Filmfestival:Berlinale-Chef Kosslick verspricht "politisch korrektes Entertainment"

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Für Festivaldirektor Dieter Kosslick ist es die vorletzte Berlinale. (Foto: dpa)

Die Berlinale eröffnet und steckt direkt tief in der "Me Too"-Debatte. Der Festivalchef selbst ist daran nicht ganz unschuldig.

Von Tobias Kniebe und David Steinitz

So hat sich Dieter Kosslick den Start seiner vorletzten Berlinale sicher nicht vorgestellt. Der Mann, der 2019 in Rente geht und gerade eine große Debatte über sein Erbe und seine Nachfolge am Hals hat, hält die Nase gern keck in den Wind des Zeitgeists. Deshalb hielt er es wohl für eine gute Idee, mit großer rhetorischer Geste auf die Debatte der Stunde aufzuspringen. ",Me Too' wird die Berlinale prägen", verkündet er. Und wollte damit eigentlich nur sagen, dass es Diskussionsrunden sowie eine neue Beschwerde-Hotline des Festivals gibt. Jetzt aber hat er den Vorwurf der Doppelmoral am Hals.

Zum Start der Berlinale, die Donnerstagabend im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz mit Wes Andersons Animationsfilm "Isle of Dogs" eröffnet wird, hat sich bereits eine südkoreanische Schauspielerin gemeldet, die ihren Namen nicht nennt, aber Pressekonferenzen hinter einer Schutzwand gibt. Sie wirft dem Regisseur Kim Ki-duk vor, sie 2013 auf einem Filmset geohrfeigt, in unabgesprochene Nackt- und Sexszenen gezwungen und dann gefeuert zu haben. Kim Ki-duk ist ein großer Namen auf internationalen Filmfestivals, aber seit Dezember, als die Vorwürfe in seiner Heimat bekannt wurden, wird er dort sehr kritisch gesehen - auch wenn die Sache nicht vor Gericht kam, weil er eine Geldstrafe zahlte. Dass sein neuer Film "Human, Space, Time and Human" in der Panorama-Sektion der Berlinale Weltpremiere hat, versteht seine Anklägerin als Rehabilitation. "Ich finde diese Entscheidung sehr traurig und heuchlerisch", sagt sie.

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Dieter Kosslick erklärt dazu, den Fall zu kennen, aber als nicht so gravierend eingestuft zu haben. Das wirkt jetzt aber äußerst merkwürdig, weil er Tage zuvor in einem Interview noch mit seiner besonders harten moralischen Linie geprahlt hatte: "Wir haben in diesem Jahr Arbeiten von Leuten nicht im Programm, weil sie für ein Fehlverhalten zwar nicht verurteilt worden sind, es aber zumindest zugegeben haben", sagte er, ohne allerdings Namen zu nennen. Diese Demonstration von Gratismut - überall mitreden, aber keine klare kuratorische Position beziehen - ist leider typisch für Kosslick und für seine Programmpolitik der letzten Jahre. Hätte er gleich klar gesagt, dass er den Film von Kim Ki-duk zeigen will, um die dringend nötige Debatte über die mögliche oder unmögliche Trennung von Werk und Künstlerpersönlichkeit zu führen, stünde er jetzt weniger angreifbar da.

Irgendwann wird auch in der Berlinale-Zentrale ankommen, dass "politisch korrekt" längst als abwertender Kampfbegriff gebraucht wird

Vielleicht sollten Kosslicks "Me Too"- Sprüche aber auch davon ablenken, dass er zu seiner diesjährigen Filmauswahl nichts Bedeutsames zu sagen hat. Feststellen kann man, dass der Wettbewerb keinen großen Studiofilm aus den USA enthält, aber das muss ja kein Nachteil sein. Neben Wes Anderson gibt es durchaus amerikanische Filmemacher, auf deren neueste Werke man sich freut, wie Gus Van Sant oder Steven Soderbergh. Dann ein paar wenige große Namen des Arthouse-Kinos, Lav Diaz von den Philippinen oder Christian Petzold aus Deutschland; dazu viele noch kaum bekannte Filmemacher (Highlights siehe unten). Aber was waren Entscheidungen, auf die er stolz ist, welche Filme weisen denn besonders in die Zukunft? Dazu fällt Kosslick dann zum Beispiel ein, der feministische Western "Damsel" von David und Nathan Zellner sei "politisch korrektes Entertainment". Das meint er als Lob. Irgendwann wird sicher auch in der Berlinale-Zentrale ankommen, dass "politisch korrekt" längst als abwertender Kampfbegriff gebraucht wird. Aber wann?

Ein besonderes Thema sind natürlich die deutschen Regisseurinnen und Regisseure und ihr Verhältnis zum Festival. Kosslick hat diesmal gleich vier in seinen Wettbewerb geholt: neben Petzold sind es Thomas Stuber, Philip Gröning und Emily Atef, die iranisch-französische Wurzeln hat, aber in Berlin lebt und sich als deutsche Filmemacherin definiert. Dazu kommt, als deutscher Jurypräsident, Tom Tykwer. Wie ist da nun die Stimmung, nachdem im letzten November 79 deutsche Filmemacher einen offenen Brief unterzeichnet hatten, in dem sie sich besorgt über die Neubesetzung des Berlinale-Chefpostens zeigten und das Festival nach Kosslick "programmatisch erneuern und entschlacken" wollten? Danach gab es viel böses Blut in der Branche.

