Filmfest München:Von Gretchen und Gretas

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Nach der Verleihung des One Future Preises im Gasteig: Elisabeth Wicki-Endriss hofft auf weitere Unterstützung für ihr Friedensengagement. (Foto: Robert Haas)

Elisabeth Wicki-Endriss erhält den One Future Ehrenpreis. Vor wenigen Tagen feierte sie ihren 75. Geburtstag, und doch passt sie gut zu den jungen Aktivisten dieser Zeit

Von Susanne Hermanski

Man kann Elisabeth Wicki-Endriss einfach nichts abschlagen!" Diesen Satz hört man oft. Von Ministern, von Beamten, von Filmstars, von ihren Freunden. Das, was man ihr nicht abschlagen kann, ist in der Regel ein hübsches Sümmchen Geldes - oder zumindest Gold - wert. Doch will sie es nicht etwa als lustige Witwe fröhlich verprassen, auch wenn sie dafür mit ihren 75 Jahren immer noch wild genug wäre in Herz und Hirn. Die zierliche Frau war mit Bernhard Wicki (1919 - 2000) verheiratet, der vor allem für seinen Antikriegsfilm "Die Brücke" mit internationalen Preisen vom Golden Globe bis zum Bundesverdienstkreuz überschüttet worden ist. Seit seinem Tod fordert, bittet, ja bettelt sie, wenn es sein muss, um diese freundlichen Zuwendungen, um sie weiterzugeben an andere. An jene nämlich, in denen sie Kämpfer sieht, wie ihr Mann es einer war. Kämpfer für Frieden und Völkerverständigung. Filmemacher, Regisseure und Schauspieler, die sich für diese Werte einsetzen, in ihrem Werk und mit ihrer Haltung.

Einmal im Jahr rückt sie diese Menschen beim "Friedenspreis des Deutschen Films - Die Brücke" ins Licht und lässt sie strahlen. Susanne Bier, Mira Nair und Aki Kaurismäki gehörten zu den Preisträgern und begeisterten Gästen. In Deutschland gibt es keinen vergleichbaren Kinopreis. In diesem Jahr fand die Gala, die traditionell im schönen Cuvilliéstheater angesiedelt ist, schon zwei Tage vor der Eröffnung des Münchner Filmfests statt. Die libanesische Regisseurin Nadine Labaki erhielt den Preis für ihren Film "Capernaum - Stadt der Hoffnung" über einen Jungen aus den Flüchtlingsslums von Beirut, einer von Menschen gemachten Hölle aus Gewalt, Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen. Bully Herbig bekam ihn für seinen DDR-Fluchtthriller "Ballon" und der in Berlin lebende, syrische Dokumentarfilmer Talal Derki für "Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats", mit dem er auch einen Oscar gewonnen hat.

Am Ende des Filmfests, drei Tage nach ihrem 75. Geburtstag, nun bekam Elisabeth Wicki-Endriss selbst einen Preis: den One-Future-Ehrenpreis der Interfilm-Akademie. Der "Friedenspreis", den sie 2002 ins Leben rief, ist nicht der einzige Grund, warum die ökumenisch ausgerichtete, von evangelischen Geistlichen getragene Institution sie auszeichnete. Sie erhielt den Preis auch für ihr eigenes Lebenswerk als Schauspielerin und als Bewahrerin des Filmerbes von Bernhard Wicki. Doch bei Wicki-Endriss ist keines der drei Elemente ohne das andere zu denken, in ihrem Schaffen, Leben, Lieben, das betonte auch die Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler in ihrer Rede bei der Verleihung in der Black Box des Gasteig.

Elisabeth Wicki-Endriss ist ein Schauspielerkind, hinter der Bühne aufgewachsen und vor der Kamera. Ihre Wohnung ist angefüllt mit Erinnerungen an die Menschen, die ihr wichtig sind. Die Stationen ihres Lebens mit Bernhard Wicki dokumentieren sie scheinbar lückenlos. Dort steht auch die kleine, silbern gerahmte Fotografie eines Engels. "Das bin ich selbst, 1948, im Film ,Der Brandnerkaspar schaut ins Paradies'", erzählt sie Besuchern gern mit beinah kindlicher Freude. Als sie in dem Film mitspielte, war sie vier Jahre alt. Das kleine Bild war ein Geschenk für Bernhard Wicki. Eine andere gerahmte Fotografie zeigt ihren Vater Hans Oettl, in "Die Brücke". Denn er hat in jenem legendären Film von Bernhard Wicki mitgespielt, der später namensgebend für den Friedenspreis, Elisabeths "Brücke" werden sollte. Die Kreise schließen sich eben, das ist so ihre Natur. Die Skulptur, die jeder Preisträger der "Brücke" nach Hause und damit in die ganze Welt hinaus mitnimmt, ist ebenfalls ein stilisierter Brückenpfeiler. Verbindet man all die rund 50 bereits vergebenen Preise gedanklich miteinander, umspannt die Brücke, die sie schlagen, bereits die ganze Welt. Stellt man sie nebeneinander, zeigen ihre Zwischenräume die Konturen von Menschen.

