12. Filmfestival goEast:Vom Wert des Lebens

Das diesjährige goEast-Festival in Wiesbaden bot ein hochwertiges Programm mit Filmen aus Mittel- und Osteuropa. Leider beugte sich die Wettbewerbs-Jury der Dominanz schwermütiger Beiträge. Dabei wäre auch Humorvolles auszuzeichnen gewesen.

Von Paul Katzenberger

Nicht jeder kann von sich behaupten, dass er Geschichten auf Lager hat, "die andernorts blinde Flecken bleiben". Das goEast-Festival in Wiesbaden werde diesen Anspruch einlösen, versprach Gaby Babic gleich zu Beginn der diesjährigen Festivals für den mittel- und osteuropäischen Film, und das wirkte keineswegs wie die Schaumschlägerei einer Festivalleiterin, sondern angesichts des üppigen Programms von 141 Filmen aus 26 Ländern wie gesundes Selbstbewusstsein.

goEast Filmfestival Wiesbaden

Der Ernst des Lebens und die vermeintliche Leichtigkeit der Jugend. Szene aus "Ctyri Slunce" (Vier Sonnen) von Bohdan Sláma.

(Foto: Negativ)

Die Wiesbadener Festivalmacher können durchaus stolz sein, denn bei der 12. Auflage war das goEast-Programm größer als je zuvor. Und auch die Besucherzahl wächst: Kamen beim Start des Festivals im Jahr 2001 noch circa 3000 zahlende Zuschauer, um wenig bekannte Filme aus den östlichen Nachbarländern zu sehen, so hat sich diese Zahl inzwischen verdreifacht.

Das ist ein schöner Erfolg, doch im Vergleich zu größeren Festivals wie der Berlinale oder auch dem Filmfest München ist die Zuschauerzahl bei goEast, das am Dienstag Abend zu Ende ging, noch immer überschaubar. Für Kinofans, die den Weg nach Wiesbaden finden, ist diese Beschaulichkeit aber durchaus von Vorteil. Denn sie haben in der Kurstadt regelmäßig die Chance, osteuropäische Autorenfilmer von Weltformat einmal aus der Nähe kennenzulernen.

Cristi Puius "Aurora" löäuft auch in den deutschen Kinos

Unter den 220 Gästen dieses goEast-Jahrganges verlieh beispielsweise Cristi Puiu dem Festival Glanz. Der Rumäne, der als Vorsitzender der Jury gewonnen werden konnte, gilt als Begründer des gefeierten "rumänischen New Wave" und wurde in Cannes bereits mehrfach ausgezeichnet. Sein aktueller Film "Aurora" läuft derzeit in den deutschen Kinos.

Ein aktueller Bezug ließ sich auch zu Sergej Loznitsa herstellen - die Festivalmacher klopften sich für ihre Entscheidung, den gebürtigen Weißrussen in diesem Jahr eine komplette Werkschau gewidmet zu haben, ihm Nachhinein noch selbst auf die Schultern. Denn just zu Beginn des Festivals war bekannt geworden, dass der Regisseur mit seinem neuen Film "V tumane" ("Im Nebel") in diesem Jahr in Cannes um die Goldene Palme konkurrieren wird - deutsche Wettbewerber wird er dabei wohlgemerkt nicht haben.

"Das war eine wunderbare Bestätigung für unsere Entscheidung, freute sich Babic. Loznitsa hatte bereits 2010 mit "Mein Glück" für Wirbel und Begeisterungsstürme in Cannes gesorgt - der Hinterland-Schocker war folgerichtig der Höhepunkt des goEast-Porträts des 47-jährigen Regisseurs, das eindrucksvoll die künstlerische Entwicklung des feinfühligen Ästheten und kompromisslosen Beobachters des russischen Alltags belegte.

Auch im Wettbewerb waren in diesem Jahr mit dem Tschechen Bohdan Sláma und den Polen Wojciech Smarzowski renommierte Regisseure des europäischen Autorenkinos vertreten. Sláma, der sich von vielen tschechischen Filmemachern dadurch unterscheidet, dass seine Filme ("Wilde Bienen", "Jahreszeiten des Glücks", "Der Dorflehrer") regelmäßig in die deutschen Kinos kommen, bestätigte in Wiesbaden mit der Tragikomödie "Ctyri Slunce" ("Vier Sonnen") seine gewachsene Reife, die er bereits bei "Der Dorflehrer" (2008) angedeutet hatte.

