Filmfest Venedig 2012:Ruhm ist das Tor zur Hölle

Von wegen "nur Film": Schauspielerin Franziska Petri erscheint ihrem Regisseur "wie von einem anderen Stern", Michael Cimino restauriert seinen legendären Film "Heaven's Gate" und Spike Lee analysiert Michael Jackson.

Tobias Kniebe, Venedig

Es ist nur ein Film - das ist wohl der verlogenste Satz, den ein Filmemacher aussprechen kann. Nicht im Bösen natürlich: Die notorischen fünf Worte sollen den Ball flach halten, die Angst nehmen, vor dem allzeit lauernden Wahnsinn schützen. Aber wahr sind sie nicht - da braucht man nur Michael Cimino zu fragen, den großen, gefeierten, verfemten Regisseur des New Hollywood. So wie er hier in Venedig auf der Bühne steht, eine schmale Figur mit verwuscheltem Britpop-Schopf, die Sonnenbrille wie festgewachsen, zwei Insektenaugen im wächsernen Gesicht. "Dieser Film. . .", sagt er in schleppenden, mühsam artikulieren Worten: "Ich wollte ihn niemals wiedersehen."

Jetzt aber steht er da, und monatelang hat er persönlich beaufsichtigt, wie sein Großwerk "Heaven's Gate" digital restauriert wurde, in der ursprünglichen, beinahe vier Stunden langen Fassung, die vor dreißig Jahren erstmals in Venedig lief. Eine Heimkehr also. Für ihn wie für alle anderen Beteiligten ist dies eben nicht nur ein Film: Die teuerste, größte Extravaganz ihrer Zeit - und einer der fundamentalen Flops der Filmgeschichte, der Grund für den Untergang der United Artists. Steven Bach, der damalige Produktionschef, schrieb "Final Cut""darüber, eines der berühmtesten Filmbücher. Und Michael Cimino kam bei lebendigem Leib in jene doch recht enge Privatzelle in der Hölle, die für die gänzlich Unkorrigierbaren des Kinos vorgesehen ist.

All das schwingt mit, als er jetzt da oben steht und einen Preis des Sonnenbrillenmachers Persol in Empfang nimmt, was ja passt. Er spielt ein wenig das willige Maskottchen des Festivalchefs Alberto Barbera, der ihn schon in seiner ersten Venedig-Phase vor mehr als zehn Jahren einmal für eine Lesung geholt hat - Filmemachen darf Cimino ja nicht mehr, oder doch nur alle Jubeljahre einmal. Zwischendrin wird es dann aber todernst. "Die Ablehnung, die ich bei ,Heaven's Gate' erfahren habe - die hat für dreißig Jahre gereicht", sagt Cimino. "Berüchtigt zu sein ist kein Spaß. Es wird zur bizarren Vollzeitbeschäftigung." Danach laufen die ersten Bilder des Films, in kristalliner Klarheit und Schärfe, und ihre Schönheit und Redundanz und unbelehrbare Selbstverliebtheit erscheint monumentaler denn je.

Schon für sich genommen berauschend

Vielleicht ist es ja das, was man im Kino eigentlich spüren will: Dass da etwas auf dem Spiel steht, dass sich da Schicksale entscheiden, nicht nur auf der Leinwand. Schicksalhaft wirkt dann auch Spike Lees Dokumentation "Bad 25", obwohl man sie auf den ersten Blick für eine Auftragsarbeit für die Nachlassverwalter Michael Jacksons halten könnte - eine Making-of-Geschichte seines Albums "Bad", ein Vierteljahrhundert nach dessen Welterfolg, mit Interviews von Quincy Jones bis Martin Scorsese.

Formal bleibt das im Rahmen eines DVD-Specials, kein wirkliches Kinowerk, und doch gibt es darin starke Passagen: Immer dann, wenn Musiker, Tänzer, Choreografen berichten, wie bestimmte Momente zustandegekommen sind. Ein Ringen um Ausdruck, Intensität und Perfektion wird da sichtbar, das schon für sich genommen berauschend ist. Und dann der Moment, wo diese Kreationen und Obsessionen auf globale Resonanz stoßen, oder eben auf Ablehnung - dass Erfolg gefährlich ist, braucht man in Michael Jacksons Fall nicht mehr eigens zu betonen.