Christian Petzold ist als einziger Unterzeichner jetzt auch im Wettbewerb dabei. Ihm sei es nie um Kosslick oder die Vergangenheit der Berlinale gegangen, sagt er heute: "Es geht und ging einfach nur darum, bei der Neubesetzung nach Ablauf von Dieter Kosslicks Vertrag ein transparentes Verfahren einzuleiten." Sprich: die Entscheidung aus Politikerhinterzimmern - also aktuell aus dem der amtierenden Kulturstaatsministerin Monika Grütters - in die Öffentlichkeit zu verlegen. Inzwischen ist klar, dass dieser Vorstoß gescheitert ist.

Erst gar nicht unterzeichnet hatte Tom Tykwer, der als Jurypräsident schon feststand. "Der Brief an sich war gar nicht so dramatisch. Was mich geärgert hat, war, dass er von manchen Journalisten für grundsätzliche Abrechnungstexte mit der Berlinale gekapert worden ist", sagt er.

Tykwer kennt das Festival schon lange, erst als normaler Besucher, dann als geladener Filmemacher. Um zu wissen, was man an Kosslick habe, müsse man sich erinnern, wie die Berlinale vor ihm gewesen sei, sagt er. "Das Klima damals war deutlich klammer. Die Berlinale war kein dem Kino zugewandtes, huldigendes Festival, sondern hatte eine steife, staubige Fünfzigerjahre-Atmosphäre, zumindest im Wettbewerb. Dass sie sich dem Kino und den Machern und dem Publikum so geöffnet hat, ist auch Kosslick zu verdanken."

Auch Wettbewerbsteilnehmerin Emily Atef, deren Romy-Schneider-Studie "3 Tage in Quiberon" im Rennen um die Bären mitmischt, hat nur Lob für den Festivalleiter übrig: "Über Kosslicks Einladung hab ich gejubelt, und ich finde es auch toll, dass diesmal vier deutsche Filmemacher im Wettbewerb sind. In Cannes haben sie auch immer drei, vier, sogar fünf Franzosen im Wettbewerb. In Berlin sollten wir diese Plattform auch bekommen."

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Genauso sieht es Thomas Stuber, dessen Wettbewerbsbeitrag "In den Gängen" in der Lagerhalle eines Großmarkts spielt. "Ich freue mich, dabei zu sein, ich freue mich, dass es vier deutsche Filme in diesem Jahr sind, was hoffentlich bald Normalität ist und keine Ausnahme."

Was von Jahr zu Jahr mehr fehlt, ist eine echte Einladung zum Diskurs

Tom Tykwer hebt auch den Reiz der Berlinale als Publikumsfestival hervor. "Die Berlinale ist ein antielitäres Festival. Der größte Gegensatz dazu ist Cannes, elitärer geht es nicht." In der Praxis bedeutet das möglichst gute Ticketverkäufe und möglichst viele Filme. 385 sind es in diesem Jahr laut Festivalangaben insgesamt - theoretisch müsste man sich also 38,5 Filme pro Tag anschauen, wenn man das komplette Programm schaffen will.

Man muss gar nicht gegen solche Vielfalt argumentieren - aber was von Jahr zu Jahr mehr fehlt, ist eine echte Einladung zum Diskurs. Also klare ästhetische Positionen der Festivalmacher, die vielleicht auch mal provozierend sind, die sich an bestimmte Filme knüpfen, die dann auch benannt werden, die vielleicht sogar Anlass liefern zu echten Debatten. Wenn diese nun stattfinden, wie ganz sicher bei der Premiere von Kim Ki-duks Werk, dann wohl eher ohne Zutun der Festivalmacher.

Wie stark Rhetorik und reales Engagement auseinanderklaffen, zeigt auch die Besetzung der groß abgekündigten "Me Too"-Diskussionsrunde. Sie findet am kommenden Montag im Tipi am Kanzleramt statt und trägt den Titel "Kultur im Wandel - Eine Gesprächsrunde zu sexueller Belästigung in Film, Fernsehen und Theater". Die Berlinale veranstaltet sie in Kooperation mit dem Bundesverband Schauspiel, der Initiative Pro Quote Film sowie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Teilnehmer unter anderem: die Schauspielerinnen Jasmin Tabatabai und Natalia Wörner, ZDF-Intendant Thomas Bellut ist angefragt.

Jetzt mal im Ernst: Ist das die beste und internationalste Besetzung, die ein weltweit beachtetes Festival zustande bringt, wenn sich der Chef ein Thema persönlich auf die Fahnen schreibt, das virulenter nicht sein könnte? Es scheint leider so. Aber vielleicht könnte man ja noch eine Teilnehmerin aus Südkorea einladen.

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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