In "Vier Sonnen" bleibt der Regisseur seinem Lieblingsthema treu und verarbeitet die Probleme, die zwischen den Generationen in der modernen Welt zwischen Anpassung und Auflehnung auftreten, doch Sláma ist dabei ernster und nachhaltiger geworden, ohne die für ihn typische Situationskomik aufzugeben.

Beeindruckt von großer Verzweiflung

Von der Leichtigkeit, die bei Sláma immer durchscheint, war bei dem polnischen Wettbewerbsbeitrag "Róza" von Wojciech Smarzowski hingegen wenig zu spüren. Nachdem er in seiner vielfach ausgezeichneten Tragikomödie "Eine Hochzeit und andere Kuriositäten" (2004) noch den Schwarzen Humor zelebrierte, ging von seinem Wiesbadener Wettbewerbsbeitrag "Róza" nun vor allem Hoffnungslosigkeit aus.

12. Filmfestival goEast: Der eine holt Holz, die andere bittet um das eigene Begräbnis. Szene aus "Zhit" (Leben) von Vasilij Sigarev.

Der eine holt Holz, die andere bittet um das eigene Begräbnis. Szene aus "Zhit" (Leben) von Vasilij Sigarev.

(Foto: Kinopoisk.ru)

Der Film erzählt die Leidensgeschichte der Bäuerin Róza, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Masuren zum Opfer von Vergewaltigung und Misshandlung durch die neuen kommunistischen Machthaber und deren Marodeure wird. Immerhin ergänzte Drehbuch-Autor Michal Szczerbic diese Rahmenhandlung um eine Liebesgeschichte zwischen der Geschundenen und ihrem Beschützer Tadeusz, die vor dem Hintergrund der omnipräsenten Brutalität umso mehr anrührt.

Smarzowskis Drama evozierte also doch ein paar positive Emotionen, die in auffallend vielen Wettbewerbsfilmen aus Russland und anderen Ex-Sowjetrepubliken nicht einmal im Ansatz aufkamen. Die Beiträge "Beduine", "Leben" und "Für Mutter der Himmel" vermochten kaum mehr zu vermitteln als grenzenlose Hoffnungslosigkeit. In ihrem Nihilismus präsentierten sich diese Beiträge sogar so konform, dass sie nahelegten, es bestehe ein Trend zur absoluten Schwermut im russischen Kino.

Depremierender Film mit Preisen überhäuft

Dass dies eine Reaktion auf die tatsächlichen Realitäten in den post-sowjetischen Gesellschaften darstellt, darf allerdings bezweifelt werden. Denn das Leben in Russland mag schwerer sein als anderswo, doch auch dort hält das menschliche Dasein Freude, Humor und Hoffnungen bereit, die nicht immer nur enttäuscht werden. So drängte sich der Verdacht auf, dass mit dieser unendlichen Schwere bewusst Gewichtigkeit erzeugt werden soll. Zu gerne lassen sich offenbar Festivaljurys immer wieder von großer Verzweiflung beeindrucken.

Auch in Wiesbaden schien das in diesem Jahr der Fall zu sein, denn der besonders deprimierende Wettbewerbsfilm "Zhit" ("Leben") wurde mit Preisen nur so überhäuft. Neben der Zusage, von 3Sat im deutschen Fernsehen ausgestrahlt zu werden, erhielt der Episoden-Film den Preis der internationalen Filmkritiker (Fipresci) sowie den Hauptpreis des Festivals, die mit 10.000 Euro dotierte "Goldende Lilie". Der Film sei ein großer Wurf, spreche vom Unsprechbaren und sei von großer Ernsthaftigkeit, hieß in den gravitätischen Begründungen der zwei preisgebenden Jurys.

In dem Drama verwebt Regisseur Vasilij Sigarev drei Geschichten miteinander, die alle von existenziellem Verlust und Trauer handeln. Er habe dem oberflächlichen Umgang mit dem Thema Tod, der in vielen Filmen zu beobachten sei, etwas entgegensetzen wollen, sagte Sigarev in Wiesbaden zu seinen Motiven für "Zhit".

Diesem ehrenwertes Anliegen, das zuletzt auch den deutschen Regisseur Andreas Dresen zu seinem gelungenen Krebs-Drama "Halt auf freier Strecke" animierte, ist kaum etwas entgegen zu halten. Sigarevs Film hätte allerdings an Gewicht gewonnen, wenn er der dem Wert des Lebens nicht nur im Titel sondern auch im Film klarer Ausdruck verliehen hätte.

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