25.Filmfest München:Die Sesshaftigkeit ist unser großes Unglück

Werner Herzog, der mit einer Retrospektive geehrt wird, über Leben und Sterben in L.A., Berlin und der Antarktis.

Fritz Göttler

Über fünfzig Filme zeigt die Werner-Herzog-Retrospektive des Münchner Filmfests, und doch ist sie nicht komplett. Das neueste Werk des unermüdlichen, unersättlichen Filmemachers, in der Antarktis gedreht, ist noch nicht vorführfertig. Nun steht erst mal, Anfang Juli, der Amerika-Start seines neuen Spielfilms an, "Rescue Dawn" (SZ vom 23.6.). Herzogs Held, der Vietnam-Pilot Dieter Dengler, tritt da unter anderen gegen den Zauberlehrling Harry Potter an.

Werner Herzog

"Die Klimakatastrophe, das sind nicht die Industrie und die Kraftwerke - das sind wir alle."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Werden die Amerikaner es denn akzeptieren, dass nun ein Nicht-Amerikaner das Thema Vietnamkrieg anpackt?

Werner Herzog: Die meisten, die den Film bisher sahen, haben erkannt, dass es kein Kriegsfilm ist. Sondern ein - um es mit dem englischen Begriff zu sagen - "Test and trial of Man"-Film. Männer in extremen Situationen, auf dem Prüfstand, ein Überlebensfilm, ein Dschungelfilm ...

SZ: ... wie es sie ja bereits mehrfach gibt in Ihrem Werk.

Herzog: Der Krieg war damals, 1965, zwar schon da, hat aber im Bewusstsein der Leute kaum eine Rolle gespielt. Dieter Dengler, der unbedingt Pilot werden wollte, war ein solches As, dass man ihn nach drei Wochen gleich auf einem Flugzeugträger einsetzte. Er war ganz begeistert - seine Freunde hatten ihm erzählt von den tollen Bars und Go-Go-Girls in Saigon, und er wusste, man würde dann ein paar Ziele im Norden bombardieren, am Ho-Chi-Minh-Pfad, wo es ein paar Infiltranten gab, würde einigen südvietnamesischen Generälen ein bisschen helfen ... Dengler ist dann nach vierzig Minuten bei seinem ersten Einsatz abgeschossen worden. Der Krieg spielt also keine Rolle in diesem Film - und so wie ich die Menschen hier zeige, ist es verstehbar für Amerikaner. Ja, es ist eine Sichtweise, die nicht Hollywood ist, aber akzeptabel. Es ist ja kein Zufall, dass der Film von einem Major Studio rausgebracht wird, der MGM, und in der stärksten Zeit startet, nach dem Independance Day, gegen eine Konkurrenz wie "Harry Potter".

SZ: Sie haben Ihre letzten Filme nicht in Deutschland produziert. Ist das in den USA heute leichter für Sie?

Herzog: Ich glaube, es ist überall, weltweit schwierig - darüber brauchen wir keine schlaflosen Nächte zu verbringen. Es ist naturgegeben in diesem Geschäft. Aber ich lebe in einer Umgebung, die erfüllt ist von unglaublichen Themen, die herumschwirren, und von aufregenden Leuten. Ich arbeite in der Stadt in den USA, die mit Abstand die meiste Substanz hat - Los Angeles. New York hat dagegen mehr eine Mentalität von Kulturverbrauch. Dort werden die Sachen gekauft, man holt auch viel aus Europa, die Oper, die Met. Wenn Sie mit Finanzen zu tun haben, müssen Sie nach New York. Wenn Sie mit Kultur zu tun haben, ab nach Los Angeles. Niemand erkennt das noch, das ist noch roh und anarchisch und vulgär. Dieser ganze Glitzer und Glamour übertüncht das, aber wenn Sie drunter schauen, ist es sehr aufregend, es arbeitet und zieht Kräfte an sich.

SZ: Dann gibt es noch die riesige Masse zwischen den beiden großen Städten, die ganze amerikanische Provinz ...

Herzog: Nun, ich habe ja nie in Los Angeles einen Film gemacht. "Grizzly Man" ist in Alaska gedreht, "The Wild Blue Yonder" mit Mathematikern in Pasadena und Astronauten in Houston. Ich will auf keinen Fall an einem verschlafenen Ort wie Florenz oder Venedig leben, diese Städte sind zu Ende. Sie haben eine wunderschöne Oberfläche und sind Museen ihrer eigenen Größe. Los Angeles hat überhaupt keine Oberfläche, das ist nur hässlich und stillos. Aber da ist viel darunter - was noch nicht gesehen wird.

SZ: Wie sieht es denn bei uns aus, mit Berlin - auch eine Stadt mit Zukunft?