Komischer und zugänglicher, als man denken würde

Berühmt sein, oder berüchtigt, und wie schnell das eine ins andere umschlagen kann - davon erzählt auch der Franzose Xavier Giannoli mit seinem Wettbewerbsbeitrag "Superstar". Ähnlich wie in Woody Allens "To Rome With Love", der gerade in den Kinos läuft, gibt es darin einen restlos normalen Jedermann, gespielt von Kad Merad, der plötzlich der berühmteste Mensch des Landes wird. Ein absolut unerklärlicher Ruhm: Eines Morgens in der Metro filmen ihn plötzlich hunderte von Smartphones, ein Massenauflauf beginnt - und keiner hat eine Ahnung, warum. So sehr diese Idee offenbar in der Luft liegt und so relevant für die Gegenwart sie sein müsste - Giannoli weiß am Ende noch weniger als sein Protagonist, wie er aus der Nummer wieder rauskommen soll, und was man im Zweifelsfall daraus lernen könnte.

Franziska Petri Albina Dzhanabaeva

Die Schauspielerinnen Franziska Petri (rechts) und Albina Dzhanabaeva bei der Premiere ihres Films "Izmena /Betrug" am 30. August in Venedig.

(Foto: AP)

Da riskiert dann der Österreicher Ulrich Seidl doch einiges mehr - aber das ist bei diesem Filmemacher gewissermaßen Programm. Beim Festival von Cannes hat er in "Paradies: Liebe" schon einen erschreckend genauen Blick auf die Körper und in die Seelen weiblicher Sextouristinnen in Kenia geworfen, in Venedig präsentiert er nun den zweiten Teil , "Paradies: Glaube". Am Ende wird eine Trilogie stehen, vielleicht findet die ja auf der Berlinale ihren Abschluss, dann wäre der Hattrick perfekt.

Komplett mit zertrümmerten Kruzifixen

"Paradies: Glaube" zeigt die furchtlose Seidl-Schauspielerin Maria Hofstätter als sich selbst gern nackt kasteiende Kampf-Katholikin, die in Wien mit einer "WanderMuttergottes-Statue" von Haus zu Haus geht und missioniert. Dann kommt ihr an den Rollstuhl gefesselter Ehemann, ein ägyptischer Moslem (Nabil Saleh) nach zwei Jahren zurück, und im Vorort-Reihenhaus entwickelt sich eine Art Religionskrieg im kleinen, komplett mit zertrümmerten Kruzifixen und christlich-westlicher Überlegenheit - was kann ein ein Querschnittsgelähmter schon groß ausrichten? Das klingt wie allegorischer Irrsinn, aber diese Art Clash interessiert Seidl dann doch eher weniger. Ihn fasziniert vor allem die gewaltige sexuelle Energie, die hier wieder an allen Ecken und Enden sublimiert wird - und das macht dieses Drama doch wesentlich komischer und zugänglicher, als man denken würde.

Es ist nur ein Film - den Satz hätte wohl auch die deutsche Schauspielerin Franziska Petri, Jahrgang 1973, nicht unterschrieben, nachdem sie den russischen Regisseur und Theaterprovokateur Kirill Serebrennikov bei einem europaweiten Casting traf. Es entstand der gemeinsame Wettbewerbsfilm "Izmena /Betrug", ein hochstilisiertes Untreuedrama mit drei Paaren, irgendwo zwischen Antonioni und slawischem Absurdismus.

Aus Petri aber, mit schneeweißer Haut und rotleuchtendem Haar, hat Serebrennikov darin einen Star von der Eleganz und Autorität einer russischen Zarin gemacht. Er sei sofort von ihr "verhext" gewesen, erzählte der Regisseur am Lido, "dieser seltsame Mund, diese seltsam geformte Augen. . . ein Wesen wie von einem anderen Stern." Petri , deren Durchbruch in Deutschland nie wirklich stattgefunden hat, lernte für diesen Film wie besessen Russisch, erfand sich noch einmal vollkommen neu. Ob dieser Film ihre nächsten dreißig Jahre definieren wird? Könnte schon sein.

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