute Autorenstimme zeigt sich meist auch im Formalen. Überraschendes hat da der Genre-Bastard "Coup" von Sven O. Hill zu bieten. Das Langfilmdebüt des Düsseldorfers gibt vor, Dokumentar- und Spielfilm zu sein, angereichert mit Animationssequenzen und Fotos. Erzählt wird die angeblich wahre Geschichte aus den Achtzigern, wie ein Bankangestellter mit Wertpapiertricks und den Freunden seiner Rockergang 2,5 Millionen D-Mark zur Seite schafft und sich nach Australien absetzt - der Haken: Seine Familie will nicht folgen. Basierend auf "Original-Interviews", wie es heißt, ist die sympathische Gaunerkomödie ein wildes Stück Kino, das das Spiel mit der Wahrheit lässig weitertreibt. Die kleine Hamburger Produktion wird in Hof mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet.

Reales und Fiktion vermischt auch die Grimme-Preisträgerin Connie Walther in ihrem nahezu plotfreien Konzeptfilm "Die Rüden". Sie lässt darin eine echte Hundetrainerin, echte junge Gewaltverbrecher und echte unvermittelbare Hunde eine kühle, artifizielle Therapiewoche über Aggressionen bei verhaltensauffälligen Menschen und Tieren durchleben - als Spielfilm. Nadin Matthews in der Hauptrolle ist eine Entdeckung, die Dystopie geht unter die Haut wie ein Pitbull-Biss.

Heitere Stoffe sind in Hof ohnehin selten, forderndes Kino gibt es zuhauf. Das zeigt sich schon in den Themen. Da geht es um Krebs im Endstadium (zum Heulen ergreifend: "Lebendig" von Michael Siebert), Männlichkeitsrituale und historische Konflikte, Leistungsdruck und Versagensangst, Sterbehilfe und immer wieder Depression. Einer der meistdiskutierten Filme ist Savaş Ceviz' Drama "Kopfplatzen" über einen Mann mit pädophilen Neigungen. Ein solches Sujet ist so verstörend wie künstlerisch anspruchsvoll. Savaş Ceviz sucht die Innenschau, er wertet nicht, er will verstehen. Er ist nah an seinem Protagonisten, dem jungen Architekten Markus, der Geld hat und gut aussieht. Und der Kinder erregend findet. Der sie fotografiert, dazu masturbiert, immer wieder, ein täglicher Zwang. Er hasst sich dafür, er will das nicht. Aber er beobachtet sie, verfolgt sie, seine Gedanken kreisen, sein Kopf droht zu platzen. Und zu sehen, wie dieser Mann bei einem Arzt abblitzt, den er um Hilfe bittet, bevor er sich von einem Therapeuten sagen lassen muss, dass es keine Heilung für ihn gebe, erzeugt Ambivalenz und Mitgefühl. Das subtile Spiel von Max Riemelt in der Hauptrolle bringt dem 35-Jährigen ("Die Welle") den Filmpreis der Stadt Hof ein.

Eisi Gulp ätzt ein bisschen gegen das deutsche Fördersystem und gegen Fernsehredakteure. Auch das ist Hof

In Hof treffen immer auch Newcomer auf alte Meister. Im Dokumentarfilm "800 Mal einsam" passiert genau das: Die Filmemacherin und Fotografin Anna Hepp begegnet darin Edgar Reitz und unterhält sich mit ihm über Kino, Kunst und sein Leben mit Krisen und Erfolgen. Ein philosophisch-unterhaltsames, kluges wie ästhetisches Essay, mit herrlichen Sätzen wie diesem: "Es gibt einen Trost: Wir Filmemacher können die Zeit aufbewahren." Neues gibt es auch von Werner Herzog, der in "Familiy Romance, LLC." unaufgeregt und staunend von einem Unternehmen in Japan erzählt, das Familienmitglieder vermietet. Und von Roland Rebers, der nach der Premiere seiner irren "Todesrevue" von Gaststar Eisi Gulp für seine Leidenschaft gelobt wird. Gulp, der dem unbeugsamen Regie-Guru im Rollstuhl eine helfende Hand gibt, ätzt dann noch ein bisschen gegen das deutsche Fördersystem und gegen Fernsehredakteure. Auch das ist Hof.

Hof ist schließlich auch, wenn es Veränderungen gibt. Thorsten Schaumann, der gleich bei der Eröffnung an Heinz Badewitz erinnert, seinen Vorgänger und 2016 verstorbenen Leiter, bringt seit drei Jahren frischen Wind in das alte Festival. Als Neuerung gibt es etwa den "Speed Pitch", bei dem Nachwuchsfilmer ihre Projekte den Profis in sieben Minuten persönlich vorstellen. Oder den 2018 eingeführten Hofer Goldpreis für die beste Regie bei einem ersten Langfilm aus Deutschland. Der Goldbarren, verknüpft mit der künstlerischen Betreuung durch einen Mentor, diesmal Bernhard Sinkel, geht an den Freiburger Lothar Herzog und sein russischsprachiges Tschernobyl-Drama "1986". Mit dem Dokumentarfilmpreis "Granit" wird Marc Pierschel für "Butenland" ausgezeichnet, ein Porträt über das erste Kuhaltersheim Deutschlands. Darauf eine vegane Bowl. Auch die gibt's in Hof, im Lokal neben dem Bratwurstwagen.

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