Herzog: Als die Mauer niedergerissen wurde, dachte ich, jetzt endlich, jetzt geht hier die Sau ab, jetzt kommen aus Ostdeutschland die Filmleute und Schriftsteller. Aber es hat lang gedauert, zehn, fünfzehn Jahre hatten wir eine Kultur der Wehleidigkeit, das konnte ich nicht ausstehen - und jetzt auf einmal kommen sie wie selbstverständlich aus allen Erdlöchern gekrochen und machen wunderschöne Sachen.

SZ: Sind Sie denn auf dem laufenden über das neue Kino in Deutschland?

Herzog: Ich habe nie viele Filme gesehen, etwa acht, zehn im Jahr, wie ein normaler Kinogänger eben. Vor ein paar Wochen habe ich dann gleich drei Filme gesehen, auf Roger Eberts "Overlooked Film Festival". Der hat da auch "Stroszek" gezeigt, der war auf der Liste seiner hundert besten Filme. Roger Ebert ist sehr schwer krank - und nun wieder aufgetaucht, das ist ein richtiger Soldat. Er hat meine Filme immer auf seinen Bestenlisten placiert - ich verdanke ihm viel. "Stroszek" kam mir beim Wiedersehen vor, als hätte ich ihn gestern gemacht. Die Frisuren sind gealtert und die Autos, aber der Film nicht. Genauso "Aguirre" - der könnte auch gestern gemacht sein.

SZ: Sehen Sie denn selbst eine Entwicklung in Ihrem Schaffen?

Herzog: Ich bin nie stehen geblieben. Eben habe ich am Südpol gedreht, und das war richtige Arbeit, ich bin auf Feldstationen hinaus und war längere Zeit am Mount Erebos, das ist ein Vulkan, der ist fast viertausend Meter hoch. Für "Wild Blue Yonder" haben wir Bilder von einem fremden Planeten gebraucht, und das wurde unter dem Eis in der Antarktis gedreht - das ist eine unglaubliche Phantasiewelt. Unfassbar schön und seltsam. Natürlich lassen sie einen nicht selber unter Wasser - man könnte ja das Einstiegsloch nicht mehr finden, dann ist man erledigt. Da werden nur extrem ausgebildete Taucher runtergelassen.

SZ: Wie oft waren Sie denn bereits in Lebensgefahr in Ihrem Leben?

Herzog: Sehen Sie, ich bin ein professioneller, ein wirklich professioneller Mensch. Ich will doch Filme zurückbringen, und ich kann Risiken gut abschätzen. Und ich gehe methodisch an Schwierigkeiten heran - wobei manchmal schon Grenzen überschritten werden. Es muss Lotterie gespielt werden, wenn Sie Ihren Film machen wollen. Allerdings: In der Antarktis muss man Überlebenstraining machen - aber dann in Los Angeles hat die BBC ein Interview mit mir gemacht, und mitten in diesem Interview wurde ich angeschossen ... Man kann das Leben nie aus Dreharbeiten herausfiltern.

SZ: Sie sind einer wenigen Filmemacher, der beides machte, Spiel- und Dokumentarfilme ...

Herzog: Über Dieter Dengler hatte ich schon einen Dokumentarfilm gemacht, "Flucht aus Laos". Es gibt eine Einstellung, die ich in beiden Filmen verwendete - das stammt aus dem Material aus den amerikanischen Bombern, dem damage assessment, an dem zu sehen ist, wie gut sie getroffen haben. Da lief eine Kamera an Bord, die hat Bombe um Bombe gefilmt. Und am bestürzendsten ist - es schaut so schön aus, dass einem das Herz stehen bleiben mag.

Kubrick hat etwas ähnliches gemacht, am Ende von "Dr. Seltsam", die Atombombenexplosion mit dem wunderschönen Song dazu. Und man sieht, welche unfassbare Ästhetik bei diesen Atomexplosionen herrscht, eine merkwürdige Ästhetik im Grauenhaften. Merkwürdig ist doch auch, dass in einen der schönsten Gegenden der Welt, Paradiesen wie Ruanda, Libanon, Sri Lanka, Kambodscha, die furchtbarsten Greuel sich ausbreiten.

SZ: Das klingt voll pessimistisch ...Kann man da was dagegen tun?

Herzog: Das ist nicht so sehr eine Frage von Politik, sondern eine Frage, die sich jeder Einzelne stellen muss. Seit zehn Jahren fahre ich selber neunzig Prozent weniger Auto. Die Klimakatastrophe, das sind nicht die Industrie und die Kraftwerke - das sind wir alle. Diese hochtechnische Konsumgesellschaft heute ist nicht aufrechtzuerhalten. Das wird ganz schnell zu Ende gehen.

SZ: Ein kurzes Gastspiel ...

Herzog: Nun, die eigentliche Erbsünde kann man ziemlich genau zurückverfolgen - das erste Hausschwein, das gezüchtet wurde. Der Hund begleitete den Menschen auf nomadischen Jagdzügen. Mit dem Hausschwein gibt es menschliche Sesshaftigkeit, und diese Sesshaftigkeit, das ist sozusagen der Beginn des großen, jetzt zurückschlagenden Unglücks.

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