Filmfest München 2013:John Lennons Guru im Gespräch

Das Filmfest München zeigt eine Retrospektive der filmischen LSD-Trips von Alejandro Jodorowsky. Zusammen mit dem Chef-Hipster des Independentkinos Nicolas Winding Refn spricht er über Hollywood, John Lennon und Tarot. Der Tanz der Wirklichkeit geht weiter.

Von David Steinitz

Zwei Kinoradikale, eine Begegnung der ungewöhnlichsten Art. Die Stimmung gleicht an diesem späten Samstagnachmittag ein bisschen einem ausverkauften Clubkonzert, obwohl sich hier erst mal ein alter Mann mit Stock auf die Bühne des kleinen Saals helfen lässt.

Das Filmfest München zeigt in diesem Jahr die erste umfassende Retrospektive des chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky, eines der verrücktesten Kinoträumers, und zur Eröffnung ist er aus seiner Wahlheimat Paris angereist.

Neben ihm auf dem Podium der überfüllten Black Box im Gasteig der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn. Der ist seit dem Erfolg seines "Drive" so etwas wie der Chef-Hipster des internationalen Independent-Kinos und außerdem ein erklärter Jodorowsky-Jünger und -Freund - keinen Karriereschritt, erzählt er, mache er mehr, ohne den Meister zu konsultieren.

Und er wollte unbedingt mit auf der Bühne sitzen, wenn sein großes Vorbild gewürdigt wird. Diese Kombination hat eine lustige Mischung aus älteren Festivalbesuchern und jungen hippen Refn-Doubles angezogen, mit Nerd-Brillen und lässig zerknitterten Jacketts.

Kino, das mit den Eiern gemacht ist, nicht mit den Augen

Die Show aber gehört Jodorowsky, der diabolisch in die Runde grinst und dann in einer wunderbaren Mischung aus Spanisch und Englisch einem gebannten Publikum seine Rückkehr ins Filmgeschäft erläutert - im Mai hat er in Cannes nach zwanzig Jahren Pause seinen neuen Film "La danza de la realidad" vorgestellt, der auch in München läuft.

Der 84jährige, mit weißen Haaren und weißem Bart, ist noch genauso bissig wie der junge Jodorowsky, der vor über fünfzig Jahren seinen ersten Film drehte und seitdem besonders gern mit dem Satz zitiert wird, er mache Filme nicht wie andere Regisseure mit den Augen, sondern mit seinen Eiern.

Nun, sagt er, habe ihn die pure Wut zurück zum Kino gebracht. "Die Wut über die Dummheit des Hollywoodkinos, über die Geschäftemacher, die Filme verkaufen wie Schuhe oder Uhren." Jodorowsky redet sich in Rage, und muss über sich selber lachen, während er ein paar ziemlich derbe Sprüche über Steven Spielberg loslässt.

Getröstet habe ihn aber vor einigen Jahren der Film "Valhalla Rising", und ihm die Hoffnung gegeben, dass nicht ausschließlich Idioten im Filmgeschäft unterwegs seien. Schöpfer dieses brutalen Wikingerspektakels ist Nicolas Winding Refn, der sich nun ein bisschen stolz, ein bisschen skeptisch, von seinem Idol auf die Schulter klopfen lässt.

Refn ist ebenfalls mit seinem neuen Werk auf dem Filmfest vertreten, der blutigen Ödipus-Komödie "Only God Forgives" mit Ryan Gosling, bei der sogar Sophokles rote Ohren bekommen hätte. Der Film ist seinem Meister gewidmet, und dessen einzigartigem Universum.

LSD-Trip ohne LSD

Jodorowsky, Kind ukrainischer Emigranten, wurde 1929 in der kleinen nordchilenischen Hafenstadt Tocopilla geboren. Mit zehn kam er in die Hauptstadt Santiago, mit vierundzwanzig ging er zum Studium nach Paris, wurde ein Schüler des Pantomimen Marcel Marceau. Und dann kam der große amour fou seines Lebens: der Film.

Während in Frankreich sich die Nouvelle Vague aufzulösen begann und Godard und Truffaut sich Hassbriefe schickten, während der Neue Deutsche Film sich vorsichtig aus dem Heimatkino heraustastete und die vorgeblich wilden Jungs des New Hollywood sich in verkopfter Symbolik verklausulierten, ging Jodorowsky Ende der Sechziger nach Mexiko und entlockte dem Kino Bilderräusche, wie es noch keiner gemacht hatte - Kater nicht ausgeschlossen. "Ich erwarte von einem Film das, was andere von Drogen erwarten!"

Jodorowsky hat, wie alle großen Regisseure, ein Herz für die Freaks und die Deformierten, die Säufer, die Clowns, die Clochards und die Huren - das sind die Helden, die durch seine Filme torkeln und tanzen. Sein erster Film, "Fando y Lis", entstand 1967, eine träumerische Hommage an Luis Buñuel und Salvador Dalí.

John Lennons persönlicher Guru

Der große Durchbruch kam drei Jahre später, mit dem mythischen "El Topo". Ein Western-Trip. Die Geschichte um einen schwarzgekleideten Revolverhelden - gespielt von Jodorowsky selbst - in einem aus der Zeit gefallenen Wilden Westen ist ein Mash-up aus surrealen und religiösen Elementen, Blut und Sex, Hoffnung und Desillusionierung - und Komik.

