Filmfestival Cottbus:Tragische Vergangenheit - frohe Zukunft

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Beim "Festival des osteuropäischen Films" in Cottbus geht es viel um die schwierige Vergangenheit der einst sozialistischen Welt, aber es darf auch gehofft werden.

Von Paul Katzenberger

Filme schauen macht hungrig. Nach einem vollen Tag in Cottbusser Kinos muss der Geist das fehlende Tageslicht erst einmal kompensieren, und wie ginge das besser als beim Lausitzer Spezialitätengericht "Quark mit Leinöl und Pellkartoffeln".

Anderssein kann sehr schwierig sein: Pavel Liska (rechts) als homosexueller Dorflehrer mit seinem Nachhilfeschüler (Ladislav Sedivý) in "Venkovský Ucitel". (Foto: Foto: Bontonfilm)

Allerdings muss der Besucher in Cottbus auch zur besten Essenszeit - abends um halb neun - wissen, wo er hingeht. In der Speise- und Biergaststätte "Zur Molle" gleich gegenüber vom Festivalzentrum in der Cottbusser Stadthalle wird die Speisekarte gar nicht mehr an den Tisch gebracht: "Wir kochen nur, wenn was los ist", sagt die Bedienung zu den versprengten Hungrigen, die es in die "Molle" verschlagen hat.

Im November ist der Alltag im einstigen Energiezentrum der DDR aber immer etwas weniger trist, denn da lockt nun schon seit 17 Jahren das "Filmfestival des osteuropäischen Films" regelmäßig einige Tausend Besucher in die alternde und schrumpfende Stadt.

Wer dann auch nach dem fünften Film gegen Mitternacht noch genug persönliche Energie mitbringt, stößt in sehr angenehmen Festivalclubs auf Filmemacher aus Kroatien oder Russland, die häufig deutlich unprätentiöser als ihre westlichen Kollegen daherkommen. Am Tresen des "Cafe Zelig" oder des "Lehnertz" wirkt das ungastliche Cottbus dann plötzlich sehr gemütlich.

Persönlichkeit zählt nicht

Der geringe Glamourfaktor passt zum Sujet des Festivals - zumindest oberflächlich gesehen: Wenn in Deutschland überhaupt von osteuropäischen Filmen die Rede ist, dann dominieren vor allem die schweren Themen: Die Rezeption von Filmen in deutschen Feuilletons wie Andrzej Wajdas "Katyn" über das sowjetische Massaker an Offizieren der polnischen Armee oder Wladimir Chotinenkos "1612" über die heldenhafte Verteidigung "Mütterchen Russlands" gegen eine polnische Invasionsarmee gibt eher der Schwermut als dem Glamour Raum.

In Cottbus bestätigte sich diese Sichtweise aber nur zum Teil. Ähnlich wie das deutsche Kino arbeitet der Filmbetrieb Osteuropas die faschistischen und kommunistischen Gewaltherrschaften des vergangenen Jahrhunderts einerseits erst gerade auf, andererseits wird der rapide Wandel Osteuropas zu einer Region mit modernen und pluralistischen Gesellschaften in seinen Filmen inzwischen deutlich erkennbar.

Für die schwere Seite des osteuropäischen Kinos standen in Cottbus etwa die Wettbewerbsbeiträge "Rysa" (Der Riss) von Michal Rosa aus Polen oder "Niciji Sin" (Niemandssohn) des kroatischen Regisseurs Arsen Ostojic.

Die Biologiedozentin Joanna in "Rysa" und der Rocksänger Ivan in "Niciji Sin" könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein: Hier die etablierte Bürgerliche mit dem liebendem Ehemann Jan an der Seite und einem intakten Freundeskreis, da der aufsässige Krüppel in gänzlich zerrütteten Familienverhältnissen, ohne wirkliche Freunde.

Dennoch ähnelt sich das Schicksal Joannas und Ivans auf frappierende Weise. Denn was zählt schon individuelle Persönlichkeit, wenn die Menschen perversen Gesellschaftssystemen ausgeliefert sind? So verfällt Joanna in eine schwere Depression, weil sie mit dem Wissen nicht fertig wird, dass Jan sie vor Jahrzehnten für den kommunistischen Inlandsgeheimdienst SB (das polnische Pendant der Stasi) ausspioniert hat. Ivan flieht schließlich sogar in den Tod, weil ihm der Krieg auf dem Balkan und die durch und durch korrupte Gesellschaft Kroatiens am Ende alles nimmt: physisch seine Beine, psychisch seine Identität.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie der tschechische Erfolgsregisseur Bohdan Sláma an Reife gewinnt.

Weitaus mehr Hoffnung verbreitete in Cottbus da Bohdan Slámas tschechischer Wettbewerbsbeitrag "Venkovský Ucitel" (Der Dorflehrer), in dem es nur vordergründig um den gesellschaftlichen Umgang mit der Homosexualität, in der Essenz aber um das Anderssein geht.