Dass Elisabeth Wicki-Endriss ein besonderer Mensch ist, ist auch Ingmar Bergman aufgefallen, mit dem sie in der Zeit seines selbst gewählten Münchner Exils, Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre am Residenztheater zusammenarbeitete. Der schwedische Regisseur haderte mit seinem Deutsch und schätzte die junge Schauspielerin wegen ihrer spezifischen Begabung: "Du spürst, was ich sagen will, ich brauch nicht groß zu reden", sagte er. "Du kannst Signale aufnehmen - von Gedanken und Gefühlen - das ist gut. Das unterbricht nicht die Konzentration."

Wie sehr sich Elisabeth Wicki-Endriss von Gefühlen ihr Leben lang leiten lässt, zeigt am klarsten ihre Beziehung zu Bernhard Wicki. Als sie ihn 1977 kennenlernte, war sie Anfang 30, er 25 Jahre älter. Er, den sie als "Genie" begreift, hat nicht nur ihr privates Leben geprägt. Und das war, liest man in ihren Büchern und so manchen Klatschblättern nach, an seiner Seite ebenso aufregend wie fordernd. Er war seit jungen Jahren mit der großen Schauspielerin Agnes Fink verheiratet, und nach anfänglichen Turbulenzen verband die drei über Jahre eine legendäre Ménage à trois. Nach Finks Tod heirateten Wicki und Endriss.

Sie stand für ihn vor der Kamera, etwa in "Sansibar oder der letzte Grund" und "Das Spinnennetz". Sie schrieb mit ihm und für ihn Texte, gerade auch Briefe, die Wicki mit allerlei berühmt-berüchtigtem Furor an Zeitgenossen schickte. Viele Jahre pflegte sie ihn schließlich, als Bernhard Wicki schwer erkrankte, unter anderem an einer Hirnblutung. Ihre eigene Karriere und künstlerische Arbeit ruhte in dieser Zeit. Auf die Idee für den Friedenspreis kam sie in der Trauerzeit, als ihr Blick zu Hause in ihrer Wohnung auf eine Urkunde an der Wand fiel: eine Ehrung, die Bernhard Wicki von den Vereinten Nationen für seine "Verdienste um den Frieden" erhalten hatte. Später drehte sie selbst die Dokumentation "Verstörung - und eine Art von Poesie" über Wickis Leben, 2009 folgte das Buch "Bernhard Wicki. Leben mit einem Filmgenie". Beide Werke sind eigenständige Arbeiten und geprägt von Wicki-Endriss' Faszination für den lyrischen Ausdruck und das wohlgesetzte Wort. Edgar Reitz, der sie persönlich und durch viele literarische BR-Sendungen kennt, die sie einsprach, sagt: "Sie kann Gedichte so gut rezitieren wie nur wenige andere."

Ihrem Buch hat sie ein Gedicht von Rainer Maria Rilke vorangestellt, das nicht nur die Natur ihrer symbiotischen, im literarischen Sinne romantischen Beziehung zu Bernhard Wicki erklärt. Es enthält auch den Schlüssel zum Geheimnis, warum sich viele Gegenüber ihrem Wesen nicht entziehen und ihr Wünsche kaum abschlagen können: "Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht."

Dass Elisabeth Wicki-Endriss diese eine Stimme dafür einsetzt, um für den Frieden und die Völkerverständigung einzutreten, rührt nicht nur. Es macht sie - die romantische Frau, das 75-jährige Mädchen - zu einer ganz modernen Vorkämpferin und Mitstreiterin all jener jungen Frauen, Mädchen und Gretchens oder Gretas, die in aller Welt gerade Ähnliches tun.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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