"El Topo" wurde zum Kultfilm einer sinnsuchenden, LSD-gierigen Generation, und hat gerade in manchen Künstlerköpfen ein paar verödete Synapsen neu verknüpft. Weshalb Glück und Unglück seines Regisseurs unter anderem mit John Lennon zu tun haben.

Der verliebte sich, frisch geschieden von seinen drei Beatles-Kameraden und auf der Suche nach neuen Erfahrungen, in "El Topo" und holte den Film nach New York, wo er ein Renner in den Spätvorstellungen wurde, eins der ersten wahnwitzigen Midnight Movies. Lennon wollte für seinen neuen Guru nur das Beste und überredete den Ex-Beatles-Manager Allen Klein, den Film zu kaufen und in den ganzen Vereinigten Staaten herauszubringen. Obendrein sollte er gleich noch Jodorowskys nächsten Film finanzieren.

Lennon hätte es besser wissen müssen. Jodorowsky steigerte sich wieder in seinen surrealistischen Rausch und legte, bezahlt von Klein, mit "Montana Sacra - Der heilige Berg" erneut einen Film vor, der sofort Kult wurde. Dummerweise passierte ihm dann, was auch den Beatles passiert war: Er zerstritt sich mit Klein, der beleidigt beide Filme aus dem Verkehr zog. Bis zu einer Aussprache im Jahr 2009 waren die Werke, die Jodorowsky berühmt gemacht hatten, nur als Raubkopien erhältlich.

Tarotkarten und Psychomagie

Die Misere war aber noch nicht zu Ende, es ging weiter mit dem Hybris-Projekt "Dune", dem Wüstenplaneten. Der französische Produzent Michel Seydoux holte Jodorowsky 1975 zurück nach Paris, gemeinsam wollten sie Frank Herberts Science-Fiction-Roman adaptieren. Die Bilderschlacht sollte nicht weniger werden als der größte Film aller Zeiten, "ein LSD-Trip, ohne LSD". Der Regisseur Frank Pavich hat darüber die eindrucksvolle Doku-Rekonstruktion "Jodorowsky's Dune" gedreht, die auf dem Filmfest zu sehen ist und im Herbst auf DVD erscheint.

"Dune" hätte über zehn Stunden dauern sollen, Szenen mit Tausenden Statisten waren geplant, Pink Floyd und die französische Psychodelic-Band Magma sollten den Soundtrack liefern. Für die Hauptrollen waren Jodorowskys Sohn Brontis vorgesehen, der sich mit zweijährigem Karatetraining vorbereitete, sowie Mick Jagger, Salvador Dalí und Orson Welles. Dalí wollte zum bestbezahlten Schauspieler aller Zeiten aufsteigen und verlangte 100 000 Dollar pro Stunde, und Welles musste mit französischem Rotwein und Fressgelagen geködert werden. Ein reines Chaos.

Das Leben ist ganz zauberhaft. Comprende?"

Das Projekt scheiterte nach Jahren der Vorproduktion schließlich daran, dass kein amerikanisches Studio als Koproduzent gewonnen werden konnte. "Die wollten den Film nicht", erklärte Nicolas Winding Refn, "weil sie Angst davor hatten, was er mit ihnen anstellen würde, als Zuschauer. Dabei muss man sich die Frage stellen, ob Blockbuster heute nicht anders aussehen würden, wenn nicht ,Star Wars' zuerst dagewesen wäre, sondern "Dune'." Den Film hat später David Lynch in einer Light-Version versaut, was Jodorowsky insgeheim ziemlich gefreut hat.

Der alte Ärger und die alte Hybris sind aber längst überwunden, jetzt in München, auf dem Podium. Jodorowsky hat vor Jahren mit dem Comic-Zeichner Moebius den Dune-Stoff in der mehrbändigen Graphic Novel "The Incal" verarbeitet - und den plant er nun gemeinsam mit Refn zu inszenieren.

Zur großen Freude des Publikums zieht Jodorowsky, der sich in seiner zwanzigjährigen Kinopause auch dem Kartenlegen und der von ihm erfundenen Psychomagie widmete - ein Mix aus Psychoanalyse und Performance, er schrieb Bücher darüber und hält regelmäßig Vorträge -, ein Päckchen Tarotkarten aus der Tasche. Refns Zukunft will er erforschen und auch ein bisschen die eigene. Die Sonne und der Teufel werden aufgedeckt, Refn guckt ein bisschen skeptisch, der Meister aber grinst, es sieht produktiv aus.

Ein Beweis dafür ist sein aktueller Film "La danza de la realidad", für den er mit über achtzig in sein Heimatstädtchen Tocapilla zurückkehrte, um dort eine Geschichte über seine Eltern und seine Kindheit zu drehen, er spielt auch wieder selbst mit, in einer Cameo-Rolle. Und die Freaks und Außenseiter tanzen immer noch genauso elegant wie früher. "Wissen Sie . . . das Leben ist ganz zauberhaft. Comprende?"

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