"Vielfalt kann ein Geschenk, aber auch eine Falle sein", heißt es an einer Stelle des Filmes, die seine Kernbotschaft auf einen Nenner bringt. Am Ende zeigt sich, dass die Menschen dieses Naturgesetz durchaus im positiven Sinne interpretieren können - sie müssen es nur wollen.

"Venkovský Ucitel", der in Cottbus seine deutsche Erstaufführung feierte, wird auch in die deutschen Kinos kommen, wie Produzent Pavel Strnad in Cottbus ankündigte. Die Selbstsicherheit dieser Ansage verdeutlichte, wie sehr sich Regisseur Sláma inzwischen auf der Erfolgsspur befindet. Denn einen deutschen Verleiher hat "Venkovský Ucitel" noch gar nicht gefunden, dafür ist der Film aber schon in 23 Länder, darunter die USA, verkauft. Deutschland wird mit großer Sicherheit also folgen.

Für osteuropäische Filme ist das keine Selbstverständlichkeit, selbst nationale Blockbuster, wie etwa "Rigas Sargi" (Die Verteidiger von Riga), der in Lettland mehr Besucher in die Kinos lockte als die "Titanic", sind in Deutschland in der Regel nicht zu sehen. Bohdan Sláma hat hingegen inzwischen fast schon eine Garantie für den internationalen Auftritt.

Mit "Divoké vcely" (Wilde Bienen) machte er vor sechs Jahren erstmals auch außerhalb Tschechiens auf sich aufmerksam, als er in Cottbus den Hauptpreis gewann. 2006 gelang ihm schließlich mit "Stestí" (Die Jahreszeit des Glücks) der internationale Durchbruch - die Tragikomödie über das komplizierte Leben junger Menschen in der nordböhmischen Industriestadt Most kam in Deutschland, Frankreich und den USA in die Kinos.

Reifer und ernster

An "Venkovský Ucitel" zeigte sich nun, wie sehr sich diese früheren Erfolge in noch größere Qualität ummünzen lassen, schließlich findet Sláma inzwischen deutlich leichter internationale Koproduzenten. In dem auf 2,2 Millionen Euro geschraubten Budget des "Dorflehrers" steckte am Ende auch deutsches und französisches Geld, dessen Einsatz sich für die Produzenten Karl Baumgartner und ZDF-Arte wohl lohnen dürfte. Denn der für Slámas Verhältnisse aufwändig produzierte Film wirkt reifer und ernster als seine Vorgänger, ohne die für Sláma so typische Situationskomik aufzugeben.

In Tschechien, wo "Venkovský Ucitel" bereits seit März in den Kinos ist, kam er bisher auf 200.000 Zuschauer, was in dem kleinen Land als Erfolg gilt. Auch den deutschen Geschmack könnte Sláma einmal mehr treffen, denn aus Cottbus verabschiedete er sich in diesem Jahr mit dem Zuschauerpreis.

Möglicherweise hatte sich Sláma noch mehr ausgerechnet, doch auch Alexej Utschitels russisch-bulgarischer Siegerfilm "Plenni" (Gefangen) gehörte schon vor Beginn des Festivals zum engeren Favoritenkreis des Wettbewerbs.

Utschitel, der für "Plenni" in diesem Jahr beim A-Festival in Karlsbad bereits für die beste Regieleistung gewürdigt worden war, erzählt in seinem Kriegsfilm die Geschichte des Soldaten Rubachin (Wjatscheslaw Grekunow), der inmitten des von Russland und den tschetschenischen Aufständischen grausam geführten Krieges an einer Rest-Menschlichkeit fest hält. Doch wie auch in Ostojics "Niemandssohn" sind die Umstände stärker als der gute Wille der Protagonisten - Rubachin kann schließlich nicht verhindern, dass er selbst zum Täter wird.

Moskau als unwirkliche Glitzermetropole

Utschitel verzichtet in seinem Film bewusst darauf, die tieferen Ursachen für diesen furchtbaren Waffengang zu erforschen - "Plenni" soll vielmehr zeigen, dass jeder Krieg sinnlos ist.

Doch auch das russische Kino reduziert sich inzwischen nicht nur auf schwere Kost aus Krieg und totalitärer Unterdrückung, wie in Cottbus durch die Komödien "Schara" (Die Hitze) von Reso Giginejschwili oder "Antisex" von Larisa Isajewa deutlich wurde.

In beiden - in Russland sehr publikumswirksamen - Filmen ist zu erahnen, wie sehr auch die postsozialistische Gesellschaft Russlands inzwischen von westlichen Lebenssichten beeinflusst wird: Moskau als unwirkliche Glitzermetropole - im novembergrauen Cottbus wurde dieser Wunsch zumindest für kurze Zeit wahr.

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